Wahrscheinlich genau in dem Moment, in dem ich Barbie und Ken zum ersten Mal begegnete, wurde meine Beziehung zur Ehe kompliziert. Ich war da ungefähr sechs Jahre alt, und die aus meiner Sicht privilegierten Nachbarskinder, bei denen die Nudeln aus hellem Mehl und nicht aus Vollkorn waren und wo wir sonntags unbeaufsichtigt fernsehen durften, hatten sie geschenkt bekommen: zwei Puppen mit poliertem Dauergrinsen in einer rosa Welt, die mir sehr suspekt war. Ich dachte, Barbie und Ken waren in ihrer amerikanischen Idylle nur deshalb aneinandergekettet worden, weil sie zu dumm waren, es besser zu wissen.
Ich dachte so, weil meine Mutter auch so dachte. Sie hatte nach sechs Jahren herdprämienverdächtigen Engagements für Mann und Kinder gerade beschlossen, sich selbstständig zu machen – beruflich wie privat. Und die ganze Familie, also wir, war auf einmal ungeheuer verunsichert.
Scheidungsschlüsselkinder
In der Ehe meiner Eltern hatte mein Vater bislang erfolgreich Karriere gemacht, und meine Mutter hatte ihm erfolgreich den Rücken gestärkt. Eine Zeit lang war das für alle gemütlich und praktisch gewesen. Dann aber wurde es für meine Mutter unbefriedigend, und in den frühen Neunzigern blätterte nicht nur die Farbe an der Ehefassade meiner Eltern ab, es fielen Steine aus der Mauer heraus. Nach einigem Bemühen zu retten, was nicht mehr zu retten war, folgte die Scheidung.
Ich weiß, das ist keine Ausnahmegeschichte. Scheidungskinder, Schlüsselkinder – meine Generation ist die erste, denen diese Wörter wirklich vertraut sind. Seit den Achtzigern sind Ehescheidungen in Westdeutschland salonfähig geworden.Man kann also sagen, dass in demselben Moment, in dem die Scheidungsrate spürbar anstieg, einige von uns über die Ehe nachzudenken begannen.
Ein tiefes Misstrauen gegenüber der Heirat setzte sich in mir fest, und ich frage mich, ob es wirklich die eigene biografische Erfahrung ist, die unser Verhältnis zur Ehe bestimmt oder nicht? Ob wir uns vor ihr fürchten? Nach ihr sehnen? Ob wir sie ablehnen oder ihr kritisch gegenüberstehen?
Männer und Frauen heiraten heute etwas seltener als damals, aber sie tun es immer noch sehr oft. Sie sind dabei älter, als ihre Eltern es waren, und haben immer öfter bereits vor der Hochzeit ein Kind. 2011 wurden in Deutschland 377.816 Ehen geschlossen; Frauen waren dabei im Schnitt 31 und Männer 33 Jahre alt. Das sind fünf beziehungsweise vier Jahre mehr als vor 20 Jahren. Warum ist das so?
Mein Mann und ich sind Scheidungskinder. Beide stehen wir der Ehe sehr kritisch gegenüber. Als wir letztes Jahr geheiratet haben, war er 35, ich 31 und unser Kind ein bisschen älter als ein Jahr. Die Ehe als funktionierendes Konzept war uns immer fragwürdig erschienen. Wir hatten sie ja nie funktionierend erlebt. Von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ganz zu schweigen.
Warum also haben wir es trotzdem getan? Eines Tages habe ich einfach kapituliert. Nicht vor der Frage, ob ich reaktionär bin oder nicht. Oder ob ich mich dem Rollenprinzip von Barbie und Ken unterwerfe. Ob ich das Ehegattensplitting in Anspruch nehme, obwohl ich es ablehne? Diese Fragen werden bleiben. Leider.
Ich dachte aber plötzlich, vielleicht ist eine Heirat für emanzipierte und nachdenkliche Paare die letzte Möglichkeit, irrational zu handeln. So etwas wie Rock’n’Roll in Zeiten der Gleichberechtigung. Eine Ehe zu schließen, das hört sich zwar nicht so an, als eröffne sich damit was. Es macht aber Spaß, wenn man wachsam bleibt, sich weiter streitet und trotz Zusammengehörigkeit unterschiedlicher Meinung bleibt. Tatsächlich ist Heiraten für mich der Schritt in eine Verbindlichkeit, die erwachsener macht und glücklich. Sie verwandelt den Versuch, es miteinander auszuhalten, in ein Bekenntnis, dass man glaubt, dass das klappen kann.
Wir ziehen unser Kind paritätisch auf. Das klingt schlimm, ist aber das Gegenteil. Wir sind Freiberufler, und wir lieben die Freiheit genauso wie den Beruf. Lange vor der Geburt des Kindes haben wir begonnen, über solche Sachen hart zu verhandeln. Ich halte das für reale – also nicht theoretische – Emanzipation. Und es ist mir sehr wichtig. Warum sollte ich mich nach all dem, was wir in unserer Partnerschaft erreicht haben, einem Konzept unterwerfen, das sich für die alten Rollenmuster einsetzt?
Nichts zum Ausruhen
Frauen sind heute mit der Ehe nicht mehr rechtelos an ihren Mann gebunden. Sie entscheiden selbst, ob sie berufstätig sein und wann sie mit ihrem Mann Sex haben wollen. Doch bei allem Fortschritt bleibt das Ehegattensplitting. Für einen lohnt sich das Arbeiten kaum noch und schon beim Ausfüllen der gemeinsamen Steuererklärung zeigt sich, wie der Hase läuft: An erster Stelle steht der Ehemann.
Für mich war Nicht-Heiraten ein Statement gegenüber einem Staat, dem es nicht gelingt, etwas zu erfinden, das es Liebenden ermöglicht, eine gleiche verbindliche Verantwortlichkeit füreinander zu tragen. Der Staat versteht nicht-verheiratete Paare dort als Bedarfsgemeinschaft, wo es ihm Vorteile bringt, etwa bei der Vergabe von Sozialleistungen. Umgekehrt schließt er eine verbriefte Zusammengehörigkeit ohne Heiratsurkunde aus, wenn Kosten und Befugnisse entstehen. Eine echte Familie ist man erst, wenn man verheiratet ist, sagen einem beispielsweise Krankenhäuser, Notare und Krankenversicherungen.
Vor ein paar Jahren hat die Literaturkritikerin Felicitas von Lovenberg das Buch Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie? geschrieben. Es ist das Resümee einer frisch geschiedenen Romantikerin über die Ehe und hat folgendes Fazit: „Die wahren Romantiker sind heute diejenigen, die auf Sicherheit, Steuervorteile und Ehevertrag pfeifen.“ Lovenberg stützt sich dabei auf die These, dass erst mit der Literatur des 18. Jahrhunderts die Ehe von der Zweck- zur Liebesehe romantisiert wurde. Also ein Ort wurde, an dem man sich so wie Barbie und Ken ausruhen konnte. Von der Ehe rät sie ab, an der romantischen Liebe hält sie hingegen fest. Aber ist die selbst nicht schon ein literarisches Phänomen?
Die Sache ist kompliziert und wird immer komplizierter, je länger man darüber nachdenkt. Bis man als Paar durch alle Fragen durch ist, ist die Zeit der Verliebtheit lange vorbei. Und mit seinen eigenen Eltern hat man wahrscheinlich auch schon seinen Frieden gemacht.
Lisa Rüffer wurde 1981 geboren. Sie war in ihrem Leben bisher auf zwei Hochzeiten, eine davon war ihre eigene
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