Terrorismus! Seit der großen Koalition von Amerika gegen alles, was dem Denken des Empire entgegensteht, scheint dieses Wort zu einer Universalformel für jede Art von Gewaltkonflikten zu werden. Sie hat die eigentümliche Nebenwirkung, dass sie den Staat als Konfliktpartei immer schon ins Recht setzt, egal wie er verfasst ist und wie er sich in diesem Konflikt gebärdet. Auf der anderen Seite entzieht die Terrorismusformel den nichtstaatlichen Konfliktparteien jedes politische Anliegen. Sie erscheinen als rein religiös oder ethnisch definierte Gemeinschaften, die außerhalb der Legalität schlichte Privatinteressen mit den Mitteln der Gewalt durchsetzen wollen. Deshalb ist in dieser Formel die undiskutierte Gleichsetzung von Terrorist und Verbrecher intendier
iert und die Koalition im Kern nicht als eine militärische, sondern als eine polizeiliche Sicherheitsmaßnahme im weltweiten Maßstab gedacht. Hinter der Idee einer die Konfliktpotentiale regelnden Weltpolizei verbirgt sich eine generelle Tendenz zur Privatisierung von Gewalt. Seien es auf internationaler Ebene Staaten des Bösen oder innerhalb einer Gesellschaft vom Bösen heimgesuchte Amokläufer, so erscheint die Gewalt, die von diesen ausgeht, vor allem als ein Sicherheitsrisiko. Die Ursachen von Gewalt werden nicht mehr eingebettet in eine Analyse dessen, was einmal "strukturelle Gewalt" genannt wurde. Das Problem sind allein diejenigen, von denen die Gewalt augenscheinlich ausgeht. Und die Lösung besteht deshalb darin, sie frühzeitig zu enttarnen und möglichst effektiv zu separieren. Weil sich die zunehmende Gewalt sowohl im Zentrum der Gesellschaft als auch zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Parteien nicht mehr als politische zeigt, kann ihre Lösung auch weitgehend in polizeitechnischen Kategorien vorgestellt werden, häufig auch präventiv durch eine immer stärker werdende Kontrolle des Privaten, jener unsichtbaren Bedrohung der Macht des Empire. Dabei wird das zivile Leben mehr und mehr zum Teil eines umfassenden Sicherheitskonzepts. Dessen Disziplinierung der kleinsten Regung kann gar nicht genug darüber beunruhigt sein, ob sich hinter jedem Privaten möglicher Weise ein Feind verborgen halten kann. Der wohl berühmteste und meistgesuchteste Terrorist Illich Ramíres Sánchez alias Carlos soll zur Rechtfertigung der Opfer bei den Terroranschlägen auf das Pentagon und das World Trade Center gesagt haben, dass es sich in beiden Fällen um feindliche Soldaten gehandelt habe, einmal um Soldaten in Uniformen und einmal um Soldaten in Krawatten. Nach einer blutigen Karriere als Auftragsterrorist sitzt Carlos inzwischen in einem Pariser Gefängnis zu lebenslanger Haft ein. Keine Terrororganisation scheint sich mehr die Mühe zu machen, den Veteran des ersten internationalen Terrors freizupressen. So wie er dies selbst mit Weggenossen zum Teil erfolgreich gemacht hat. Aus seinem Gefängnis heraus ließ Carlos jüngst verlauten, dass er in dem Terror des Netzwerks von Al Qaida die Fortsetzung seines eigenen Kampfes sehe: antiamerikanistisch, antizionistisch, antiimperialistisch. Und das, obwohl sein Kontaktversuch mit der Terrorgruppe 1993 im Sudan kläglich scheiterte. Ein Jahr später wurde er vom Sudan an Frankreich ausgeliefert, gegen das er einen erbitterten Bombenkrieg geführt hatte, um seine Geliebte Magdalena Kopp aus der Gefangenschaft zu befreien. Mit der Verhaftung von Carlos endete jedoch keineswegs der internationale Terror, was sich erst später herausstellte. Für Osama bin Laden, der ebenfalls im Sudan sein Basislager hatte, interessierte sich zu der Zeit noch niemand, weil er schließlich zusammen mit der CIA gegen die Sowjetunion gekämpft hatte. Dennoch beendete die Verhaftung von Carlos eine Etappe, in der sich der Terrorismus auf einem neuen internationalen Niveau organisierte und in der sich so etwas wie ein Markt für eine global operierende Söldnertruppe herausbildete. Den abzuschöpfen verstand offensichtlich kein anderer so gut wie dieser venezolanische Dandy mit - nach Zeugenaussagen - sehr viel Charisma. In seiner Studie Im Schatten des