Im Juli 1932 geschah das Unwahrscheinliche. Zahlreiche Unternehmer schlossen sich dem Appell der Gewerkschaften an und forderten die Einführung der 30-Stunden-Woche. Ein Jahr später machte Franklin D. Roosevelt Ernst und setzte den New Deal in die Praxis um. Was war geschehen? Trotz der enormen Produktivzuwächse wurde die Arbeitslosigkeit nicht mehr bloß zu einem Problem der Arbeitslosen. Innovationen und Rationalisierung vernichteten mehr Arbeitsplätze, als im gleichen Moment entstanden. Die Löhne zu erhöhen, erschien als der einzige Ausweg und die Erfindung des Konsumenten als die bestmögliche Antwort auf die strukturelle Wirtschaftskrise. So ungefähr erzählen Sozialliberale gerne die Geschichte der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung. Ein Deal zwischen Gewerkschaften und Unternehmen, der aus Löhnen den Wirtschaftsfaktor Kaufkraft macht. Ein Vertrag also, der alle gesellschaftlichen Kräfte umfassen und für alle von Vorteil sein soll. Und ein Tausch, bei dem jeder mehr bekommt, als er vorher besessen hat. Solange die Kräfte ausbalanciert sind.
Der zweite Teil der Geschichte heißt Krieg. Erst der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg beendete die Wirtschaftskrise tatsächlich und hinterließ das, was man den "militärisch-industriellen Komplex" (MIK) nennt. Dieser Komplex bewirkte zweierlei: erstens sorgte er als staatliche subventionierte Rüstungsindustrie mittels einer gigantischen Verschwendung für eine gigantische Nachfrage. Zweitens wirkte er als Imperialismus oder, wie man zu sagen pflegt, als Erschließung neuer Märkte. Das heißt konkret als Kampf gegen andere Wirtschaftsordnungen, als gewaltsame Herstellung eines einheitlichen Weltmarktes. Seit den siebziger Jahren wird die so geschaffene Wirtschaftsordnung erneut von einer strukturellen Krise heimgesucht.
Trotz enormer Produktivzuwächse haben alle Industrienationen mit einer Massenarbeitslosigkeit zu kämpfen. Zunächst im Bereich der Fabrikarbeit. Innovation und Rationalisierung vernichten wiederum deutlich mehr Arbeitsplätze, als durch die Erschließung neuer Produktionssektoren entstehen. Die neoliberalen Diskurse, die seit dem Ende der achtziger Jahre das politische Feld beherrschen und sich vor allem gegen die Gewerkschaften richten, deuten darauf hin, dass sich das Kräftespiel nicht mehr in der Ordnung des New Deal austarieren lässt. Sozialabbau und die Abschiebung von Arbeitnehmern in Billiglohnjobs drängen eine Interpretation des Rückschritts auf.
Tatsächlich aber ist das nationale Kräftespiel aus einem viel gravierenderen Grund in Frage gestellt. Der Vertrag, der die antagonistischen Interessen von Unternehmern und Arbeitnehmern im Paradigma des Konsums aufheben sollte und in Wirklichkeit eine Einigung zu Lasten eines Dritten darstellt, hat seine Grundlagen eingebüßt. Globalisierung ist nur ein anderes Wort dafür, dass der Imperialismus an seine Grenzen gestoßen ist. Im Prinzip sind alle Märkte erschlossen. Der MIK zeigt sich daher nicht mehr als Imperialismus, sondern in Form einer weltweiten Polizei. Aus diesem Grund können die Bekämpfung des Terrorismus und der Krieg gegen den Irak nach dem gleichen Muster ablaufen. In diesem Punkt sind die USA und die UNO weniger weit auseinander, als man annehmen möchte. Sie organisieren das internationale Kräftespiel nach dem Muster einer weltweiten Kontrolle, sie überwachen die Regeln des Weltmarktes.
