Anfang kommender Woche beginnt das Verfahren gegen Uli Hoeneß, Deutschlands wohl prominentesten Steuerhinterzieher. 3,5 Millionen Euro soll der Präsident des FC Bayern am Fiskus vorbei in die Schweiz geschleust haben. Dann wird es nicht nur um Hoeneß’ Schuld gehen, sondern auch um Steuerehrlichkeit und um das, was der Staat seinen Bürgern abverlangen kann. Denn der Fall Hoeneß spaltet die Gesellschaft. Grassiert in der Gesellschaft eine Raffke-Mentalität?
In den vergangenen Monaten sind immer neue Fälle bekannt geworden, in denen Prominente Steuern hinterzogen haben: der ehemalige ZEIT-Chefredakteur Theo Sommer, der SPD-Politiker André Schmitz, die Feministin Alice Schwarzer. Nicht immer müssen sich die Betreffenden vor Gericht verantworten, schließlich gibt es die strafbefreiende Selbstanzeige – ein einmaliges Konstrukt im deutschen Rechtssystem, mit dem sich Steuerbetrüger freikaufen können.
Die wirklich großen Steuervermeider heißen jedoch nicht Hoeneß und Schwarzer, sondern Apple und Ikea. Und während der Staat ganz zu Recht die privaten Steuerhinterzieher verfolgt, schaut er zu, wenn es um die Steuertricks der Konzerne am Rande der Legalität geht. So entgehen dem Fiskus in Deutschland jedes Jahr 20 bis 30 Milliarden Euro – das ergibt sich aus Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirt-schaftsforschung. Eine Summe, gegen die die Sünden von privaten Steuerbetrügern verblassen.
Grundsätzlich gilt: Je internationaler ein Konzern handelt, desto leichter kann er Gewinne zwischen seinen Ablegern verschieben und Steuern vermeiden. Konzerne wie Google, Apple und Ikea sind deshalb Meister der legalen Steuervermeidung. Sogenannte Steueroasen gibt es jedoch nicht nur dort, wo viel Sonne scheint. Neben Mauritius oder den Cayman Islands locken auch EU-Staaten mit Steuervorteilen, etwa die Niederlande und Luxemburg. Auch Deutschland bietet Möglichkeiten, sein Geld vor dem Fiskus zu verstecken. Im Schattenfinanzindex der NGO „Tax Justice Network“ belegt die Bundesrepublik Platz acht im Negativ-Ranking.
Im Dickicht der weltweit unterschiedlichen Steuerregelungen findet fast jeder Konzern das passende Schlupfloch. Was können die Staaten dagegen machen? Die Lösung ist so leicht wie kompliziert: Um den Abfluss von Milliarden zu verhindern, müsste die Politik die Steuersystemeverschiedener Staaten harmonisieren. Kritiker fordern deshalb seit Jahren die„Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage“ auf EU-Ebene. Die ist leichter erklärt als ausgesprochen: Konzerne rechnen alle in der EU erzielten Gewinne zusammen und schreiben nur eine einzige Steuererklärung. Ihre Abgaben zahlen sie dann proportional zur wirtschaftlichen Aktivität in den einzelnen Staaten.
Schon vor knapp vier Jahren wollte die EU-Kommission diese Regelung einführen. Auch das Europäische Parlament hat schon im Jahr 2012 zugestimmt. Seitdem liegt der Entwurf in den Schreibtischen der Finanzminister, die darüber im Juni dieses Jahres weiter beraten wollen. Doch selbst, wenn die EU die Richtlinie verabschiedet, bleibt die gemeinsame Bemessungsgrundlage ein freiwilliges Angebot. Unternehmen könnten sich weiterhin frei aussuchen, ob sie das Verfahren anwenden – oder weiterhin legale Steuerschlupflöcher nutzen. Die Auswahl ist groß genug:
1 Gewinne verschieben
Im Prinzip müssen Firmen Gewinne dort verbuchen, wo sie anfallen. Innerhalb der EU dürfen Profite allerdings ganz einfach frei verschoben werden, das regelt die Mutter-Tochter-Richtlinie. Die Nichtregierungsorganisation WEED fordert daher eine länderbezogene Berichtspflicht, bei der Konzerne die Steuerzahlungen und Aktivitäten all ihrer Tochterfirmen offenlegen. So würde der Geldabfluss immerhin durchsichtiger. Außerdem könnten Staaten ein Register einführen, bei dem die Eigentümer alle Firmen und andere Rechtskonstrukte wie Trusts offenlegen müssen.
