Von Onlyfans bis Twitter: Wie Pornographie jetzt auch die sozialen Medien erobert
Selfie Noch nie waren pornografische Inhalte so schnell erreichbar, wie mit dem Handy. Ein Klick und man ist bei Onlyfans und Twitter auf Seiten voller Videos und Bilder von vermeintlich authentischem Sex. Wie richtig ist das eigentlich?
Gilt die alte Definition von Pornografie, „I know it, when I see it“, auch in den sozialen Medien?
Foto: Ritzerfeld/Plainpicture
Ein Handyvideo: Zwei Männer haben Analsex. Nackte Haut klatscht aufeinander, lautes Stöhnen, es geht ziemlich zur Sache. Der aktive Part macht eine kurze Pause, zieht schnell sein Kondom ab und macht weiter wie zuvor. Gemerkt hat sein Sexpartner nichts. Das Video hat der Mann Ende vergangenen Jahres auf Twitter gepostet, dessen Follower reagierten empört. „Stealthing ist falsch und sollte nicht normalisiert werden“, kommentiert ein User den Post. Stealthing meint, das Kondom ohne die Einwilligung des Partners abzustreifen. In Deutschland ist das eine Straftat.
Der Übeltäter rechtfertigt sich: „Jungs, chillt. Das ist Porno. Viele meiner Geschichten sind erfunden, das hier ist keine Ausnahme.“ In der Kommentarspalte diskutieren die User daraufh
er daraufhin über die Rolle von Pornografie und welchen Einfluss sie auf das eigene Sexleben hat. Ein User empfiehlt dem Videoproduzenten: „148.000 Follower machen Dich irgendwie zu einem Vorbild, nutze das bitte weise!“ Der Twitterer zeigt sich reumütig und löscht das Video. Mittlerweile hat er knapp 20.000 Follower mehr.Pornografie erobert die sozialen Medien. Die Diskussion der Twitter-User unter dem Post zeigt das ganze Problem mit dieser neuesten Form der Darstellung von sexuellen Handlungen in nur wenigen Minuten und hundert Zeichen. Aber was da genau stattfindet, welche Auswirkungen das hat, wissen selbst Nutzer nicht. Ist Porno in den sozialen Medien Fiktion oder ein Ausdruck von Realität? Eine leichte Frage ist das nicht, aber man muss sie dringend stellen.Denn Pornografie in den sozialen Medien ist beliebt, das zeigen die nackten Zahlen. Mit Onlyfans gibt es eine Plattform, die sich fast ausschließlich darum dreht. Das Besondere an Onlyfans: Wer dort Fotos oder Videos einer Person sehen will, muss bezahlen. Meist um die zehn Euro pro Sex-Influencer und Monat. 2021 überwiesen die User 4,8 Milliarden Dollar an Onlyfans. Darüber freuten sich 2,1 Millionen Content-Ersteller. Das sind 1,8 Millionen Sexfluencer mehr als zwei Jahre zuvor. Mittlerweile gibt es sogar Menschen, die von der Plattform leben können.Höhepunkt der IllusionenDas enorme Wachstum von Onlyfans gibt einen generellen Eindruck vom Anstieg der Pornografie in den sozialen Medien. Denn die Sexfluencer der Plattform Onlyfans haben in der Regel auch einen Kanal auf Twitter, auf dem sie kostenlose Eindrücke von ihren Bezahlinhalten hochladen. Doch Porno-Twitter ist noch viel mehr. Neben professionellen Akteuren tweeten und interagieren auch normale Menschen – ganz ohne finanzielle Interessen. Nur dreht sich eben alles um Sex. Einer der User dort nennt sich „DomTopBln“. Seinen richtigen Namen möchte der Mann nicht in der Zeitung lesen, auch auf Twitter zeigt er nur Videos und Fotos von sich ohne Gesicht. Denn wenn er nicht gerade seinen erigierten Penis in Szene setzt oder sich beim Sex filmt, macht der Uni-Absolvent Karriere in der Geschäftswelt. Die Twitter-Aktivitäten kämen da nicht so gut an, befürchtet er. Sein Twitter-Profil ist typisch für das, was in den Porno-Social-Media geschieht. Ob anonym oder mit Gesicht, die Twitter-User machen ihre Sexualität zum digitalen Happening.