Als Reaktion auf die gegenwärtige Wirtschaftkrise propagieren alle maßgeblichen Parteien eine Dynamisierung des Marktes - ohne allerdings dem Zusammenhang von Kriegswirtschaft, Konsum und Staatsverschuldung Rechnung zu tragen, der sowohl die Konjunkturen des Binnenmarktes als auch die des Exports in den letzten Jahrzehnten bestimmt hat. Die tagtäglichen Beschwörungen von Wirtschaftsdaten unterscheiden sich nicht wesentlich von den sozialistischen Orakelsprüchen zum Plansoll. Sie sind das Zeichen von Altersstarrsinn. Denn niemand weiß, woher diese Dynamik eigentlich kommen soll. In seinem wiederaufgelegten und aktualisierten Buch mit dem programmatischen Titel Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft hat der amerikanische Theoretiker Jeremy Rifkin deshalb einen zweiten New Deal vorgeschlagen.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist zunächst einmal die Einsicht, dass die Angebotstheorie ein überholtes ökonomisches Paradigma darstellt. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil sowohl die private als auch die öffentliche Verschuldung ein Maß angenommen haben, das den Kreislauf von Kaufkraft und Wirtschaftswachstum erheblich destabilisiert. Gegenwärtig wird deutlich, wie entscheidend sich dieser Kreislauf überhaupt erst der Verschuldung verdankt. Nicht nur private Haushalte können auf einmal als Wirtschaftsteilnehmer verschwinden, sondern auch staatliche. Wenn somit der Staat gezwungen ist, sich aus zentralen Politikfeldern zurückzuziehen, und folglich die Auswirkungen der Rationalisierung nicht mehr bewältigen kann, ergibt sich eine Abwärtsspirale. In den USA und in England, den Vorreitern liberaler Politik, wurde dieses Problem zunächst auf die sozial Schwachen abgewälzt. Bei gleichzeitiger Vermehrung des Reichtums entstanden so neue Formen der Verelendung.
Auch in Deutschland fallen solche Reformen so lange leicht, wie sie allein die sozial Schwachen betreffen. Der Konsens der Gesicherten ist damit nicht in Frage gestellt. Die Folgen dieser Politik werden allerdings dann unübersehbar, wenn die abnehmende Kaufkraft nicht mehr durch eine Verschuldung kompensiert werden kann und das Maß der Destabilisierung auch die Mittelklasse erreicht hat, jenen Teil der Gesellschaft, der sich bislang nicht von der technologischen Arbeitslosigkeit betroffen sah. Aber inzwischen hat sich herumgesprochen, dass auch ein Studium der Betriebswirtschaft nicht mehr vor dem Arbeitsamt schützt. Arbeitslosigkeit ist längst kein ausschließliches Problem der Fabrikarbeiter mehr, sondern ebenso des Bankenwesens und aller personalintensiven Industrien. Weil aber gerade die Mittelklasse das genuine Produkt des New Deal war, wird dieser diese Einsicht besonders schwer fallen.
Die zweite Einsicht, die Rifkin gegen den Mythos vom Wachstum anmahnt, betrifft die Abkehr von der Hoffnung, dass neue Technologien so viele Arbeitsplätze schaffen wie sie vernichten. Nach dem Boom der neunziger Jahre ist diese Tatsache schwer zu leugnen. Egal ob die Gewerkschaften nun hohe oder gemäßigte Forderungen stellen, niemals sind so viele Arbeitsplätze entstanden, wie im gleichen Moment wegrationalisiert wurden. Und es gibt keinen Grund, warum das in Zukunft anders sein sollte. Dass sich der herbeigesehnte Aufschwung als ein jobless recovery herausstellt, könnte also zum Dauerzustand werden. Deshalb geht Rifkin von der These aus, dass weder der öffentliche Sektor noch der freie Markt die technologische Arbeitslosigkeit bewältigen können.
Wie viele amerikanische Theoretiker sieht Rifkin die Nachbarschaftshilfe als eine eigenständige politische Kraft an. Schon Hegel hat den protestantischen Norden Amerikas dem katholischen Süden als überlegen begriffen, weil die Gemeinde auf Vertrauen und nicht auf staatliche Strukturen setzt. Tatsächlich hat das Misstrauen in klassische Betriebswirtschaftslehren zu einer Reihe von nicht auf Profit abzielenden Unternehmensgründungen geführt, die unter Umständen länger Bestand haben als kapitalabhängige Betriebe. Als besonders prägnantes Beispiel für den Nonprofitsektor nennt Rifkin das Konzept von so genannten Zeitbanken, eine Art professionelle Nachbarschaftshilfe. Eine Person gibt eine Stunde ihrer Freizeit her und wird dafür mit einem Zeitdollar belohnt. So entsteht eine parallele Sozialwährung, die jede in dieser Stunde erbrachte Leistung gleich bewertet und dadurch eine reziproke Verpflichtung erzeugt. Im Unterschied zum Finanzkapital kommt das Sozialkapital folglich immer der Gemeinschaft zugute.
