"Wir hätten eine friedliche Welt"

Energiekriege Die Staaten sollten ihr Geld in erneuerbare Energien statt in ihre Armeen investieren, empfiehlt der Friedensforscher Daniele Ganser
Öl – wenn dich der Hunger packt
Öl – wenn dich der Hunger packt

Bild: Brendan Smialowski/AFP

Der Freitag: Herr Ganser, Sie sind Energie- und Friedensforscher, das ist eine ungewöhnliche Kombination. Gehen heute alle Kriege und Konflikte um Energie?

Daniele Ganser: Wir beobachten heute einen globalen Kampf um Öl und Gas. Vor China werden künstliche Inseln aufgeschüttet, nur damit China sagen kann: Im Umkreis der Insel gehört die Rohstoffbasis uns. Die Russen haben am Nordpol eine Flagge deponiert, nur um zu sagen: Wenn das Öl und Gas dort zugänglich ist, gehört es uns. Die Welt ist ein Ort mit sehr vielen Ressourcen. Ein Ort, wo es viel gibt für viele. Wir leben nicht in der Knappheit, wir leben eigentlich im Überfluss. Wir müssen keine Kriege führen für Öl, wir müssen uns nicht umbringen, doch sind wir hochgradig erdölsüchtig und wir verhalten uns auch wie Süchtige. Ein Süchtiger schießt wild um sich, wenn sein Zeug knapp wird und es ist ihm egal, ob er dann Kinder oder alte Frauen trifft, er braucht einfach seinen Stoff. Das Phänomen der Ressourcenkriege spitzt sich zu und es werden mehr.

Sie sagen, dass wir täglich 90 Millionen Fass Erdöl auf der Welt verbrauchen. Kommt da die Energie aus Kohle und Atom noch hinzu?

Ja, da kommt Kohle, Erdgas und Atom oben drauf. Das Erdöl deckt etwa 35 Prozent des Energiebedarfs und 25 Prozent deckt die Kohle, 25 Prozent deckt das Erdgas, etwa 5 Prozent sind 440 Atomkraftwerke, die restlichen 10 Prozent sind die erneuerbaren Energien. Die Erneuerbaren sind leider noch klein, aber die Vision ist ein kompletter Umstieg. Daran arbeiten wir. Deutschland zum Beispiel hat geholfen, die Preise zu senken und ein Netz von Industriefirmen und Wissenschaftlern aufzubauen, die sich täglich mit der Energiewende auseinander setzen. Auf die Energiewende kann Deutschland stolz sein.

Wird es auf ein Monopol der alternativen Energie hinauslaufen?

Nein. Es gibt vier nichterneuerbare Energien. Kohle, Erdöl, Erdgas und Atomenergie. Sie haben im 20. Jahrhundert dafür gesorgt, dass wir alle reich geworden sind. Da kann man auch mal Danke sagen. Wir können uns sofort ein heißes Bad einlaufen lassen, wenn wir das wollen und wir können morgen mit dem Zug nach Rom fahren. Das konnte ein König im Mittelalter nicht.

Aber diese vier nichterneuerbaren Energien haben auch sehr große Probleme gebracht. Klimawandel, Ressourcenkriege, Umweltzerstörung. Jetzt geht es darum, aus diesen vier auszusteigen. Da sehe ich kein neues Monopol, weil die erneuerbaren Energien dezentral aufgebaut sind. Wir haben die Sonnenenergie, sowohl Photovoltaik, als auch Solarthermie. Dann haben wir die Windenergie, die Wasserkraft, die Erdwärme, Holz und andere Formen von Biomasse und wir haben Biogas. Zudem haben wir Abfall und Müllverbrennungsanlagen, das ist nicht im engeren Sinne erneuerbar, sondern wir nutzen einfach unseren riesigen Abfallberg als Energiequelle. Aber am wichtigsten ist die Effizienz. Es kommen immer mehr Firmen, die sparsame Fahrzeuge bauen. Ein Auto, was nur noch vier Liter braucht für 100 Kilometer; ein Auto, was mit Strom fährt. Häuser werden gut gedämmt und werden plötzlich Kraftwerke und produzieren mehr Energie, als sie brauchen. Es ist eine spannende Entwicklung und Deutschland, Österreich und die Schweiz sind Länder, wo das wirklich sehr dynamisch abläuft.

Wie lange können uns die fossilen Energien noch versorgen?

Das weiß niemand ganz genau, da die Zahlen nicht transparent sind. Wenn man in Saudi Arabien beispielsweise die Vorkommen prüfen will – das Land gibt an, etwa 260 Milliarden Fass Erdöl zu haben – sagt Saudi Arabien: Das ist ein Staatsgeheimnis.

Aber bei Großbritannien zum Beispiel, begann die Erdölförderung um 1970, erreichte 2000 ihr Maximum Peak Oil mit drei Millionen Fass pro Tag und sinkt seitdem wieder. Sie liegt zur Zeit bei einer Millionen Fass pro Tag. Diese Entwicklung wird es weltweit geben, wie ein Berg, man geht rauf und wieder runter. Auch Norwegen hat Peak Oil erreicht, die Förderung fällt, ebenso in Indonesien. Das spitzt die Ressourcenkriege zu. Aus dieser Konstellation sehe ich tatsächlich nur die Energiewende als einen friedlichen Ausweg.

