Teilnehmende Beobachtung

Kontrolle am Flughafen Deutschlands erster und einziger Abschiebungsbeobachter beendet zum Jahresende seinen Job

Mit 14 Koffern stehen die Eltern mit ihren vier Kindern am Düsseldorfer Flughafen und warten auf ihre Abschiebung. Ein Kleintransporter der Ausländerbehörde hat die Familie nachts in einem kleinen Ort bei Chemnitz abgeholt. In einem 27 Quadratmeter großen Raum eines Asylbewerberheims haben sie gelebt. Der Vater hatte Arbeit und kam für den Lebensunterhalt auf. Jetzt müssen sie fort. Nach sieben Jahren. In ein paar Stunden startet das Flugzeug. Richtung Pris?tina, Kosovo.

Dieses Bild hat Uli Sextro noch deutlich vor Augen. Es ist nur eine der vielen Erinnerungen, die sich hinter den schwarzen Buchstaben "BGD", "PRN" und "IST" verbergen. Die Abkürzungen für Zielorte hat Sextro in einen Kalender an der Wand eingetragen. So hat er einen Überblick, wann die nächste Sammelabschiebung ansteht. Dann holen Mitarbeiter der Ausländerbehörde Menschen - oft in aller Frühe um vier oder fünf Uhr - ab und bringen sie zum Flughafen, genauer gesagt ins "Modul F". In dieser Halle steht auch Uli Sextro und sieht zu. Dann startet die Chartermaschine Richtung Belgrad, Pristina oder Istanbul.

Der 38-Jährige ist bisher Deutschlands erster und einziger "Abschiebungsbeobachter", zuständig für die Flughäfen in Nordrhein-Westfalen, wo im Jahr knapp 5.000 Menschen abgeschoben werden. Das Projekt hat das Forum Flughäfen NRW 2001 gestartet, um Einblick in die Abschiebe-Praxis zu erhalten. In dem Gremium arbeiten seit fünf Jahren Menschenrechtsorganisationen, die Evangelische Kirche, das Innenministerium NRW, die Zentrale Ausländerbehörde Düsseldorf, die Bezirksregierung und die Bundespolizei zusammen. Das Forum wurde auf Initiative der Evangelischen Kirche im Rheinland geschaffen, nachdem Ende der neunziger Jahre Menschen während ihrer Abschiebung gestorben waren - als letzter 1999 der 30-jährige Sudanese Aamir Omer Ageeb.

Bei einer Vielzahl von Abschiebungen ist Uli Sextro vor Ort. Als Berichterstatter für das Forum Flughäfen achtet er insbesondere darauf, ob die Bundespolizei unangemessene Maßnahmen ergreift und die Flüchtlinge schlägt, tritt oder fesselt, so dass diese sich nicht mehr bewegen können. Das sei bei Abschiebungen, bei denen er dabei war, nicht vorgekommen.

Doch der Abschiebungsbeobachter, der sich vorher in der Flüchtlingsberatung engagiert hat, will seinen Job beenden. Am 31. Dezember ist sein letzter Arbeitstag. "Ich habe mir immer gesagt: Solange ich mich aufregen kann, bin ich der Richtige", sagt er. Das emotionale Engagement ist ihm in den letzten Monaten schwerer gefallen, er ist routinierter geworden, hat sich mehr mit den Verhältnissen arrangiert. Sextro sieht das als Indiz für Abstumpfung. "Und das sind eindeutige Anzeichen aufzuhören."

Die psychischen Belastungen in den Abschiebungssituationen waren für den Politologen oft groß. "Das Schwierige war, während der Abschiebung die Distanz als Beobachter zu wahren und gleichzeitig nicht abzublocken. Sonst hätte ich zu wenig gesehen."

Was sieht er? "Es kommt bei Abschiebungen immer wieder vor, dass Menschen weinen, oder sie schreien. Wenn sie sich wehren, legen sie sich auch auf den Boden, treten oder schlagen um sich." Oft werden auch Familien getrennt. Kürzlich habe eine Frau am Flughafen zu hohen Blutdruck gehabt und war somit reiseunfähig. Der Vater und die beiden kleinen Kinder sollten ins Flugzeug steigen, die Mutter musste bleiben. "Da kommt es zu dramatischen Szenen." Doch die Rechtsprechung erlaube eine "vorübergehende Familientrennung". Zudem werde so auf die Mutter Druck ausgeübt, gleich nach der Genesung das Land zu verlassen.