So utopisch sich diese Konzeption anhört, so nachdrücklich reiht sich Rifkin damit in die Reihe derjenigen Theoretiker ein, die nach einem Vergemeinschaftungsprinzip jenseits von Markt und Staat suchen. Kein Zufall ist es, dass dabei immer wieder die Produktionsbereiche des Sozialen, der Gesundheit, der Bildung und der Gefühle ins Zentrum rücken. Denn es handelt sich um diejenigen Bereiche, die zunehmend von der staatlichen Aufsicht in die marktwirtschaftliche Dimension übergehen, ohne darin aufzugehen. Was in Wirklichkeit in den letzten Jahrzehnten ins Wanken geraten ist, betrifft die strikte Trennung zwischen dem Kommerziellen und dem Privaten. Die viel diskutierte Durchdringung der Lebenswelt von marktwirtschaftlichen Gesetzen zerstört das, was als Trennung in eine Welt des Profits und eine Welt der Hingabe zugleich ihre Grundlage ausmacht. Indem die sozialen Einheiten - vor allem die Familie - zersetzt werden, wird es zugleich möglich, diese neu zu organisieren. Während der New Deal die Mittelstandsfamilie zum ökonomischen Ideal erhoben hat, rücken gegenwärtig deren Zerfallsprodukte ins Zentrum. Soziale Bewegungen speisen sich vor allem aus denjenigen, die sich nicht mehr in diesem Ideal aufgehoben sehen. Das können ganz heterogene Gruppen sein, die ihre Vergemeinschaftung auf eine andere Weise organisieren müssen. Wie bei Michael Hardt und Toni Negri wird damit der dritte Sektor für Rifkin zum eigentlichen Hoffnungsträger, und zwar genau in dem Moment, in dem die soziale Not - nicht nur ökonomisch - am größten ist. Eine gut eingeübte Gedankenfigur in der Katastrophen-Moderne.
Trotzdem ist Rifkins These zum dritten Sektor nicht zuletzt aus dem Grund so diskutierenswert, weil die zukünftige Kraft nicht allein in den hochentwickelten Gesellschaften zu suchen ist, sondern gerade in solchen, in denen schon jetzt zwei Wirtschaftsordnungen nebeneinander bestehen: eine Tauschwirtschaft und eine Kapitalwirtschaft. Allerdings darf man sich deren Koexistenz vielleicht nicht ganz so freundlich vorstellen. Denn es ist leicht einzusehen, dass nur diejenigen, die aus der Kapitalwirtschaft zunehmend weniger Vorteile ziehen können, einen Grund haben werden, andere Kreisläufe aufzubauen. Und das wird erst dann wirklich der Fall sein, wenn die Mittelschicht selbst durch die fortschreitende Rationalisierung gespalten wird. In Gesellschaften, in denen zwei Wirtschaftsordnungen bestehen, ist die Mittelschicht nämlich nicht mehr die prägende Schicht. Wie bei allen Deals bleibt bleibt daher die Frage offen, in wessen Interesse er geschlossen wird zu wessen Lasten er geht. Einen Vertrag, bei dem jeder mehr bekommt, als er vorher besessen hat, wird es nicht geben.
Jeremy Rifkin, geboren 1945, ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends in Washington. Mit seinen zeitkritischen Büchern bringt er die großen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Trends auf den Punkt. Bestseller wie "Das Ende der Arbeit" (Bd. 15156) wurden in sechzehn Sprachen übersetzt und lösten internationale Debatten aus. Rifkin ist als Berater mehrerer Regierungen tätig und unterrichtet an der renommierten Wharton School. | |
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