Sie ist eine der wenigen unerschütterlichen Überreste der chinesischen Parteipropaganda – die abendliche Nachrichtensendung des Staatsfernsehens China Central Television (CCTV). Mit nahezu identischer Animation – eines sich drehenden Globus, mit gleicher Musik und gleichem Logo – präsentieren die Sprecher seit 30 Jahren den Blick aus dem Reich der Mitte auf die Welt ringsherum. Mit unbewegter Miene und in gedrechselter Sprache referieren sie in der Regel zuerst zehn Minuten über Besuche und Konferenzen der Staatsführung, dann zehn Minuten über Fortschritt und Harmonie im Land, schließlich zehn Minuten über Vermischtes, unbedingt aber über Katastrophen im Ausland – ein Leuchtturm in einer sich rapide wandelnden Gesellschaf
ndelnden Gesellschaft. Die CCTV-Nachrichten entziehen sich dem Druck des schnell, lärmend und sexy. Sie bleiben eine Plattform, um sich selbst zu feiern. Chinas Städter schauen sich diese Performance kaum noch an, die Einschaltquote ist von offiziell 40 Prozent im Jahr 1998 auf aktuell um die fünf gesunken. Aber viele bewahren sich die Sendung als nostalgische Kindheitserinnerung.Weniger Selbstdarstellung Die chinesischen Regierung hat nun zum 1. Juli Reformen des Staatsfernsehens, vorzugsweise der Nachrichtensendung angekündigt. Weniger Selbstdarstellung von Politikern, mehr und vitalere Moderationen soll es geben – auf den Menschen bezogene und kritischere Berichte über das eigene Land ebenso. „Diese Reformrunde geht von ganz oben bis nach ganz unten“, sagt der Vize-Chef des Nachrichtenzentrums bei CCTV, Liang Jianceng, „die Führung fordert Taten, keine Worte.“ Was genau das heißt, sagt bislang keiner. Der im Mai neu eingesetzte Chef des Senders, Jiao Li, ist mit 54 Jahren zwar etwas jünger als sein Vorgänger, stammt aber aus der Propagandaabteilung der Partei.Zu Reforminhalten mag auch Journalistik-Professor Zhan Jiang nicht viel sagen. Der Chef der Abteilung für Journalismus und Kommunikation an der China Youth University for Political Science war lange Jahre selbst Reporter. Er weiß, wie mühselig ein Wandel im Mediensystem sein kann. „Äußere Faktoren drängen die Führung zu diesen Reformen“, sagt Zhan, „die ständige Aufdeckung von Fehlern durch Internet-Nutzer, der schnelle virtuelle Informationsfluss und die Ankündigung eines zweiten Nachrichtensenders der Agentur Xinhua sind schon von Belang.“ Die Regierung wolle sich bei der Verbreitung „schlechter Nachrichten“ nicht mehr von chinesischen Bloggern und westlichen Medien das Heft aus der Hand nehmen lassen. „Präsident Hu Jintao akzeptiert und versteht den Einfluss des Internet als Kanal für die Volksstimmung“, sagt Zhan, „deshalb will er versuchen, die verlorenen Kontrolle über die Meinungsbildung zurückzugewinnen.“Kleiner DurchbruchUnd was muss sich das Staatsfernsehen über seine Nachrichten in letzter Zeit alles anhören: „Keine Rede, die nicht 'wichtig' ist, kein Applaus, der nicht 'stürmisch' ausfällt, keine Bürger, die nicht 'zufrieden' sind, kein Erfolg, der nicht 'riesig' ist“, wird seit längerm schon gespottet. Ende 2008 erreichten bissige Persiflagen auf die Abendnachrichten im Internet Höchstklickzahlen. In einem Video haben junge Chinesen die Nachrichtenzentrale in ein chaotisches und heruntergekommenes Wohnviertel verlegt. Abstruse Debatten und alltägliche Maßnahmen werden in einer monotonen Sprache, wie sie dem staatlichen Fernsehen eigen ist, zu wichtigen Entscheidungen hoch stilisiert. Als Mitte Februar ein Hotel auf dem Baugelände für das neue CCTV-Gebäude – wegen der extravaganten Form als „Hose“ verschrieen – durch Feuerwerkskörper in Flammen aufging, reagierten die meisten Chinesen mit Schadenfreude.Wie auch immer – die angekündigten Reformen stoßen in der chinesischen Bevölkerung auf wenig Enthusiasmus. Selbst einer der Chefnachrichtenmacher bei CCTV, Bai Yansong, hält nur „kleine Veränderungen“ für möglich. Er fügt dann allerdings eine Liste mit weiteren Verbesserungsmöglichkeiten hinzu: Durchbrechen der Priorität von Inlandsnachrichten, Aufbau von Provinz- und Auslandsstudios, mehr live, mehr Chancen für berufliche Seiteneinsteiger. Der 40-jährige Bai stammt aus den ärmlichen Verhältnissen der Region Innere Mongolei, ist ohne Vater aufgewachsen und hat sich innerhalb von zehn Jahren zu einem der bekanntesten TV-Journalisten Chinas hochgearbeitet.Bai ist Kader des staatlichen Mediensystems, aber er hat journalistische Visionen entwickelt, innovative Nachrichtenformate implantiert und bei schwierigen Themen wie Taiwan oder Japan facettenreicher als andere recherchiert. In einem seiner jüngsten TV-Kommentare prangerte er die Informationsverschleierung der lokalen Regierung in der zentralchinesischen Stadt Shizhou bei Massenprotesten an. Das ist für Journalistik-Professor Zhan Jiang ein kleiner Durchbruch. „Das war das erste Mal in der chinesischen Fernsehgeschichte“, meint er. „Für eine Reform der kleinen Schritte wird mehr von diesem Pioniergeist gebraucht.“