2 Zinsvorteile abkassieren
Ein Mutterkonzern kann Kredite an Tochterunternehmen vergeben oder umgekehrt. So lassen sich die Konzerngewinne über Zinszahlungen verschieben. Eine Methode, die wohl auch Ikea nutzt: Eine Tochterfirma in Luxemburg verleiht Geld an andere Teile des Konzerns. Für die Zinseinnahmen fallen in Luxemburg nur vergleichsweise wenige Steuern an. In Deutschland drücken die Zinszahlungen aber relativ stark die Steuerlast, sodass unter dem Strich Geld für den Konzern übrig bleibt. 30 Millionen Euro soll Ikea so allein im Jahr 2005 und nur in Deutschland gespart haben, hat die globalisierungskritische Organisation Attac errechnet. Inzwischen hat Deutschland eine sogenannte „Zinsschranke“ eingeführt. Demnach dürfen Zinsen nur zu einem gewissen Teil abgesetzt werden. Wenn weitere Staaten diese Regel übernehmen, könnte diese Art von Steuervermeidung ver- oder zumindest behindert werden.
3 Lizenzen vergolden
Ein anderer beliebter Steuertrick funktioniert über Lizenzen oder Patente. Ein Unternehmen überträgt diese Rechte auf eine Tochterfirma in einem Staat, der die Gewinne aus geistigem Eigentum niedrig besteuert. So hat zum Beispiel Starbucks seinen Markennamen an eine Tochterfirma in den Niederlanden übertragen. Wer in Deutschland einen Kaffee trinkt, zahlt also ein paar Cent als Lizenzgebühr an diese Firma. Dieser Betrag wird dann niedriger versteuert als wenn er als Gewinn bei der deutschen Tochterfirma geblieben wäre. Weitere Unternehmen, die ihre Markennamen an Tochterfirmen in den Niederlanden „verkauft“ haben, sind Ikea und Apple.
4 Überteuerte Dienste anbieten
Tausend Euro für einen Kugelschreiber? Was nach Wucher klingt, zahlen manche Firmen mit Freude. Um Gelder in Niedrigsteuerländer zu verfrachten, überweisen Mutterkonzerne immense Summen an ihre Ableger in diesen Staaten – angeblich als Gegenleistung für Produkte und Dienstleistungen der dortigen Tochterfirma. Zwar soll das nach den Vorgaben der OECD durch den „Fremdvergleichsgrundsatz“ unterbunden werden. Der schreibt vor, dass Waren und Dienstleistungen zu einem Preis verbucht werden müssen, den auch ein neutraler Dritter zahlen würde. Eine falsche Bepreisung ist jedoch in der Realität schwer nachweisbar, insbesondere bei Patenten und ähnlichen geistigen Eigentumsrechten. Deswegen können Unternehmen zwar keine absurden, aber immer noch überhöhte Preise veranschlagen, um Gelder mittels vorgetäuschter Geschäfte in sogenannte Steueroasen zu verschieben.
5 Standorte optimieren
Es gibt Steuerregelungen, die sich an einzelnen Standorten so unterscheiden, dass Unternehmen das zu ihrem Vorteil ausnutzen können. Das geht etwa dann, wenn die Dividende für eine bestimmte Aktie in einem Land steuerfrei bleibt, die Auszahlung in einem anderen Land jedoch als Verlust abgesetzt werden darf. Zudem gibt es Ausgaben, die in zwei Staaten gleichzeitig von der Steuer abgesetzt werden. Markus Henn von WEED fordert daher, bessere Doppelbesteuerungsabkommen mit Klauseln gegen solche Schlupflöcher zu schließen – also Verträge zwischen zwei oder mehr Staaten, die ihr Steuerrecht aufeinander abstimmen.
6 Profite im Internet verschleiern
Nur sehr schwer zu kontrollieren ist der Handel im Netz. Unternehmen wie Amazon können ihre Gewinne verbuchen, wo sie wollen – solange im Staat, der vermieden werden soll, keine Betriebsstätte nachgewiesen werden kann. Kauft man also zum Beispiel ein E-Book oder Musik auf iTunes, können die Gewinne besonders flexibel angerechnet werden, da der Handel nur digital stattfindet. Das Tax Justice Network fordert deshalb, die Definitionen von Betriebsstätten besser an diese Realität anzupassen. Auch wäre es zum Beispiel möglich, den Käufer am heimischen Computer als „Steueranker“ zu werten – und so den Ort des Kaufes zur Grundlage der Besteuerung zu machen.
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