Medien dienen nicht nur der Kommunikation, sie sind immer auch ein großes Versprechen. So haben Bücher schon seit Jahrhunderten Menschlichkeit versprochen. Noch bevor das Buch in hoher Auflage reproduziert werden konnte, waren die Manuskriptbücher der antiken Autoren für den Dichter Petrarca beste Freunde, die man um sich herum versammeln, mit denen man sprechen oder spazieren gehen kann, die aber auch im Unterschied zu lebenden Freunden zur richtigen Zeit schweigen. Gerade weil Menschlichkeit in der Realität ein so schwieriges Unterfangen ist, konnte das Buch zum Ort des eigentlichen Lebens avancieren. Denn erst in dem Moment, wo es nicht mehr nur eine Reihe von Abschriften gab, sondern ein durch die Druckerpresse standardisiertes Exemplar, das viele Leser zur gle
gleichen Zeit erreichen konnte, erst in diesem Moment gab es auch so etwas wie einen gemeinsamen utopischen Raum der Literatur, der seine Kraft in den vergangenen Jahrhunderten auf sehr unterschiedliche Weise entfaltete. So wie man heute etwa davon spricht, dass man sich ins Internet wie in eine eigenständige Welt der Schatten begibt, so kann man die Erfahrung einer gedruckten Einbildungskraft seit der Erfindung des Buchdrucks für die Erfahrung und Gestaltung von Welt gar nicht hoch genug einschätzen. Wenn man eine Buchhandlung betritt, eine kleine und sorgfältig eingerichtete, wie die in Penelope Fitzgeralds Roman Die Buchhandlung, hat man es deshalb nicht nur mit Unterhaltungs-, Kommunikations- oder Informationsmedien zu tun, sondern vor allem mit Geistern.Wir befinden uns zum Ende der fünfziger Jahre in einer englischen Kleinstadt, weit genug entfernt von London. Keine Imbissbude, keine Wäscherei, keine Bibliothek, kein Kulturzentrum und Filmvorführungen nur an jedem zweiten Samstagabend. Florence Green ist eine sehr tapfere und sehr einsame Frau mittleren Alters. Warum sie gerade in Hardborough neu anfangen und eine Buchhandlung eröffnen will, erfahren wir nicht. Ähnlich geht es den Einwohnern des Städtchens, die alle ihre Sehnsüchte nach der neuen Zeit mit dem einzigen Zauberwort London verbinden. Warum Florence für ihre Geschäftsgründung sich gerade das Old House aussucht, in dem es nicht nur feucht ist, sondern auch noch zu spuken scheint, erfahren wir auch nicht. Nicht nur die Kredit gebende Bank und der vertretende Anwalt sehen das Unternehmen von Anfang an als ein großes wirtschaftliches Risiko. Auch die tonangebenden Persönlichkeiten der Kleinstadt geben ihr unmissverständlich zu verstehen, dass Erfolg oder Misserfolg einer dritten Kraft neben Kirche und wichtigen Empfängen zum Tee allein von ihrem Wohlwollen abhängen. Aber auch in diesem Punkt scheint Florence sich nicht weltlich zu verhalten. Überhaupt erfahren wir sehr wenig über ihr sehr englisches Innenleben, das kein Ich zu haben scheint, sondern nur einen beinahe sturen Traum, nämlich einmal im Leben eigenständig eine Buchhandlung zu führen. Dafür aber wissen wir am Ende des Buches, warum so viel unentgeldliche Energie im Buchgeschäft wie wahrscheinlich in keinem anderen Wirtschaftszweig steckt.Genauso wie es am Anfang sicher zu sein scheint, dass das kleine Städtchen alles mögliche braucht, nur eben keine Buchhandlung, so überzeugt glaubt man zum Ende, dass nur eine Buchhandlung die eingeschliffene Ordnung, wer mit wem spricht, derart nachhaltig durcheinander bringen konnte, ja sogar bis hin zu einem obskuren Tod. Als Florence in ihrer trotzig und frisch gegründeten Buchhandlung ein Buch namens Lolita von einem ausländischen Autor namens Nabokov verkauft, ist der Skandal perfekt. Es bilden sich Lager, Intrigen werden geschmiedet, Hinterhalte aufgebaut, zu denen sich Florence auffallend ungeschickt verhält. Aber es geschieht auch etwas anderes, nämlich unerwarteter Zuspruch von Menschen, mit denen sie zwar nie gesprochen hat, die aber sehr genau wissen, welchen Kampf die tapfere Frau da eigentlich führt. Trotz großer Beachtung, trotz guten Umsatzes muss sie ihr Geschäft zuletzt schließen. Dieses Scheitern aber, das Florence mit einer geradezu trockenen Traurigkeit hinnimmt, allegorisiert den Ort der Literatur überhaupt. So hat Florence zwar die Einwohner nicht überzeugen können, aber genau die erreicht, die sich selbst bastardisiert fühlen und schon lange auf ein Zeichen eines ebenfalls Ausgestoßenen warten. Aber Die Buchhandlung wäre kein Roman von Penelope Fitzgerald, wenn dieser Trost auf so etwas wie Hoffnung schließen ließe. Denn zum Wesen des Bastards gehört es auch, dass selbst wenn er einen Gleichgesinnten erkennt, er dennoch alleine bleibt.Penelope Fitzgerald verstarb vor kurzem im Alter von dreiundachtzig Jahren. Neben Der Buchhandlung (2000) liegen ihre Romane Frühlingsanfang (1991), Das Engelstor (1994) und die Romanbiographie über Novalis Die blaue Blume (1999) auf deutsch vor. Wenn Bücher so etwas wie Briefe mit manchmal sehr langem Postweg sind, dann ist Die Buchhandlung ein langer Abschiedsbrief eines Menschen von einem Traum, der vielleicht erst angekommen sein wird, wenn es keine gedruckte Einbildungskraft mehr gibt.Penelope Fitzgerald: Die Buchhandlung. Roman, Insel Berlag, Frankfurt am Main 2000, 184 S., 29, 80 DM
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