„Mein Twitter-Profil ist mein Portfolio. Ich zeige dort, was mir Spaß macht“, sagt er. Das nutzt er, um sich mit anderen Twitter-Usern zum Sex zu verabreden. Wenn „DomTopBln“ gerade richtig Bock hat, zeigt er das in Tweets. Seine Follower antworten dann mit Nacktfotos und bewerben sich: Nimm doch mich! Und das funktioniert. Fünf bis zehn Nachrichten bekomme er pro Tag, mit ein paar Followern im Monat treffe er sich. Wenn sie Sex miteinander haben, posten sie davon natürlich Videos und verlinken ihre Twitter-Profile gegenseitig. „DomTopBln“ ist ein homosexueller Mann und bewegt sich damit in einer Community, die für ihre sexuelle Freizügigkeit bekannt ist. Aber Porno-Social-Media sind kein ausschließlich schwules Phänomen, sondern deckt viele Ausprägungen von Sexualität ab. Die sozialen Medien machen das Porno-Vergnügen vom passiven Konsum zu einer aktiven Tätigkeit.Aus gewöhnlichen Usern werden Pornodarsteller und professionelle Sexarbeiter agieren wie normale User. Wer wer ist, ist nicht immer zu unterscheiden. Bei „DomTopBln“ ist es zumindest eindeutig: Um Geld geht es ihm nicht. Zwar bietet er auch Premium Content gegen Bezahlung an, das Geld spendet der Berliner Geschäftsmann aber an die Hilfswerke der Vereinten Nationen. Mit dem Porno-Geld möchte er nichts zu tun haben. „Ich finde es einfach ein geiles Gefühl, dass mir 16.000 Menschen folgen und manche sogar für meine Videos bezahlen“, sagt er.Die Selfie-Kultur erobert den menschlichen Körper vollends. Frei nach dem Motto: Ich bekomme Likes, also bin ich ein wertvoller Mensch! Die Ästhetik der Fotos und Videos folgt der Logik der sozialen Medien, nach der das eigene Leben so authentisch wie möglich inszeniert werden soll. Egal ob Amateur oder Profi, in den Porno-Social-Media filmt man mit dem Handy in der Hand und grenzt sich von der Hochglanz-Pornografie ab. Die wackeligen Videos sehen aus, als wären sie aus dem Moment heraus entstanden.Damit führen die sozialen Medien die Illusionsmaschine der Pornografie zu einem Höhepunkt. Pornografie erscheint nicht mehr als fiktionale Parallelwelt, sondern als Ausdruck realer Möglichkeiten. Die Ästhetik der Authentizität funktioniert derart gut, dass viele User die Inszenierung nicht mehr erkennen. Auch der Twitter-User „DomTopBln“ kennt das. Seine Videos versteht er als kuratierten Ausschnitt aus seiner Realität. Vielen Followern müsse er aber erklären, dass er mehr sei als nur seine Videos. Auf seinem Profil präsentiert er eine härtere Gangart, abseits der Videos habe er auch Blümchensex. Warum er aber trotzdem ausschließlich den harten Mann gibt, lässt sich leicht erklären: Es klickt sich gut.Die Twitter-Pornos funktionieren da nicht anders als andere Formen der Pornografie: Sie sind umso erfolgreicher, je schablonenhafter sie die Fantasien ihrer Zuschauer bedienen – meistens sind das Männer. Die Erfolgsrezepte sind dabei recht traditionell: große Brüste, dicke Schwänze, zarte Frauen und starke Männer. Pornos reproduzieren stereotype Rollenbilder. Wer dem folgt, wird belohnt – ob mit Geld oder der Währung der sozialen Medien: Likes und Reichweite.Hochzeit der AmateureDas alles überrascht Sven Lewandowki nicht wirklich. Der Soziologe von der Universität Bielefeld