Das virtuelle Gold

Transparenz Daten sind bares Geld wert. Öffnen Staat und Wirtschaft ihre Tresore, hilft das allen – oder macht wenige reich. Was jetzt zu tun ist

Die Euphorie hält an. Die Offenlegung staatlicher und anderer Datenbestände von öffentlichem Interesse – kurz Open Data – kann mehr Demokratie ermöglichen, aber auch neue Geschäftsmodelle erschließen. So sehen es die Befürworter. Und obwohl diese Erwartungen bislang nur zum Teil erfüllt wurden, greift das Prinzip weltweit um sich. Im Kern geht es dabei darum, weitgehend alle nicht personenbezogenen Informationen, die Politik- und Verwaltungsapparaten vorliegen, in maschinenlesbaren Datensätzen zu veröffentlichen. Damit die Daten aber wirklich als „offen“ bezeichnet werden können, müssen sie von Bürgern weiterverwendet werden dürfen – also unter einer entsprechenden Lizenz stehen, die das kostenfrei erlaubt.

Datenanalyse gilt als eines der kommenden „großen Dinger“ im Netz, erste Umrisse einer neuen, datenzentrierten Wirtschaft zeichnen sich ab. Immer mehr Menschen nutzen Geräte, die Informationen digital speichern. Da immer mehr dieser Geräte auch miteinander vernetzt werden, wächst die weltweite Datenmenge exponentiell: Der Economist hat ausgerechnet, dass sie sich alle fünf Jahre verzehnfacht. Nun gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen und die nutzbringenden Informationen aus diesem Datenberg auszusortieren.

Seit zwei Jahren fällt der Blick verstärkt auf die Daten im Bereich von Politik und Verwaltung, die in deren digitalisierten Aktenschränken massenhaft gehortet werden. Die Unternehmensberatung McKinsey spricht – sicher nicht ganz uneigennützig – von mehr als 100 Milliarden Euro, die allein die Industriestaaten in Europa sparen könnten, würden sie die großen Datenmengen in den Verwaltungen effizient nutzen. Die britische Regierung versucht das bereits und setzt wie keine andere auf das Potenzial von Open Data. Eben erst zeichnete Premierminister David Cameron das Bild eines neuen Wirtschaftszweiges, der mit von seiner Regierung freigegebenen Datensätzen arbeitet – und damit einen Umsatz von sechs Milliarden Pfund machen könne.

Tatsächlich liegt eine der Triebfedern der diffusen weltweiten Open-Data-Bewegung aus Wissenschaftlern, Netzaktivisten und Verwaltungsmitarbeitern in Großbritannien. Die dortige enge Zuammenarbeit mit der konservativ-liberalen Regierung führte im Netz zu einer intensiven Debatte zur Frage: Nützt Open Data dem Sheriff von Nottingham oder Robin Hood?


Ja, wer profitiert eigentlich von Open Data? Ein oft zitierter Fall spielte sich vor einigen Jahren im indischen Bangalore ab. In der Stadt wurden Katasterinformationen digital zugänglich gemacht. Ein Zugewinn an Demokratie und Kontrolle? Keineswegs. Gewinner war lediglich eine gut gebildete und besitzende Klasse, die nun bessere Schlüsse über den Immobilienmarkt ziehen und das in wirtschaftlichen Erfolg ummünzen konnte.

Es reicht also nicht, einfach nur eine gute Absicht zu verkünden und ein paar Datensätze zu veröffentlichen. Ohne politische Programme, die die Veröffentlichungen flankieren, wird sich Open Data als wenig hilfreich erweisen. Wer die Offenlegung aller öffentlich relevanten Daten fordert, muss konsequenterweise auch größere Anstrengungen in politische Bildung und den Aufbau kritischer Medienkompetenz anmahnen.

Das gilt jedenfalls dann, wenn Open Data nicht nur das Projekt einer bildungsbürgerlichen, vor allem männlichen und technik­affinen Elite bleiben soll – einer Minderheit, in der sich zudem zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Motive vermischen. Denn das Geschäft mit den Daten ist lukrativ, schon länger geht die Rede vom „neuen Öl“.