Demnach sollte das Geld, was in Ressourcenkriege fließt, stattdessen in alternative Energie fließen.

Genau. Das Pentagon hat ein Budget von 700 Milliarden Dollar, das sind zwei Milliarden am Tag. Wenn eine Gruppe von Energieingenieuren jeden Tag zwei Milliarden hätte, um sie in den Bau neuer Energieinfrastruktur zu investieren, hätte man in fünf Jahren ein Riesending aufgestellt. Man könnte alle Häuser mit Photovoltaikanlagen versehen und Autos mit Elektrostrom fahren lassen. Wir hätten eine lokale Landwirtschaft, wir hätten eine friedliche Welt. Eine gute neue Welt. Leider passiert aber im Moment das Gegenteil.

Die Kriege der letzten 70 Jahre haben keine Stabilität gebracht. Sie haben uns keinen Ausstieg aus der Gewaltspirale gebracht, im Gegenteil. Afghanistan wird seit 13 Jahren von der NATO bombardiert, hat aber de facto keine positive Entwicklung gemacht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass nach dem Abzug der NATO die Taliban wieder an die Macht kommen. Libyen wurde 2011 von der NATO bombardiert, Gaddafi wurde getötet. Es ist kein Entwicklungsplan, einen Diktator zu töten und zu glauben, es würde eine bessere Welt. Wir haben keinen Fortschritt in Libyen, im Gegenteil, das Land ist ins Chaos abgeglitten. Das gleiche gilt für den Irak. Es wird einem immer die gleiche Rezeptur verkauft. Man sagt, wir töten einen Diktator, wir bombardieren das Land und dann wird schon was Gutes entstehen. Man will die Rüstungsindustrie am Laufen halten, damit Raketen und Bomber auch immer wieder gekauft werden. Gerade jetzt sagen viele Stimmen in Europa, der Krieg in der Ukraine zeigt, dass wir mehr Ausgaben für Rüstung haben müssen. Das finde ich falsch. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass das Militärbündnis NATO sich auf die Ukraine ausdehnt, dadurch Russland provoziert und bei all den unzähligen Kosten sehr wenig Produktives zum Frieden beigetragen hat.

Wenn es aber doch alles auf der Hand liegt, wieso wird uns dann so erfolgreich etwas Falsches verkauft?

Es sind Interessengruppen, die sich Einfluss erkaufen. Ich habe einmal mit Peter Voser, dem damaligen Chef von Shell, an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Die Diskussionsleitung hat uns eingeführt und gesagt, Shell hätte im letzten Jahr einen Gewinn von 7 Milliarden Dollar gemacht. Da hat sich der Voser geräuspert und gesagt: „Entschuldigung, das war der Gewinn vom ersten Quartal.“ Eine Firma, die 7 Milliarden Dollar Gewinn pro Quartal macht, sagt natürlich: Öl, Gas, Kohle und Atomenergie sind gut für die Enkel.

Das heißt, die eigene Wahrnehmung für das, was gut für die Kinder und Enkel ist, wird derart verzerrt, dass sie eigentlich nur noch einen Blick drauf haben, wie sie ihre jetzige Gewinnstruktur behalten und ausbauen können. Der Ölkonzern ExxonMobil hat einen großen Einfluss auf die Weltpolitik. Shell, BP, Saudi Aramco, das ist eine Staatsfirma, oder Gazprom, auch eine Staatsfirma, Rüstungskonzerne wie Lockhead Martin, Boeing und Raytheon: All diese Konzerne haben einen großen Einfluss. Da muss man sich nicht wundern, dass die Welt so aussieht, wie sie aussieht.

Wann werden wir die Vision „100 % Erneuerbar“ erreichen?

Es hängt von so vielen Faktoren ab. Es gibt zum Beispiel viel Gegenwehr. Konzerne sind natürlich nicht glücklich, Atomkraftwerke rückbauen zu müssen und den Bürgern dann nicht mal eine Rechnung stellen zu dürfen, weil die den Strom selber dezentral erneuerbar produzieren. Wir haben eine Revolution der Machtverhältnisse. Die Energiewende bedeutet, dass die Macht von zentralen Großkonzernen zerschlagen wird und Kleinunternehmen und Bürger profitieren.

Was bräuchten wir denn, um uns für die erneuerbare Energie und folglich den Frieden zu entscheiden?

Es braucht ein fundamentales Nachdenken über Energie. Man muss auch daran glauben, dass etwas gelingen kann. Der Anfang ist schwierig, aber wenn wir das Ziel hartnäckig verfolgen mit Mut und Zuversicht, dann ist ein Wandel möglich. Ich hab selber auf meinem Haus 60 Quadratmeter Photovoltaik installiert, damit betreibe ich eine Wärmepumpe und habe immer noch zu viel Strom. Die Erdgasheizung habe ich entfernt, ich bin sozusagen aus der fossilen Heizung ausgestiegen. Wenn das viele tun, kann dies die Ressourcenkämpfe abschwächen. Die Gewaltspirale nährt sich selber. Ein Gewaltkonflikt baut auf dem nächsten auf, trägt aber wenig zu einer besseren Welt bei.

Daniele Ganser: Europa im Erdölrausch Zürich: Orell Füssli Verlag, 2012, 416 S., € 24,95

Dr. Daniele Ganser gründete im Jahr 2011 das Swiss Institute for Peace and Energy Research SIPER in Basel, das er seitdem leitet

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