Im künftigen Schönheitssalon von Wang Yuling in der Millionenstadt Tianjin richtet Fengshui-Lehrer Song Kaiyuan einen mit Zahlen und Zeichen beschrifteten Kompass aus. „Ihr Fenster liegt im Norden, dorthin fließen Dinge ab“, sagt Herr Song in seinem schwarzen Jackett. „Sie sollten etwas davor hängen, sonst bleiben Ihre Einnahmen nicht bei Ihnen im Geschäft.“ Die sorgfältig geschminkte Geschäftsfrau Wang im eleganten roten Kaschmirmantel nickt zustimmend. „Am besten wäre etwas Weißes auf gelbem Grund“, meint Herr Song. Nach der traditionellen Fünf-Elemente-Lehre steht in China Gelb für die Erde, und die bringt Gold – symbolisiert durch die Farbe Weiß – hervor. Frau Wang klatscht begei
geistert in die Hände. „Dann habe ich eine gute Energiebalance für mein Geschäft.“ Frau Wang achtet auf alles Wie man in Krisenzeiten das innere Gleichgewicht hält, ist besonders unter Chinas urbaner Bevölkerung Gesprächsthema Nr. 1. Laut einer Umfrage der Internetplattform 39 Gesundheitsnetz fühlen sich über zwei Drittel der Chinesen durch den Wirtschaftsabschwung bedrückt. In der gut betuchten Mittelschicht herrscht eine „übertriebene Wirtschaftskrisen-Panik“, glauben Meinungsforscher. Hotlines und Beratungszentren von Psychologen haben Hochkonjunktur. Bücher über Geldmanagement und Gesundheit rangieren ganz oben in den Bestsellerlisten. Dabei suchen Unternehmerinnen wie Frau Wang vermehrt Zuflucht bei einem vermeintlich ungewöhnlichen Krisenmanagement, dem Fengshui, etwa, wörtlich: „Wind und Wasser“. Es ist der traditionellen Kosmologie und Philosophie zugeordnet, die auf das Prinzip der permanenten Wandlung der beiden Urkräfte Yin und Yang schwören, wie sie unter anderem im Wechsel von Tag und Nacht zu beobachten ist. Harmonisierte Naturkräfte im Umfeld eines Menschen haben nach Vorstellung der Fengshui-Lehre einen positiven Einfluss auf sein Leben. Umgekehrt kann ein falsch gestelltes Möbelstück oder eine fehlende Pflanze für Disharmonie, Malheur und Missgeschick sorgen.Möbelhäuser und Architekturbüros bewerben ihre guten Dienste längst mit dem „besonderen Fengshui-Effekt“. Mit dem Slogan „Aus dem Schatten der Krise treten. Zehn Geheimnisse des Fengshui, um das Jahr 2009 in Reichtum zu überstehen", weiß das Einrichtungshaus HomeTX in Peking, sich anzupreisen. Fengshui-Dienstleister wie das Kulturinstitut Chuangshi International versprechen: „In der Flaute hilft unsere Firmen-Fenshui auch Ihrem Betrieb über schwierige Zeiten hinweg!“Schwierigkeiten will Wang Yuling bei der Eröffnung ihres Schönheitsstudio gar nicht erst aufkommen lassen und klärt darum mit ihrem Fengshui-Lehrer Song auch das letzte Detail – die Farbe des Mobiliars, den Platz für Massagebänke, für Bilder und Poster. An die geplante Ladentheke möchte Frau Wang eine kupferne Glückskröte setzen. Mund Richtung Tür und Hinterteil ins Rauminnere gerichtet. Damit die Kröte Geld frisst und es in den Laden ausscheidet, merkt Herr Song an. „Freilich darf man nicht künstlich harmonisieren wollen. Durch die Kunden und die Zeit wird sich das Kräftefeld wandeln. Und selbst schlechtere Zeiten bringen auch wieder neue Chancen“.Für Herrn Song ist die ökonomischen Flaute deshalb keine Katastrophe, sondern ein natürliches Tief nach und vor einem Hoch. Als ehemaliger Angestellter hat er sich mit Hilfe von Büchern und Lehrern das für Fengshui typische duale, auf Ausgleich bedachte Denken über Jahre hinweg angeeignet. Im Mai 2006 gründete er seine Huayigan-Beratungsfirma und erklärte, ein Berufener des Fengshui und der Kosmologie zu sein. Im Augenblick gäbe es dafür eine Nachfrage, wie man die sich nicht besser wünschen könne. Fengshui stehe heutzutage nicht mehr auf dem Index wie zu Zeiten der Kulturrevolution, werde jedoch als Aberglaube abgetan. Tatsächlich sind Unternehmen wie die von Herrn Song in China nach wie vor offiziell verboten, so dass die Huayigan-Beratungsfirma als Service für kulturellen Austausch und ihre Einnahmen als Spenden deklariert sind. Die Klienten schreckt das nicht, ob Banker, Händler oder Immobilienmakler – Herr Song ist dankbar. „Jetzt stoßen Menschen an die Grenzen ihrer Kräfte. Dann sind sie bereit, nach den Dingen hinter dem Offensichtlichen zu fragen.“Herr Feng hofft unverdrossenVom Fengshui hält Kleinunternehmer Feng Yuejun zwar nicht sonderlich viel, aber von Harmonie eine Menge. Seit 2004 führt er sein Geschäft für Konfektion und Handys im Industrieviertel Li’ersi an der westlichen Peripherie von Peking. Ein kleiner Laden, der sich neben Supermärkten und Schnellrestaurants behaupten muss. „Guter Service ist mein Mittel Nr. 1 gegen die Krise“, sagt Herr Feng. Zwei neue Haushaltswarenläden hätten Ende 2008 in seiner Umgebung eröffnet und seien jetzt schon pleite. Er biete nur Qualität, prüfe die Ware, die er aus den Fabriken einkaufe, immer doppelt und dreifach.Vor zwölf Jahren kam er aus der zentralchinesischen Provinz Henan nach Peking. Es folgten sieben Jahr Fron in Fabriken und an kleinen Straßenständen, bis er sich sein Geschäft leisten konnte. Jetzt, erzählt er, hätten in Li’ersi viele Fabriken wegen der Absatzflaute ihre Produktion gedrosselt und die Löhne gekürzt. Da werde auch sein Laden nicht verschont, seit Januar könne er mit den Einnahmen nur noch die laufenden Kosten decken und das Nötigste für seine beiden Kinder abzweigen. „Und wenn es bei mir richtig eng wird, dann bitte ich Verwandte oder Freunde, mir zu helfen. Man muss in solchen Zeiten wissen, bei wem man in der Not auf Hilfe rechen kann. Wissen Sie, die Krise hat mich bescheidener und nachdenklicher gemacht.“