Pioniere wie Google laufen bei diesem Goldrausch voran und zeigen, wie aus der automatisierten Analyse von Daten im Internet Kapital zu schlagen ist. Schon der Klassiker im Open-Data-Bereich hat in den USA eine milliardenschwere Industrie befeuert: Die in den Vereinigten Staaten schon immer de facto allgemein zugänglichen Wetterdaten der staatlichen Messstationen sind der Rohstoff für einen ganzen Zweig der Informationswirtschaft.

Wo Geld verdient wird, wollen die Platzhirsche ihr Revier verteidigen. Open Data wird in einigen Bereichen – zum Beispiel auf dem Feld der Geo- und Umweltdaten, aber auch der standardisierten Informationen aus dem Verkehrs- und Gesundheitssektor – deshalb von etablierten Monopolen als Gefahr angesehen. Hierin zeigt sich: Mit Open Data könnte andererseits auch die Vision einer sozial-ökologischen Zukunft näher rücken: neue, schnellere, passgenauere Konzepte einer Wirtschaft, in der Angebot und Nachfrage effizienter organisiert, Ressourcen nachhaltiger genutzt und die Produktion bedürfnisorientierter gestaltet werden könnte.

Transparenz spart Geld

Wie weit allerdings die politischen Effekte gehen, wie groß das demokratische Potenzial transparenter und weiterverwendbarer öffentlicher Daten ist, hängt von vielen Faktoren ab. Eine maschinenlesbare Liste mit den Positionsdaten aller Gulli-Deckel einer Stadt mag in mancherlei hinsichtlich zwar nützlich sein, zum Beispiel für das ortsansässige Rohreinigungsunternehmen, das seine Arbeit besser planen kann. Einen darüber hinausgehenden gesellschaftlichen Nutzen kann man jedoch schwerlich erkennen.

Ganz anders sieht es mit dem Potenzial anderer Szenarien aus – etwa einem automatisierten Zugriff auf alle öffentlichen Ausschreibungen oder die vollständige Transparenz in den Haushalten einer Verwaltung. Je detaillierter und aktueller, je unmittelbarer und roher solche Daten vorliegen, desto mehr Möglichkeiten für demokratische Prozesse entstehen.

In Deutschland steckt Open Data allerdings nicht einmal in den Kinderschuhen, hierzulande wird noch gekrabbelt. Im angelsächsischen Raum setzen sich prominente Politiker und sogar Regierungsmitglieder für Open Data ein, Frankreich will bis Ende dieses Jahres die Internet-Seite data.gouv.fr umsetzen. Die deutsche Bundesregierung dagegen hat angekündigt, erst 2013 eine Online-Plattform einzurichten, über die Bund und Länder ihre Daten den Bürgern anbieten sollen. Begründet wird das späte Datum mit der komplexen föderalen Struktur Deutschlands, die es zu berücksichtigen gäbe.

Der wahre Grund, dass Deutschland so ins Hintertreffen gerät, liegt aber wahrscheinlich woanders. Schon die Zusammensetzung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ macht ihn offenbar: In vielen Parteien fehlt schlicht das politische Personal, das adäquat auf die hochdynamische Entwicklung der Informationsgesellschaft reagieren kann.

Außer der Piratenpartei haben sich in Deutschland bislang nur die Grünen zu Open Data bekannt. Bisher blieb es allerdings bei Ankündigungen in Wahlprogrammen – mit einer Ausnahme: Bremen. Dort hat Rot-Grün eine aktive Veröffentlichungspflicht in das Informationsfreiheitsgesetz eingebaut. Behörden und Ämter müssen Datensätze und Schriftstücke nun von sich aus zugänglich machen – und nicht erst, wie anderswo üblich, nach Aufforderung.

