MEDIENTAGEBUCH INPUT steht für "International Public Television Screening Conference". Seit über zwanzig Jahren ist dieser Treff die heimliche Herzkammer des ...
INPUT steht für "International Public Television Screening Conference". Seit über zwanzig Jahren ist dieser Treff die heimliche Herzkammer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Aus der Taufe gehoben wurde die INPUT 1977 in Bellagio (Italien). Dort hatten sich Vertreter der CIRCOM - eine Initiative westeuropäischer Fernsehmacher, die sich für bessere Lokal- und Regional-Programme einsetzt - mit Abgesandten der Rockefeller Foundation getroffen. Die in New York ansässige Stiftung war daran interessiert, mit europäischem Knowhow dem Public Broadcasting System (PBS) unter die Arme zu greifen, der damals noch jungen und nach wie vor schwächlichen öffentlich-rechtlichen Alternative zu den marktbeherrschenden kommerziellen TV-Programmen der USA. Zu die
diesem Zweck wurde ein europäisch-amerikanisches interface namens INPUT installiert: eine internationale Konferenz, organisiert von engagierten Freiwilligen, die seither jedes Jahr - 'mal auf dieser, 'mal auf der anderen Seite des Atlantik -, stattfindet.Am heftigsten gestritten wurde in diesem Jahr um die Docu-Soap. Dieses Format, mehrteilige Halbstunden-Serien mit au thentischen Charakteren und Situationen, erweist sich zunehmend als der Renner in öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen, in Dänemark und Belgien, auf ARTE und natürlich bei der BBC: Die hatte dieses Genre als Wunderwaffe gegen die synthetischen daily soaps der privaten Sender entwickelt und mit Quoten-Hits wie Driving School stilprägende Vorbilder in Umlauf gebracht.Doch die meisten Dokumentaristen, seit Jahrzehnten gewöhnt an ein kärgliches Almosen-Dasein am Rande der Fiction-Branche, schrecken vor dem neuen Genre zurück wie vor einer teuflischen Versuchung. Den Zumutungen des Halbstunden-Formats, dem Zwang zur Konzentration auf Leitfiguren und auf "Geschichten", die in Cliffhanger münden können - diesen Anforderungen der Docu-Soap mögen sich Dokumentaristen der alten Schule nur ungern beugen.Dabei läßt sich an Peter Hellers Werdegang geradezu mustergültig ablesen, wie diesem scheinbar so neuartigen Genre längst einiges entgegengewachsen ist - selbst in den Arbeiten der altlinken Dokumentaristen-Vorhut, der jegliche Fiktionalisierung erstmal ein Graus ist. Seit 1974 ist Peter Heller bereits dran an einer neunköpfigen Familie, besuchte sie zunächst in einer Obdachlosen-Siedlung, später dann im Neubau. In seinen ersten Filmen diente sie ihm noch als Beleg für ein mitgebrachtes Thema: "Armut in einer reichen Gesellschaft". Diesmal, für den dritten Film, brachte er nicht nur die Kamera, sondern auch seine Frau und die Kinder mit.Dadurch öffneten sich ihm vor allem die Frauen in dieser Familie weit mehr als zuvor. Und "wie von selbst" schälte sich die Mutter als Hauptfigur heraus: eine arche typische Glucke, die die Außenwelt meidet, nie raus geht und die ihre Kinder nicht loslassen mag.Diesmal hat Peter Heller mit einer kleinen Digital-Video-Kamera gedreht, meistens in der elf Quadratmeter großen Küche. Und er hat sich auf diese eine magnetische Figur konzentriert: Ihretwegen ist Mama General ein starker Film geworden. Mit ein, zwei deutlich akzentuierten Nebenfiguren und ein bißchen dramaturgischem Gespür hätte sich dieser 98minütige Film denn auch mühelos als drei- oder vierteilige Docu-Soap portionieren lassen.Woher rührt aber der massive Affekt gegen Docu-Soaps unter den Dokumentaristen, die rund 70 Prozent der INPUT-Delegierten stellen? Es ist die Angst vor dem Markt, vor dem plötzlich in greifbare