Doch Uli Sextro war mehr als ein Beobachter. Oft hat er mit den Behörden Kontakt aufgenommen. "Da bin ich aber vor Wände gelaufen." Etwa, als eine allein erziehende Mutter mit drei kleinen Kindern abgeschoben werden sollte. Morgens um neun Uhr wurde sie verhaftet, obwohl sie einen Tag zuvor noch in der Ausländerbehörde eine Verlängerung der "Grenzübertrittsbescheinigung" beantragt hatte. Die Mitarbeiter fuhren mit der Frau zur Schule, wo sie die Kinder abholten, zitiert Sextro aus seinem Bericht von damals. Dann ging es zur Abschiebehaft in Köpenick. "Sie haben zumindest die Zellentüren nicht zugemacht", erzählte die 13-jährige Tochter. Die Fahrt geht daraufhin weiter nach Tempelhof, ein paar Stunden später wieder zurück nach Köpenick. Dort blieben die Mutter und die Kinder bis zwei Uhr nachts, bis sie nach Düsseldorf "transportiert" wurden. Um zehn Uhr kamen sie am Flughafen an - und um 12.30 Uhr saßen die Flüchtlinge in der Maschine Richtung Pristina.

"Die Kinder waren völlig erschöpft und verängstigt von dem Hin und Her", erinnert sich Uli Sextro. In solchen Momenten habe er Ohnmacht verspürt: "Man steht dabei und kann nichts machen."

Das Thema "posttraumatische Belastungsstörung" (PTBS) war eine weitere Schwierigkeit in Uli Sextros Arbeitsalltag. Eine PTBS gelte in der behördlichen Praxis in der Regel nicht mehr als Abschiebehindernis, solange der Flüchtling als ausreisefähig eingestuft werde. "Viele Ausländerbehörden reichen den Betroffenen so lange rum, bis sie einen Arzt gefunden haben, der das erwünschte Gutachten ausstellt", erzählt Sextro. Einige Ärzte hätten "sich auf diesem Gebiet bereits einen Namen gemacht". Wer den Betroffenen als "reiseunfähig" einstufe, dem werde oft vorgeworfen, Gefälligkeitsgutachten auszustellen.

Trotz der blockierenden Behörden und der härter werdenden Abschiebepolitik erkennt der Politologe positive Veränderungen. Dazu habe die Arbeit des Forums Flughäfen beigetragen. "Nirgendwo in Deutschland wird soviel über Abschiebung diskutiert wie in NRW." Fortbildungen für Beamte und eine Checkliste zum Vollzug von Abschiebungen seien das Ergebnis.

Er habe "im Mikrokosmos Flughafen so manches Rädchen bewegen können". Auf Initiative des Forums hin setzte das Innenministerium vor einem Jahr durch, dass mittellose Flüchtlinge bei der Abreise ein Taschengeld von 50 bis 70 Euro erhalten. Der Gedanke, ohne einen Cent in der Tasche auszureisen, habe bei den betroffenen Menschen Panik ausgelöst. "In solchen Fällen haben dann manchmal die Polizeibeamten einen Hut rum gereicht, um Geld zu sammeln."

Uli Sextro ist zufrieden, in den vier Jahren gezielt geholfen zu haben. Etwa jener sechsköpfigen Familie mit 14 Koffern, die in den Kosovo abgeschoben sollte. An jenem Morgen habe sich herausgestellt, dass die Flüchtlinge aufgrund einer Erkrankung eines Kindes bleiben durften. Doch die Fahrer des Transporters, weigerten sich, die Familie zurück nach Chemnitz zu bringen, erinnert sich Sextro. "Die Ruhezeiten können sonst nicht eingehalten werden", hieß es. Der Abschiebungsbeobachter organisierte daraufhin die Rückreise der Familie, die am Flughafenbahnhof alleine zurückgelassen worden war. Mit der Familie, die "voll integriert" sei, bestehe bis heute Kontakt, auch wenn es am Telefon zu Verständnisproblemen komme. "Eine Tochter spricht inzwischen ein so reines Sächsisch, dass ich sie kaum verstehe."


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