Push statt Pull – das könnte ein zentrales Thema bei der anstehenden Reform des Informationsfreiheitsgesetzes auf Bundesebene werden. Voraussetzung dafür: ein echtes Interesse, endlich zumindest die Grundsteine für offenes Regierungshandeln zu legen. Ein Transparenzgebot beispielsweise würde es den Befürwortern in den Verwaltungen einfacher machen, außerdem ließe sich so auch das oft vorgebrachte Kostenargument entkräften, mit dem Behörden oft genug Open-Data-Ansinnen blockieren. Falsch ist es ohnehin: Gut umgesetzt lassen sich mit der Veröffentlichung weiterverwendbarer Daten sogar Einsparungen erzielen, weil mangelnde Information nicht zuletzt auch verwaltungsintern hohe Kosten verursacht.

Aus technischer Sicht ist die Zeit längst reif, das Internet weit stärker als bisher als gesellschaftliche Infrastruktur zu nutzen: Weder Bandbreite noch Speicherplatz können als Grund herhalten, das bislang meist gut behütete Wissen der Verwaltungen weiter vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Wenn freilich Datenschätze jedermann zugänglich und sogar automatisch auswertbar sind, könnte manche Stelle in der Bürokratie überflüssig werden – automatisiert, von Software-Robotern ersetzt oder von im Internet organisierten Bürgerkomitees übernommen.

Mehr Lust, mehr Mitsprache

Es ist allerdings Skepsis angebracht, ob der Politik an einer so erzeugten Transparenz wirklich gelegen ist. Schließlich stellt das Prinzip Open Data eine Machtfrage. Den Bürgern geht es um mehr, als bloß darum, informiert zu werden. Und so bleibt Open Data unvollständig, wenn der Einzelne sich nicht auf Basis der gewonnenen Informationen an mehr politischen Entscheidungen direkt beteiligen kann. Die Geschehnisse um Stuttgart 21 sind nur ein Indiz dafür, dass gut informierte „Wutbürger“ auch wirklich mehr Mitsprache einfordern.

Bei vielen ist der Einsatz für Open Data daher auch ein Ausdruck von Parteienverdrossenheit, die man oft zu Unrecht mit einer Abwendung von der Politik gleichsetzt. Die real existierenden Demokratien sind weit hinter ihre technologischen Möglichkeiten zurückgefallen, ein auf Parlamentswahlen beschränktes System der Teilhabe schöpft die Potenziale der Gesellschaft nicht aus.

So gesehen könnte die Öffnung von öffentlich relevanten Datenbanken ein Schlüssel dazu sein, wieder mehr Menschen in Entscheidungen einzubeziehen. Parteibücher verlören dann an Wert, ebenso jene Wahlstimmen, die Menschen nur alle paar Jahre abgeben dürfen. Wichtiger würde die tägliche Lust an Mitsprache, verbunden mit dem Wissen der direkt von den Entscheidungen Betroffenen. Das könnte Demokratie schon heute sein – organisiert im Netz.


Beispielsammlung zahlreicher Open-Data-Projekte, unter anderem aus den Kategorien Demokratie, Verkehr und Gesellschaft



Webseite des im Jahr 2009 gegründeten Vereins Open Data Network, der für Transparenz und Partizipation kämpft



Homepage des Vereins, der sich als Netzwerk, Werkstatt und Think Tank im Bereich Transparenz versteht



Initiative, die sich für die Offenlegung von Regierungsdaten einsetzt



Portal, das Bürger bei Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz unterstützt und die Antworten veröffentlicht



Ein Projekt des Bundesinnenministeriums, das sich eine Reihe von Open-Data-Projekten vorgenommen hat



Leider recht unübersichtliches Portal der Behörde, das auch (Roh-)Daten bereitstellt



Webauftritt der Volksumfrage, deren Ergebnisse ab November 2012 veröffentlicht werden



Lorenz Matzat bloggt über Datenjournalismus und Open Data



Das Data-Blog des Guardian liefert zahlreiche Beispiele und Datensätze zum Herunterladen



Vorstellung verschiedener Projekte. Außerdem: Zahlen und Daten zu Berichten, die in der taz erschienen sind



Dossier über Datenjournalismus und Open Data. Semesterprojekt der Hochschule Darmstadt

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