Über 65 Millionen Menschen (53 Prozent) wagten es in diesen unsicheren Zeiten, auf Veränderung zu setzen, auf Hoffnung - auf das neue Amerika, das jünger ist, farbiger und offener. "Diese Wahl ist nicht alles", kommentierte ein übernächtigter amerikanischer Kollege gleich nach Bekanntwerden der Resultate, "aber sie ist auch nicht nichts."
Nicht nichts? Die US-Wahl 2008 ist ein stolzer Moment. Die globale Linke und alle Verfechter von Menschenrechten und internationalen Verträgen können aufatmen. Endlich wird die arrogante rechtskonservative Herrschaft gebrochen, die während 30 Jahren, eine ganze Generation lang, alle Bereiche der US-Gesellschaft besetzte, entdemokratisierte und schließlich den unbefristeten Ausnahmezustand ausrief. Wenige Tage na
ge Tage nach den Terroranschlägen von 9/11 sagte Vizepräsident Cheney in einem Interview, angesichts der "gemeinen hässlichen und gefährlichen Welt da draußen" müssten sich die USA ebenfalls auf die "dark side", die dunkle Seite, begeben und fortan im Versteckten operieren. Die Bush-Regierung errichtete in der Folge Guantánamo, organisierte geheime Überstellungsflüge und perfektionierte die Bespitzelung der eigenen Leute. Nun hat diese Bevölkerung gegen die Fortsetzung des Kriegsrechts, der Kriegswirtschaft und der Kriegskultur gestimmt. Von der Generation her könnte der neu gewählte Präsident der Enkel der schwarzen Bürgerrechtlerin Rosa Parks sein, die sich 1955 in Montgomery (Alabama) äußerlich gelassen auf einen für Weiße reservierten Platz im Bus setzte. Der neue Präsident - und ehemalige Anti-Apartheid-Kämpfer - ist sich dieser Wurzeln bewusst. Er erinnert sich hoffentlich auch in den kommenden Jahren daran. Dann zum Beispiel, wenn er - wie bereits angekündigt - die unter George Bush ungeheuer erweiterte präsidentielle Macht, die Unitary Executive Doctrine, zur raschen Demontage seines Vorgängerregimes nutzen will. "Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut", mahnte Kurt Vonnegut in seinem letzten Buch Mann ohne Land. Im Machtrausch könnte leicht vergessen gehen, dass sozialer Wandel in der US-Geschichte nie allein das Resultat von parlamentarischer und präsidentieller Politik war, sondern ganz wesentlich das Verdienst einer starken progressiven Basis. Die Chancen für deren Ausbau sind nach dieser Wahl so gut wie schon lange nicht mehr. Manche vergleichen die Situation mit dem Votum für Roosevelt 1932, dessen New Deal den Gewerkschaften Auftrieb gab. Oder mit John F. Kennedy, dessen Kandidatur große Begeisterung in der jungen, weiblichen und nichtweißen Bevölkerung auslöste und der in seiner kurzen Amtszeit von 1961 bis 1963 nach anfänglichem Zögern die Bürgerrechte von Schwarzen, Frauen und Immigranten unterstützte. Die Ausgangslage ist besser als für Bill Clinton, weil das Resultat diesmal so klar und geografisch weitreichend war; neben den Städten haben auch die Vorstädte für Obama gestimmt. Und selbst die meisten der verbliebenen roten Staaten sind nun blau gesprenkelt. Der neue Präsident hat es auch deshalb leichter, weil die Demokratische Partei heute stärker und linker - in den USA sagt man liberaler - ist. Hinzu kommt, dass Obama - anders als seine Vorgänger - der Partei oder vielmehr der Parteikasse wenig schuldet. Er hat seine Kampagne nicht durch die herkömmlichen Kanäle finanziert, er hat das Internet nicht wie seine Konkurrenten als Einwegkommunikation, das heißt, zum Mikromanaging seiner potentiellen Wähler genutzt, sondern interaktiv, wie das dem Medium entspricht. Er hat auf geniale Art neue Technologien mit den bewährten Grundsätzen des Community Organizing verbunden. Sobald man sich auf die Obama-Website einklickte, versorgte man die Kampagne mit Informationen zur eigenen Person, Alter, Wohnort, Interessen, Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit. Und wenige Tage nach der Wahl wird man bereits wieder kontaktiert und zum Weiterspenden sowie Weiterarbeiten aufgefordert. Diese Organisationsform ist ein Wagnis, denn die Facebook-Generation gilt als unfokussiert, unpolitisch, unzuverlässig - Barack Obama ist dieses Risiko eingegangen und hat eine