Nähe gerückten Erfolg und vor seinem Preis: der Notwendigkeit, die jahrzehntelang eingeübte Rolle des Bittstellers, des Empfängers kulturpolitischer Almosen abzustreifen und unternehmerisches Risiko zu übernehmen."Es muss", so beobachteten Lutz Hachmeister und Jan Lingemann vor kurzem, "von einer neuen ÂÖkonomie des Dokumentarischen geredet werden. Die Dokumentaristen-Szene sieht sich verblüfft von einer globalen Nonfiction-Industrie mit sprunghaft steigenden Umsätzen und schwer zu verortenden neuen Formen umstellt. Manch einer rettet sich aus der Konfliktsituation, die sich durch die materielle Wertsteigerung non-fiktionaler Arbeiten und Globalisierung des Gewerbes für die eigene Künstleridentität ergibt, mit einem Rekurs auf den Âeigentlichen Dokumentarfilm, auf die sensible widerständige Beobachtung, mit der Discovery und Hitlers Helfer, Docu-Soaps und RTL 2-Reportagen nichts zu tun hätten."Die lange Form, die langen Dreh- und Schnittzeiten waren immer auch Absicherungen gegen den Wildwuchs des Wirklichen: Sie sicherten Kontrolle. Wer jedoch eine Docu-Soap zustande bringen will, muss sich schon beim Drehen entscheiden, an welchen Figuren er dran bleiben will - und sich dann auf Gedeih und Verderb darauf verlassen, dass denen tatsächlich genug Interessantes widerfährt. Die wenigen, die's bislang probiert haben, berichten allerdings immer wieder von derselben verblüffenden Erfahrung: Die Geschichten, die einem das Leben zuträgt, wenn man nur unvoreingenommen hinhört und hinsieht, sind besser als alles, was man sich sonst so ausdenkt.Keiner ist bislang soweit gegangen wie Anders Lund Madsen, der im Herbst 1998 als Co-in-Man im dänischen Fernsehen sein Unwesen trieb. Anders' "Mann mit der Münze" erinnert ein wenig an Chaplins Tramp: ein kleiner Herumtreiber in T-Shirt und Jeans, mit gelben Haarspitzen und ebenso gelben Gummischuhen, dem der Schalk im Nacken sitzt. Nichts hat er bei sich außer einer Münze. Die läßt er entscheiden, wo es als nächstes hingeht: zum Beispiel entweder auf die 1. Mai-Demo, um den ältesten lebenden Arbeiter Dänemarks zu finden, oder zu einem Nachmittag bei den Reichen, wo er versuchen will, mit einem Sportwagen mitgenommen zu werden.Schon als Kind habe er gerne bei wildfremden Leuten an der Tür geklopft, sich für ihre Geheimnisse interessiert: Mit dieser naiv-dreisten Chuzpe ist Madsen immer noch unterwegs, und damit bringt er frisches, unberechenbares und eben deshalb spannendes Fernsehen zustande. 850.000 der fünf Millionen Einwohner Dänemarks schauten ihm zehn Folgen lang zu. Trotz dieses phänomenalen Erfolges darf Madsen für's erste nicht weitermachen: Seinen Vorgesetzten bei TV 2 war Co-in-Man zu anarchisch, zu unberechenbar. Doch auf enger gefaßte Spielregeln, auf größere Berechenbarkeit mochte er sich nicht verpflichten lassen.Stattdessen darf Madsen jetzt einem anderen, dem großen Unberechenbaren des dänischen Films über die Schultern gucken: Lars von Trier läßt ihn die Dreharbeiten zu seinem ersten Musical beobachten. Dancer in the Dark: 20 Millionen US-Dollar Budget, Catherine Deneuve und Björk in den Hauptrollen, und eine Tanz-Szene auf einem langsam rollenden Zug, die von 100 Kameras gleichzeitig gefilmt werden soll. Premiere: Filmfestspiele Cannes 2000.Unter dem Titel "The Best of Input" stellen das Goethe-Forum in München (22. - 24. Oktober 1999) und das Potsdamer Filmmuseum (25., 26. Oktober 1999) eine Auswahl der besten Programme der diesjährigen INPUT vor. Die Vorführungen samt anschließender Diskussion mit den Programm-Machern sind - ganz im Sinne der INPUT-Philosophie - kostenlos und allen zugänglich.
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