forscht zu Amateur-Pornografie. Er macht deutlich, dass Pornografie stets die neuesten Medien ihrer Zeit besetzt und dabei deren Regeln übernimmt. Ob Buchdruck, Stummfilm oder VHS-Kassette, Pornos waren immer da. Und schon die alten Römer haben sie konsumiert – gemalt an Wände oder als Plastik. Klar, Stöhnen ist beim Stummfilm nicht so wichtig wie beim Online-Clip. Und wer eine DVD kauft, möchte für sein Geld auch möglichst viele Minuten mit nackter Haut bekommen. In der endlosen Verfügbarkeit des Internets spielt dieser ökonomische Gedanke keine Rolle mehr, die Streifen verkürzen sich auf das Wesentliche.Die Stärke des Internets ist die Demokratisierung. Nie war es so leicht, etwas zu veröffentlichen. Das gilt auch für Pornografisches. Heute muss man weder bei einem Porno-Label vorsprechen, noch braucht man teure Technik. Es reicht, sich mit dem Handy zu filmen und das ins Netz zu stellen. Die vielen Amateurpornos reihen sich in eine Gegenwart ein, die durch die sozialen Medien geprägt ist. „Sich medial zu präsentieren, ist zum kulturellen Muster geworden“, sagt der Wissenschaftler Lewandowski.Dass dies auch vor der Sexualität nicht halt mache, sei nicht verwunderlich. Nun ist Amateurpornografie kein reines Phänomen der Social-Media-Zeit, aber sie wird häufiger, beobachtet Lewandowski. Die Pornografisierung der Gesellschaft schreitet voran, und in der Logik der sozialen Medien werden die Pornos immer authentischer. Nicht mehr bildschöne Porno-Stars in perfekt ausgeleuchteten Filmsets begeistern die Menschen, sondern die Menschen von nebenan. Sie erzählen mit ihren Profilen eine Geschichte: Wir zeigen uns so, wie wir wirklich sind. Was bei uns passiert, könnte bei jedem zu Hause stattfinden. Und man glaubt das nur allzu gerne. Doch Social Media funktioniert bekanntermaßen nicht in dieser Form.Denn in den sozialen Medien präsentiert sich jeder so, wie er sein möchte. Auch der Twitter-User „DomTopBln“. „Online bin ich eine Persona“, sagt der junge Akademiker.„Persona“ als Begriff aus der Medien- und Kulturwissenschaft meint die öffentliche Rolle, die ein Mensch spielt. Das Wort stammt aus dem antiken Theater und bezeichnet die Masken, welche die Schauspieler getragen haben, damit die Zuschauer deren Rollen erkennen konnten. Auch in den Porno-Social-Media spielen die User Rollen. Nur tun sie alles daran, ihre Maske zu verbergen. Das Bild der Theatermaske fasst die Herausforderung zusammen: Um dieses Universum zu verstehen, braucht es neben Aufklärung vor allem Medienkompetenz. Denn nur damit können die Nutzer die Inszenierung erkennen.Laut einer Befragung der Universitäten Hohenheim und Münster von 2017 findet der Erstkontakt mit sexuell explizitem Material mit etwa 14 Jahren statt. Da wäre es gut, wenn die Jugendlichen wüssten, wie sie das Gesehene einordnen müssen. Der Porno-Forscher Sven Lewandowski befürchtet aber nicht, dass die sozialen Medien die Jugend sexuell verderben. „Schon seit Jahrhunderten gibt es die Idee, dass Pornografie die Jugend verroht“, sagt der Soziologe von der Universität Bielefeld. „Bisher ist das aber nie eingetroffen.“ Dass das Gesehene inszeniert ist und Sexualität nicht in all ihren Facetten abbildet, darauf sollte man Jugendliche vorbereiten, am besten vor Eintritt in die Pubertät. Doch Aufklärung und Medienkompetenz fallen nicht vom Himmel.Placeholder authorbio-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.