Oft wegen Konjunkturüberhitzung totgesagt, geht es Chinas Ökonomie besser als je zuvor. Fortan soll sie nun - mehr als je zuvor - Fundament einer "harmonischen Gesellschaft" sein, versprach Generalsekretär Hu Jintao auf dem XVII. Parteikongress der KP in dieser Woche.
Als Han Shunfeng 1998 das Amt des Parteisekretärs in Zhuangtou angeboten bekommt, lehnt er zunächst ab. Die 46.000-Seelen-Gemeinde in der zentralchinesischen Provinz Henan gilt als "schwierig": Die Wirtschaft stagniert, lokale Kader bereichern sich auf Kosten der Bauern, die deshalb oft protestieren. Doch das Vertrauen seiner Vorgesetzten überzeugt den 51-jährigen Bauern schließlich. "Die Partei hat mich motiviert", sagt Han in schwarzer Anzughose und grau-blauem Pullover, "ich wollte den Bauern Wohlstand bringen". So lehrt er sie neue Anbautechniken und wirbt zwei Unternehmen an, die in Zhuangtou Gemüse sowie Fleisch verarbeiten und Leute anstellen. Innerhalb von fünf Jahren verdreifacht sich das Jahreseinkommen der Gemeindebewohner.
Neben der Eingangstür seines weiß gefliesten Verwaltungsgebäudes hat der zupackende Han eine Tafel anbringen lassen: "Auf Inspektionsreisen sind Alkoholgenuss und das Essen auf Kosten der Bauern verboten".
Solchen Kadern kann die Kommunistische Partei dankbar sein. Denn angesichts der Machtfülle von Politikern - Han ist zugleich Vize-Parteisekretär des Kreises Weishi - grassiert Amtsmissbrauch in vielen Regionen der Volksrepublik. Als "Kampf auf Leben und Tod" beschreibt Staats- und Parteichef Hu Jintao das Vorgehen gegen den Hang zur Korruption. Die Verfehlungen der Kader "erschüttern und bedrohen die Organisation und Führungsposition der Partei", sagt er auf dem XVII. Parteitag.
Auch die höchste Führungsebene ist nicht mehr makellos. Im Herbst 2006 flogen sowohl Qiu Xiaohua, Chef des Nationalen Statistikbüros und hoffnungsvoller Jungpolitiker, als auch der Parteisekretär der Metropole Shanghai, Chen Liangyu, aus dem Amt. Die Strafprozesse laufen noch - Beobachter prophezeien Chen ein ähnliches Schicksal wie dem Kopf des Nationalen Büros für Lebensmittel und Narkotika, Zheng Xiaoyu: Er wurde wegen Amtsmissbrauchs im Juni hingerichtet. Wegen Korruption mussten im Vorjahr etwa 100.000 Parteimitglieder bestraft werden, die umgerechnet 4,6 Milliarden Euro veruntreut hatten.
Der Gefahr von Machtfülle ist sich auch Han Shunfengs Vorgesetzter bewusst. "Daher ist es wichtig, mit seiner Verantwortung richtig umzugehen", sagt der 54-jährige Liu, der zunächst vier Jahre Bürgermeister war und nun seit Ende 2006 Parteisekretär ist. Gerade kommt der studierte Wirtschaftswissenschaftler von einer Sitzung über die Dienstleistungsbranche der Stadt zurück. Die Unternehmer wollen freie Hand, soziale Rücksichten sind ihnen fremd. "Immer wieder gibt es Konflikte, wenn Firmen auf Ackerland bauen und den ansässigen Bauern nicht genug Entschädigung zahlen." Dann müsse der Parteisekretär vermitteln, was nicht einfach sei, meint Liu, aber dadurch seien viele Entscheidungen "dann doch sehr effizient".
Als "Chefkommandeur" (Yi ba shou), wie ein Führungskader in China oft genannt wird, sieht sich Liu nicht gern. Vorhaben diskutiert er zuvor mit seinen Mitarbeitern und musste so seinen Fünf-Jahres-Plan für Kaifeng mehrfach korrigieren, bevor der Stadtkongress zustimmte. Jedes Jahr überprüfen ihn Vorgesetzte aus der Provinz und verteilen Fragebögen "zur Evaluierung der Arbeit des Genossen Liu". Auch an Kennziffern wie Wirtschaftswachstum, Steuereinnahmen, soziale Stabilität oder Geburtenrate wird Liu gemessen. "Ich muss mich sowohl an den Normen der Partei als auch den Wünschen der Bevölkerung orientieren."
