Wohnen ist die neue soziale Frage und sie wird allerorts heiß diskutiert. Ich veröffentliche heute deshalbzusammen mit über 200 Wissenschaftler_innen, die teilweise seit Jahrzehnten zu Wohnen, Stadtentwicklung und gesellschaftlichem Zusammenhalt forschen, die wissenschaftliche Stellungnahme „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“.
Unter den Unterzeichnende aus 46 Standorten befinden sich Doktorand_innen und Studierende, 58 promovierte wissenschaftliche Mitarbeiter_innen sowie 37 Professor_innen, darunter ausgewiesene Expert_innen der Wohnungsforschung und namhafte Wissenschaftler_innen wie Prof. Dr. Ingrid Breckner, Prof. Dr. Susanne Frank, Prof. Dr. Susanne Heeg, Dr. Andrej Holm, Prof. Dr. Stephan Lessenich, Prof. Dr. Barbara Schönig und Dr. habil. Sebastian Schipper.
Mit der Stellungnahme plädieren wir Wissenschaftler_innen für den Schutz der Bestandsmieten, Gemeinnützigkeit und Demokratisierung der Wohnraumversorgung. Entschieden weisen wir das Gutachten des wissenschaftlichen Beirates des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) „Soziale Wohnungspolitik“ sowie dessen Forderungen zurück, den sozialen Wohnbau deutlich zu beschränken und die Mietpreisbremse ersatzlos zu streichen.
Anlass der Stellungnahme ist auch der Wohngipfel von Bundesminister Horst Seehofer im Kanzleramt am kommenden Freitag, 21.09.2018, sowie der alternative Gipfel „Gemeinsam gegen Spaltung, Verdrängung und Wohnungslosigkeit – bezahlbarer Wohnraum für Alle statt mehr Rendite für wenige“ des Mieterbundes, der Sozialverbände und Gewerkschaftenam Tag davor, am 20.09.2018.
Wir betonen in der Stellungnahme, dass die Versorgung mit Wohnraum eine wesentliche Aufgabe des Wohlfahrtsstaats ist und wissenschaftlich begründete Vorschläge für die Wohnungspolitik deshalb nicht allein auf Basis ökonomischer Modelle formuliert werden sollten. Die Wohnungsfrage ist für unsere Gesellschaft zu wichtig, um sie wirtschaftswissenschaftlichen „Gedankenexperimenten“ zu überlassen, wie im Gutachten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie geschehen. Das Gutachten des BMWi widerspricht unseren Forschungserkenntnissen in vielen Punkten.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Es ist sicheres zu Hause, Ort des Rückzuges und der sozialen Integration wie Reproduktion. Die im Gutachten des BMWi geforderte weitere Liberalisierung des Wohnungsmarkts und die Vermarktlichung sozialer Wohnraumversorgung würde dazu beitragen, die gegenwärtige Spaltung des Wohnungsmarkts und der Gesellschaft weiter zu vertiefen. Was wir aber brauchen, ist ein Paradigmenwechsel zu einer wohlfahrtsstaatlichen Wohnungspolitik, die nachhaltig bezahlbaren Wohnraum schafft und sichert.
Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Beirat des BMWi argumentieren wir, dass der Markt in der Bereitstellung eines sozial verträglichen Wohnungsangebotes versagt. Geboten ist eine entschiedene Intervention der öffentlichen Hand. Die Wohnungsfrage ist zu komplex und zu wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, als dass man sie dem freien Markt überlassen könnte.
Zum einen müssten Bestandsmieten effektiv vor Mietsteigerungen geschützt werden. Neubau alleine ist keine Lösung. Die behaupteten Sicker-Effekte – also, dass durch gehobenen Neubau günstigere Wohnungen frei würden –, gibt es in angespannten Wohnungsmärkten nicht. Keine Option ist daher, die Mietpreisbremse ersatzlos zu streichen, vielmehr muss sie deutlich restriktiver und in der Praxis umsetz- wie kontrollierbar ausgestaltet werden.
Zum anderen muss der Neubau stärker sozial reguliert werden. Es bedarf mehr sozialen Wohnungsbau um alle, die einen Anspruch haben, zu versorgen, keinesfalls weniger. Jedoch sollten die Fördergelder künftig für den Bau von Mietwohnungen mit dauerhaften Mietpreis- und Belegungsbindungen genutzt werden.
Dafür brauchen wir Akteure am Wohnungsmarkt, die bezahlbaren Wohnraum ohne Profitinteresse dauerhaft bereitstellen. Ein neuer gemeinnützigen Wohnungssektors muss geschaffen werden. Träger eines solchen Wandels auf dem Wohnungsmarkt könnten insbesondere kommunale und zivilgesellschaftliche Träger wie Genossenschaften oder Stiftungen sein. Die Kommunen müssten wieder in die Lage versetzt werden, lokale Wohnraumversorgung und Stadtentwicklung durch öffentliche Bestände zu steuern.
Wir plädieren für einen Paradigmenwechsel: Wohnen für Menschen, nicht für Profite! Scheitert eine soziale Wohnungspolitik, hat das fatale gesellschaftliche Folgen. Es gilt die vielfältigen Vorschläge für eine soziale Wohnraumversorgung aus der Zivilgesellschaft ernst zu nehmen. Auf dem Spiel stehe nicht nur die soziale Ausgewogenheit der Städte, sondern auch der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Info
Die gesamte Stellungnahme ist in sub\\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung erschienen.
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