Gefühle unter Puderzucker

Medientagebuch Die US-Serie "Glee" kommt ins deutsche Fernsehen: Sie erzählt von einem High-School-Musical-Club, steht für moderne Vermarktungstechniken – und hat berührende Momente

In Hollywood hat die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre Entstehung und Erfolg von zwei Genres begünstigt: des Gangsterfilms und des Musicals. Setzten sich erstere mit den sozialen Verhältnissen ausein­ander, versprachen die schillernden Welten der Musicals Zerstreuung. Wenn man davon ausgeht, dass heute die so genannten Qualitätsserien des US-Fern­sehens ästhetisch bedeutsamer sind als Hollywood, kann nach den düsteren Epen wie The Wire die Popularität der Musical-Serie Glee analog als eskapistische Reaktion auf die Gegenwart gedeutet werden. Mit Zuschauerzahlen von bis zu 13 Millionen Zuschauern legte die Serie auf dem Gipfel der Krise 2009 den erfolgreichsten Neustart einer fiktionalen Serie im US-Fernsehen der letzten Jahre hin.

Glee (deutsch: Freude, aber auch Schadenfreude) wird ab dem 16. Januar auch in Deutschland ausgestrahlt. Die Serie kreist um den personell heterogen besetzten Chor einer Highschool im mittleren Westen der USA. Ein junger Spanischlehrer will mit dem Glee-Club an die großen Tage anknüpfen, die er selbst als Schüler erlebt hat. Auf seinen Aufruf hin formiert sich eine Gruppe von Außenseitern: eine stotternde Emo-Asiatin, ein homosexueller Countertenor, eine jüdische Streberin, ein Querschnittsgelähmter und eine übergewichtige Afroamerikanerin. Dieses Ensemble, zu dem sich mit der Zeit Vertreter der Schuloberschicht gesellen, singt und tanzt sich in einer ausbalancierten Mischung aus Klassikern und aktuellen Charthits fünf bis acht Mal pro Folge die pubertären Probleme aus dem Leib.

Die hohen Produktionskosten (etwa drei Millionen Dollar pro Folge) lassen sich im Kabelfernsehen freilich nicht allein durch Werbeeinnahmen wieder einspielen. Glee ist deshalb ein Beispiel für ein modernes Medienprodukt, bei dem alle Möglichkeiten der Vermarktung ausgeschöpft werden. Im letzten Sommer ging die Besetzung auf Tour durch die Schulaulen der USA, allein die erste Staffel wurde von drei Soundtrack-Alben und mehreren Extraveröffentlichungen begleitet, im Dezember kam eine Weihnachts-CD auf den Markt. Die Lieder der einzelnen Folgen stehen zwei Wochen vor der Ausstrahlung als Download bereit. Das Wachsen der Fangemeinde aus so genannten Gleeks wird unterstützt durch Stücke, die als Karaokeversionen verfügbar gemacht werden – wer auf Youtube nach Liedern der Serie sucht, findet zuerst die von Fans nachgesungenen Versionen. Im Umgang mit künstlerischem Eigentum ist Glee bemerkenswert zeitgenössisch. Hinzu kommen Mode­linien und zahllose Accessoires.

Camp as camp can

Man könnte Glee auf der Stelle als überproduziertes Vermarktungsvehikel abtun – zumal der selbst gestellte Anspruch, die „Loser“ der Highschool-Hölle in den Mittelpunkt zu rücken, immer wieder vergessen wird, weil die Serie sich dann doch lieber auf das furchtbar langweilige Traumpaar aus Streberin und Quarterback konzentriert.

Allerdings würde man Glee damit nicht gerecht, wofür Kritikerlob und Fernsehpreisnominierungen sprechen. Das Faszinierende an Glee ist nicht allein, dass die Überinszenierung immer wieder bis ins Groteske gesteigert wird, sondern dass es die Serie schafft, aus dem Totalkünstlichen unerwartet berührende Momente zu generieren. Wie etwa die brillant-absurde Tanzsequenz, in der eine voll ausgestattete Foot­ball-Mannschaft die Choreografie zu Beyonces Single Ladies tanzt. Camp, hätte ­Susan Sontag gesagt.

Glee: Ouverture am 16. Januar 14.40 Uhr auf RTL, dann immer montags 20.15 und 21.15 Uhr auf Super RTL. Unsere Autorin ist Filmwissenschaftlerin und -festivalkuratorin in Hamburg

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