Volkes Wort als Kontrollinstanz für Parteikader einzusetzen, damit tut sich die KP-Führung ansonsten eher schwer. In einigen ausgewählten Gemeinden und Dörfern experimentiert Peking mit so genannten "demokratischen Bewertungsverfahren" für Parteichefs. Wer dort weniger als 50 Prozent Zustimmung einfährt, wird seines Postens enthoben.
Für die etwa 2.200 Delegierten des XVII. Parteikongresses gelten diese recht elementar wirkenden Prozeduren kaum. Sie werden nicht von der Bevölkerung, sondern durch lokale Kongresse der Partei gewählt. Auch das direkte Votum der inzwischen 73 Millionen Parteimitglieder für die höchsten Führungsgremien - das Politbüro und dessen mächtigen Ständigen Ausschuss - gilt als verzichtbar.
Dennoch legt die Führung um Generalsekretär Hu Jintao Wert auf "innerparteiliche Demokratie", den "moralischen Appell" und innerparteiliche Voten, bei denen mehr Kandidaten aufgestellt werden als Posten zu vergeben sind. Von 2005 bis 2006 musste sich zudem jedes Parteimitglied Beurteilung und Selbstkritik unterziehen (über 50.000 wurden ausgeschlossen) - als Kriterien dieser Reinigung von innen dienen die "acht Schanden und acht Ehren", was unter anderem in Aufrufe mündet wie: "Ergeht euch nicht in Luxus und Genüssen!" - "Lebt einfach und arbeitet hart!" - "Seid gute Diener des Volkes!"
Hinter den in China oft ironisierten Phrasen der KP zeigt sich jedoch ein weiteres Herrschaftsinstrument. Die Partei dominiert die politische Sprache und durch diese auch ihre Basis. Begriffe wie "Demokratie" und "Konflikte" hat sie enttabuisiert und neutral besetzt. Formeln à la "nicht nur Quantität, sondern auch Qualität" oder "harmonische Gesellschaft" oder "soziale und ökologische Balance" haben Kritiker wie Sympathisanten verinnerlicht. Konkurrierende Begriffe existieren nicht.
So greift auch Gemeindeparteisekretär Han Shunfeng auf diese Formeln zurück, wenn er lokale Themen erklärt. Neue Anbautechniken sind dann eben "Teile der wissenschaftlichen Entwicklung der Landwirtschaft". Dabei liegt der Erfolg seiner Politik weniger in solch ausgelaugter Semantik als vielmehr in seinem Amtsverständnis begründet. "Wenn ich so rede, fühle ich mich immer etwas unwohl", lacht er. "Ich rede am liebsten wie die einfachen Leute."
Parteitage seit 1992
XIV. Parteitag
12. bis 18. Oktober 1992
Beschlossen werden die weitere ökonomische Öffnung und die Errichtung einer "sozialistischen Marktwirtschaft"; Jiang Zemin wird als Generalsekretär bestätigt.
XV. Parteitag
12. bis 18. September 1997
Der Kongress erhebt die Theorien des Reformers Deng Xiaoping zu Leitgedanken der Partei und stellt sie damit dem Erbe Mao Zedongs gleich; Jiang Zemin wird erneut Generalsekretär.
XVI. Parteitag
8. bis 14. November 2002
Privatunternehmer sollen an die KP gebunden werden. Es wird beschlossen, bis 2020 das Bruttosozialprodukt gegenüber 2000 zu vervierfachen, um eine "Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand" aufzubauen; Hu Jintao folgt als Parteichef auf Jiang Zemin.
Zusammensetzung der Partei
73, 4 Mill. Mitglieder
Stand: 1. Juli 2007
Eintritte seit dem XVI. Parteitag:
13,2 Mill.
Eintrittswillige derzeit: 19,6 Mill.
davon 134.000 Unternehmer
Frauen: 19,9 Prozent
Nationale Minderheiten: 6,4 Prozent
Unter 35 Jahre: 23,7 Prozent
36 bis 59 Jahre: 38,8 Prozent
Berufsgruppen
23,1 Mill. Bauern und Fischer
(31 Prozent)
21,3 Mill. Staatsbeamte
(29,1 Prozent)
13,7 Mill. Pensionäre
(18,8 Prozent)
8,0 Mill. Arbeiter
(10,8 Prozent)
3,2 Mill. Beschäftigte im Privatsektor
(4,3 Prozent)
1,9 Mill. Studenten
(2,6 Prozent)
1,6 Mill. Soldaten
(2,2 Prozent)
3,64 Mill. Andere
(5,0 Prozent)
Quelle: Nachrichtenagentur Xinhua
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