Dass der deutsche Terrorismus der siebziger Jahre genau in dem Moment noch einmal thematisch wurde, als die so genannte »68er«-Generation ihren Marsch durch und in die Institutionen auf höchster Ebene endlich abgeschlossen hatte, war natürlich kein Zufall. Die wichtigste Bedingung für die Historisierung der »bleiernen Zeit« war schon Jahre vorher durch die merkwürdig unspektakuläre Selbstauflösung der »RAF« gegeben. Hinzu kam die Öffnung der DDR-Archive, die ebenfalls für eine gewisse Entzauberung des Mythos »RAF« sorgte. Auch wenn die Verstrickungen einiger inzwischen etablierter »68er« in Sympathisanten- und Unterstützerkreise zunächst für heftige Aufgeregtheiten sorgten, so muss man
an doch sagen, dass es sich im Kern um eine Aussöhnung mit einem Stück deutscher Vergangenheit handelte.Denn parallel zu den publizistischen Debatten vollzog sich in Film und Literatur eine neue Rezeptionsphase des »deutschen Terrorismus«, die sich vor allem dadurch auszeichnete, dass die Regisseure und Autoren sich nicht mehr unter dem Druck sahen, Stellung zu beziehen. Zugleich wurde das Thema salonfähig; Ästhetisierungen und Mythisierungen, die untergründig gerade die »RAF« schon sehr früh begleitet und ihren medialen Erfolg konstituiert haben, fanden Eingang in eine breitere Öffentlichkeit. Man könnte sagen, es handelte sich um eine Beobachtung »zweiter Ordnung«, die sich mehr für die Erzählmuster und die Repräsentation der Geschichte als für die politischen Auseinandersetzungen interessierte. Gerade das unterstreicht aber noch einmal die historische Distanz als zentrales Kennzeichen dieser Rezeption.Die »Gewaltfrage«, die sich hinter dem Thema »deutscher Terrorismus« verbirgt, korrespondiert dabei einer anderen »Gewaltfrage« deutscher Außenpolitik, die wiederum eng mit einem Thema verknüpft ist, das meist unter dem Stichwort »Auschwitz« zusammengefasst wird. Schließlich ist es ebenso kein Zufall, dass gerade diejenige Generation den »Auschwitz«-Topos als Legitimation für einen Kriegseinsatz aufrufen konnte, deren eigene Revolte sich an der faschistischen Elterngeneration entzündet hatte. In diese Logik der Umbesetzung reiht sich auch die Aussöhnung mit dem »deutschen Terrorismus« ein. In gewisser Weise könnte man sogar von einer »Normalisierung« deutscher Geschichte sprechen, die sowohl »Auschwitz« als auch den Komplex »RAF« umfasst und zugleich eine »Normalisierung« deutscher Außenpolitik möglich macht. Denn selbst die derzeitige Beteiligung am »Kampf gegen den Terrorismus« und seine innenpolitischen Konsequenzen setzt die Entkopplung des »deutschen Terrorismus« vom aktuellen Terrorismus voraus. Sonst würden sich vielleicht Verknüpfungen ergeben, die mit der scheinbar selbstverständlichen Terrorismus-Semantik zugleich ganz andere Fragen wieder wach rufen könnten. Die Aussöhnung besteht deshalb darin, dass beide »Seiten« damals - sowohl der Staat als auch die Terroristen - auf der falschen Seite gestanden haben, was es umgekehrt jetzt möglich macht, auf der richtigen Seite zu stehen.Am deutlichsten vielleicht kann man das an dem Film Black Box BRD sehen. Der Film des Dokumentarregisseurs Andres Veiel ist ein Meisterwerk an Ausgewogenheit. Zunächst sind Jugendbilder von einem vergnügten Urlaub am Strand zu sehen. Wolfgang Grams in allerbester Laune. Und der Zuschauer versucht, aus dem Gesicht irgendwelche Zeichen herauszulesen, die auf den zukünftigen Topterroristen verweisen. Aber da sind keine. Später wird er erfahren, dass eben jener, den man für einen Hauptprotagonisten der »dritten Generation« der »RAF« hält, eigentlich hätte Musiker werden sollen, bei seiner Begabung. Wie so manche seiner Generation erscheint Grams als ein sensibler junger Mann, dem die Kunst nicht genügend Mittel an die Hand gab.Im Gegenzug sieht man Fotoporträts von Alfred Herrhausen, ein schneidiger junger Mann, ehrgeizig, gut aussehend. Der Erfolg ist ihm schon ins Gesicht geschrieben. Eben ein Eliteschüler, wenn auch von einer NS-Elite-Schule, ein Makel, der ihm nicht wirklich geschadet hat. Auf diese Weise werden zwei Biographien ineinander geschnitten, deren Fluchtpunkt das Attentat von 1989 auf den Vorstandssprecher der Deutschen Bank ist. Mal sieht man einen jungen Mann mit rauschendem Vollbart, einem Hippie ähnlich, mal ein gut frisiertes und frisch rasiertes Gesicht aus der Welt der Wirtschaft. Beide Physiognomien scheinen den Lebensweg der Porträtierten nachzuzeichnen, bis im Falle des Terroristen die Dokumente ausbleiben. Während das Leben von Alfred Herrhausen gut dokumentiert ist, gibt es von Grams bald keine visuellen Zeugnisse mehr. Die Entscheidung, in den Untergrund zu