moderne und pluralistische politische Infrastruktur aufgebaut, die sich wohltuend abhebt von den doktrinären Megakirchen dieser Nation, welche die rechtskonservative Revolution vorantrieben. Von links wird nun behauptet, es sei eine Gefahr, dass Obama (zu) große Hoffnungen und Erwartungen wecke. Ach was, gefährdet ist eine Demokratie erst dann, wenn keine großen Erwartungen und Hoffnungen mehr aufkommen können. Vielleicht steckt hinter all der vorauseilenden Distanzierung aus den eigenen Reihen eine Art Selbstschutz. Die selbstverordnete Ernüchterung verhindert, dass man von der harten politischen Realität enttäuscht werden könnte, nach dem Motto "The higher they rise, the harder they fall" - wer hoch steigt, fällt tief oder so ähnlich. Ich selber assoziiere diesen Aphorismus allerdings eher mit dem ängstlichen Kleinbürgertum der fünfziger Jahre als mit einer politischen Gruppierung, die einmal aus der Offensive agieren könnte, wenn sie sich nicht vorschnell wieder in die angewöhnte Defensive zurückzieht.Natürlich ist selbst die größte Enttäuschung, nämlich eine gewalttätige Gegenreaktion zu dieser historischen Wahl, nicht ausgeschlossen. Entsprechende Ängste konnte man zuletzt immer wieder hören. "Es ist immer die gleiche Leidensgeschichte mit diesem Land", sagte mir ein Bekannter im Gespräch "erst anerkennen wir die Gebote - zum Beispiel die Gleichheit aller Menschen - dann fallen wir vom Glauben ab und brauchen messianische Figuren, die uns zurückführen. Diese Propheten bringen wir dann um wie John F. Kennedy oder Martin Luther King. Und sind daraufhin so klug als wie zuvor." Nein, das stimmt so nicht. Der Preis war (zu) hoch, aber die Bevölkerung der USA ist mit jedem dieser tragischen Ereignisse ein Stück klüger geworden. Und bereits jetzt hat Obama vieles erreicht, was nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Eine breite politische Abstützung ist fortan sein bester Schutz.Diese Wahl kann selbstverständlich nicht alles sein. Oder alles ändern. Die USA haben wie jedes Land eine äußerst ambivalente Geschichte. Die Gründerväter feierten Freiheit und Unabhängigkeit als amerikanische Tugenden - und vernichteten die Freiheit und Unabhängigkeit der indigenen Ureinwohner oder der aus Afrika importierten Sklaven. Die Vereinigten Staaten spielten und spielen eine wichtige Rolle als Land der Hoffnung für Immigranten aus aller Welt; und sie haben doch von Anfang an die Einwanderer immer auch diskriminiert, ausgebeutet und abgewehrt. Außenpolitisch wurden und werden - im Namen von Freiheit und Demokratie - Freiheit und Demokratie oft gnadenlos unterdrückt. Regierung und Militärs sprechen vom Kampf ums Überleben und meinen die Verteidigung der Überlegenheit. Innenpolitisch dient der Traum vom Aufstieg als Instrument des Klassenkampfs von oben. Barack Obama findet einen Kriegszustand, das heißt eine Verschärfung und Zuspitzung all dieser Widersprüche vor. Aber er hat ein klares Mandat der Bevölkerung, die Richtung der Politik zu ändern. Vor einem Monat habe ich an dieser Stelle den US-Soziologen Immanuel Wallerstein zitiert, der bereits 2001 das Ende des US-Hegemonie ausgerufen hatte. Die Frage sei bloß noch, schrieb er kurz nach dem 11. September, ob der stolze Adler im eleganten Sinkflug zu Boden gleitet oder aber getrieben von falschem imperialistischen Ehrgeiz brutal abstürzt. Barack Obama hat in seiner klugen und ideologische Gräben überspannenden Kampagne das Dilemma des Adlers neu und anders formuliert. Er hat gezeigt, das amerikanische Wappentier ist nach wie vor ein schöner und stolzer Vogel - aber kein Einzelgänger, sondern Bewohner eines komplexen Habitats - er teilt seinen Lebensraum mit vielen andern.Übrigens wurde der Weißkopfseeadler, der für die symbolische Figur auf dem offiziellen Siegel der USA Modell gestanden hat, erst vor kurzem von der Liste der gefährdeten Tierarten entfernt. Von offizieller Seite hieß es, der Bald Eagle habe sich erstaunlich schnell erholt. Lotta Suter ist Publizistin und berichtet seit Jahren für Schweizer und deutsche Blätter aus den USA.
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