Nanni Moretti hat sich in seinen Filmen oft mit jenem eigentümlichen Zustand des danach auseinandergesetzt, der vom Versuch der Wiederherstellung des davor bestimmt wird. In Wasserball und Kommunismus (1989) etwa verlor die von Moretti selbst gespielte Hauptfigur bei einem Unfall das Gedächtnis und muss daraufhin die Erinnerung an ihr früheres Leben, die Zugehörigkeit zur KPI ebenso wie zu einer um die Meisterschaft kämpfenden Wasserballmannschaft, erst langsam wiedergewinnen. Mit rekapitulierter Identität verpatzt der Wasserballspieler in der Schlussszene dann den entscheidenden Strafwurf, weil er den Ball nicht, wie zunächst beabsichtigt, in die rechte, sondern in die linke Ecke und damit dem Torwart direkt in die Arme wirft. Endlose Selbstanklagen sind die Folge.
Der Wunsch, sich davor anders verhalten zu haben, um das danach ungeschehen zu machen, bestimmt auch Morettis neuen Film Das Zimmer meines Sohnes. Das wohlgeordnete Leben einer vierköpfigen Familie gerät durch den plötzlichen Unfalltod des Sohnes aus den Fugen. Wo vorher liebevoll eingespielte Rituale der Konfliktbewältigung die Familienverhältnisse regelten, führen nun Schmerz, Trauer und Wut zu gegenseitiger Entfremdung. Die Zurückgebliebenen sind zunächst unfähig, einander zu trösten. Der - erneut von Moretti verkörperte - Vater sucht nach immer neuen Ursachen und Schuldigen für den Tod des Sohnes. Erst am Ende eines langen Entwicklungsprozesses kann er diese sinnlose Suche aufgeben - und die Unwiderruflichkeit des danach anerkennen, indem er den neuen Freund des Mädchens, mit dem der Sohn seine erste Liebesbeziehung hatte, akzeptiert.
Trotz des vertrauten Themas ist Das Zimmer meines Sohnes ganz anders als Morettis frühere Filme; es heißt, er sei nun endgültig erwachsen oder, weniger freundlich formuliert, alt geworden. Während er in Liebes Tagebuch noch auf der Jugendlichkeit eines Mittvierzigers beharrte, zeigte Aprile bereits den Übergang zur Vaterschaft. In Das Zimmer meines Sohnes hat der Nachwuchs nun das Adoleszenz-Alter erreicht. Die Alterung schlägt sich aber auch in anderen Aspekten nieder: Moretti spielt hier keinen Nonkonformisten mehr, sondern einen etablierten Psychoanalytiker; die lose, zwischen Fiktion und Dokument stehende Tagebuchform von früher ist durch eine geradlinige, eindeutig fiktionale Erzählung abgelöst; an die Stelle der einstigen absurd-hysterischen Komik ist eine ungewohnt behutsame Auslotung menschlichen Leidens getreten.
Entscheidend verändert hat sich damit auch die Erzählperspektive: Im Zentrum der früheren Filme stand ausschließlich Moretti selbst. Doch weil die von ihm verkörperten Kunstfiguren stets politische Menschen waren, schloss dies den Bezug zur Gesellschaft keineswegs aus, sondern stellte ihn gerade her - davor und danach waren historische Kategorien. Ob Moretti den Ball in die linke oder die rechte Torecke warf, war nicht nur eine sportliche, sondern auch - und in der beschriebenen Schlussszene vor allem - eine politische Entscheidung. In Das Zimmer meines Sohnes lässt Moretti den anderen Figuren viel mehr Raum als in seinen früheren Filmen. Das führt aber überraschenderweise nicht zu einer Verstärkung der politischen Dimension, sondern zu deren Verschwinden: Aus den Territorien der Kleinfamilie und der Psychoanalyse gibt es keinen Weg mehr hinaus. Das Persönliche birgt nichts Politisches mehr.
Einen Hauch des ehemaligen kritischen Geistes bewahrt sich Moretti allenfalls, wenn er der traditionellen Überschätzung des Psychoanalytikers entgegenarbeitet, indem er diesen als einen ganz gewöhnlichen Menschen erscheinen lässt: als einen, der seine eigenen Ängste und Begehren hat und der den Tod seines Sohnes so wenig bewältigt, dass er selbst den Rat eines Analytikerkollegen braucht und die eigene therapeutische Arbeit abbrechen muss; als ein Subjekt eben, das nicht mehr weiß als andere, sondern dem - wie von Lacan formuliert - ein solches Wissen bloß unterstellt wird.
Den stärksten Bruch mit den früheren Filmen markiert aber der Umstand, dass in Das Zimmer meines Sohnes die Rückkehr zum davor eine zwar letztlich unerfüllbare, aber um so ersehntere Utopie bleibt. Die letzte Einstellung zeigt, wie Vater, Mutter und Tochter an einem von der Morgensonne beschienenen Strand vorsichtig wieder zueinander finden, als wollte uns Moretti sagen, dass so wenig sich die Zeit zurückdrehen lässt, sie doch alle Wunden heilt. Die früheren Filme vertraten da noch eine andere, weniger versöhnliche Zeittheorie.
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