gehen, bedeutet eben auch, möglichst unsichtbar zu sein.Spätestens hier wird fraglich, ob man für beide Lebensläufe die gleiche filmische Erzählperspektive wählen kann, deren Funktion darin besteht, beide Protagonisten in das »gleiche Licht« zu rücken. Schließlich repräsentieren Herrhausen und Grams auch die Lebenswelten, die Institutionen und die Machtstrukturen, aus denen sie hervorgegangen sind. Schon eine der ersten Einstellungen auf die repräsentative Bank-Architektur macht deutlich, dass hier noch mindestens ein weiterer Protagonist mitspielt. Die Gespräche mit den Vorstandsmitgliedern des mächtigsten deutschen Wirtschaftsunternehmens sind der gelungenste Teil des Films. Nicht weil irgendwelche Geheimnisse ausgeplaudert werden und wenigstens diese »Black Box« für den Zuschauer geöffnet wird, sondern weil in jeder Geste der ganze Habitus der Deutsch-Banker präsent ist. Fast ethnologisch möchte man den Kamerablick auf diese seltsame Sorte von mächtigen Männern nennen, die noch in der allergrößten Diskretion breitschultrig zur Schau stellen, dass sie dem innersten Zirkel der Macht angehören.An die Stelle der sichtbaren Dokumente treten bei Grams Gespräche mit den Eltern, dem Bruder und mit Freunden. Aber wie man weiß, hat die Rede über einen Toten ihre eigenen Gesetze. Über Tote redet man nicht schlecht. Das gilt natürlich auch für Herrhausen. So hat man manchmal den Eindruck, dass sich im Nachhinein ein Sympathie-Wettbewerb einstellt. Zum tragikkomischen Höhepunkt kommt es, wenn die Eltern liebevoll Selbstgestricktes aus dem Untergrund präsentieren und wenn ausgerechnet Herrhausen ein Denkmal für die Entschuldungspolitik der »Dritten Welt« gesetzt werden soll. Zum Glück korrigiert das der Film auf beiläufige Weise. Wie so häufig erfährt man mehr über die Sprechenden als von dem, worüber sie reden. Umso entscheidender ist das Fehlen einer visuellen Reflexion darauf, dass die Geschichte von Siegern geschrieben wird. Und zwar nicht, weil die Macht der Sieger unbegrenzt wäre, sondern einfach, weil es von den Siegern in der Regel mehr Dokumente gibt.Was auf den ersten Blick als versöhnliche Geste erscheint, begräbt allzu leicht das Rätsel, das der Film im Titel trägt. Dass Veiel auf jeden Kommentar verzichtet, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Aber dass er ästhetische Mittel einsetzt, die gerade nicht der Frage nach der Sichtbarkeit nachgehen, sehr wohl. Denn auch wenn es dem Film offensichtlich nicht darum geht und auch nicht gehen muss, neues Material zu den Todesfällen von Grams und Herrhausen zu präsentieren, so muss er sich doch die Frage nach der Politik des Erinnerns stellen. Interessant ist deswegen, wer sich der Mitarbeit verweigert hat. Im Abspann wird zwar Birgit Hogefeld gedankt, aber im Film kommt sie nicht zu Wort. Sie befürchtete Black Box BRD werde das Leben von Wolfgang Grams zur Karikatur werden lassen, wenn man nicht die Fragen stellt, die auch heute noch brisant sind. Denn sowohl das Attentat auf Herrhausen als auch die mysteriösen Umstände bei dem Tod von Grams sind keineswegs aufgeklärt. Um die Fallen dieser »Black Boxes« zu umgehen, macht der Film sie ein klein wenig dunkler, als nötig gewesen wäre. So wird leicht vergessen, dass gerade die Geschichte der »dritten Generation« der »RAF« keineswegs abgeschlossen ist. Zumindest solange es sich noch um strafrechtlich relevantes Wissen handelt. Den enormen politischen Druck, der auf diesem Thema lastet, vermittelt der Film nicht.Nun könnte man meinen, dass die Komplexität, die dem Film zumindest teilweise fehlt, dem Medium Buch eher zugetraut wird. Aber auch wenn das Buch Black Box BRD um viele sehr lesenswerte Recherchen erweitert ist, so bleibt es doch der gleichen Erzählstruktur verhaftet. Man muss tatsächlich im engeren Sinn von einem Buch zum Film sprechen. So steht auch hier aufgrund der Quellenlage die Bankgeschichte im Vordergrund und die Doppelbiographie, die sich andeutungsweise im Attentat der »RAF« von 1989 kreuzen soll, geht nicht auf. Vielleicht ist die symmetrische Gegenüberstellung von Grams und Herrhausen deshalb nicht erhellend, weil es einen detaillierten Wolfgang Grams nicht gibt. Über die innere Führungsstruktur der Deutschen Bank dagegen hätte man gerne mehr gelesen. Aber warum müssen eigentlich alle Sachbücher dieses Genres immer so anfangen: »8.30 Uhr. Ein kalter, klarer Morgen. Der Chauffeur ...« Gerade dann, wenn sie nicht die harte Sprache der Wahrheit sprechen wollen.Andreas Veiel: Black Box BRD. Alfred Herrhausen, die Deutsche Bank, die RAF und Wolfgang Grams. DVA, München 2002, 282 S., 19,90 EUR
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