Schakals unternimmt Oliver Ström nun den Versuch, diese Etappe nachzuzeichnen. Auch wenn sein Buch keine Biographie des berüchtigten Schakals sein soll, steht dessen Person doch im Vordergrund. Diesen Beinamen hatte Carlos sich erworben, als er bei der Verhaftung wegen des Verdachts, den Anschlag auf eine israelische Passagiermaschine auf dem Pariser Flughafen Orly koordiniert zu haben, die französischen Polizisten kurzerhand erschoss. Man verglich den schwer einzuordnenden Terroristen mit der Hauptfigur aus dem Roman Der Schakal des britischen Bestsellerautors Frederick Forsyth, weil er eher einem Killer als einem Terroristenchef ähnelte. Die Liste seiner Auftraggeber von der Volksfront für die Befreiung Palästinas, die den Verhandlungskurs von PLO-Chef Arafat nicht mittragen wollte, bis hin zu den Geheimdiensten von Libyen, Irak oder gar Rumänien liest sich dann auch wie eine Menükarte der internationalen Terrorismus-Küche. Bei dem brutalen Überfall im Auftrag Libyens auf die OPEC-Konferenz in Wien im Jahr 1975 zeigte er schließlich auch noch kaufmännisches Geschick, indem er die bestellte Ermordung des saudi-arabischen und des iranischen Ölministers gegen eine saftige Auslösesumme nicht durchführte. Dadurch, dass er immer zugleich für mehrere Seiten arbeitete, konnte Carlos sich sogar eine gewisse Unabhängigkeit von seinen Auftraggebern bewahren, die ihm die Möglichkeit gab, seine eigene Terrorgruppe Organisation Internationaler Revolutionäre wie ein Dienstleistungsunternehmen zu führen. Besonderes Augenmerk legt die wie ein Krimi erzählte Studie auf die Verbindung der deutschen Terrorgruppe Revolutionäre Zellen (RZ) zu Carlos. Während die RAF die RZ-Mitglieder als Freizeitrevolutionäre verachtete, weil diese zunächst nicht im Untergrund lebten, sondern sich mit einem bürgerlichen Leben tarnten, muss der Anteil der RZ am internationalen Terrorismus wesentlich höher eingeschätzt werden. In Figuren wie Hans-Joachim Klein oder Johannes Weinrich fand Carlos offensichtlich sehr ergebene Mitarbeiter. In den Augen Schröms wirken dabei die Deutschen wie arme opferbereite Idealisten, deren Carlos sich jederzeit mit hoher Zuverlässigkeit bedienen konnte. Überhaupt nimmt die personenzentrierte Erklärung der Entstehung des internationalen Terrorismus den größten Teil der Studie ein. Es mutet seltsam an, wenn immer wieder die Eitelkeit, der großspurige Lebensstil und die Liebschaften des Schakals für die Motivation einzelner Aktionen herangezogen werden. Fast so, als könnte man die Ereignisse nur in dem Maße verstehen, als es gelingt, ihnen ein menschliches Gesicht zu geben. Und zwar ein solches, das durch und durch unglaubwürdig ist und trotzdem verständlich. Als sei es besonders abscheulich, Terror zu verüben und Champagner zu trinken. Zwar vollzieht die Studie die einzelnen Stationen der Karriere des Topterroristen aufs genauste und lüftet den Mythos um die Figur Carlos. Sie stellt ihn in weiten Teilen als eher lächerliche und ängstlich egozentrische Figur dar. Für Schröm empfiehlt sie sich deshalb keineswegs zum Revolutionshelden. Aber genau dadurch wird dem Bedürfnis, dem Terror das Gesicht eines Einzelnen zu geben, seine unpolitische Seite belassen. Der Studie Ströms fehlt es an einer systemischen Grundlage, die die Bedingungen analysiert, unter denen Terror gerade nicht als die Tat eines wie auch immer durch psychologische Dispositionen motivierten Einzelnen verstanden werden kann. Auch wenn das von Carlos beschriebene Bild der Soldaten in Krawatten im World Trade Center nicht stimmig ist, weil diese Soldaten niemals rekrutiert wurden und Krawatten eben keine regulären Abzeichen sind, zeigt es nicht nur auf ein irriges Denken im Kopf eines Rentnerterroristen. Es deutet vielmehr an, dass wir uns schon längst in einem Weltbürgerkrieg befinden, in dem sich auf beiden Seiten keine regulären Armeen mehr gegenüber stehen.Oliver Schröms: Im Schatten des Schakals. Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus. Christoph Links-Verlag, Berlin 2002, 334 S., 17,90 EUR
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