Erst über den Umweg des deutschen Feuilletons habe ich in den USA vernommen, dass in meinem öffentlichen Fernsehen, genauer in der zehnteiligen Dokumentarserie Jazz des Filmemachers Ken Burns, ein veritabler Rassenkampf stattfinde. Das liegt vielleicht daran, dass ich keine Jazzspezialistin bin, und auch keine aufmerksame Fernsehzuschauerin. Es hat aber auch damit zu tun, dass ich in den Zeitungen hier keine Überschrift gefunden habe, die sich mit "Spielt nicht mit den weißen Jungs!" (Süddeutsche Zeitung, 26.1.2001) vergleichen ließe.
"Großartig, aber auch ernstlich misslungen" fasst der Komponist Ran Blake die Meinung der dreizehn MusikerInnen und MusikkritikerInnen zusammen, die neunzehn Stunden Jazz für die New York Times vorvisioniert hatten. Ken
York Times vorvisioniert hatten. Ken Burns, der mit epischen TV-Dokumentationen zu zwei anderen äußerst amerikanischen Themen The Civil War (1990), und Baseball (1994) großen Erfolg hatte, verdoppelte auch diesmal die Einschaltquote. Burns weiß, wie man eine Geschichte erzählen muss, schrieb die Kritik, ein großes, ja das entscheidende Lob in diesem Land.Dass da eine vereinfachte, unvollständige, etwas veraltete Geschichte des Jazz aufgerollt wird, wurde zwar ebenfalls vermerkt. Fehlende Jazzgrößen wurden aufgezählt. Zuwenig aktueller Jazz - die Serie konzentriert sich auf die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ; zu starke Fixierung auf die Jazzheroen Louis Armstrong und Duke Ellington - die Schattenseite vielleicht des hollywoodschen Geschichtenerzählens; zuviel Expertengeschwätz - speziell des Starkommentators und Trompeters Wynton Marsalis - zuwenig Respekt für die Musik selber - angespielte und unterbrochene oder lediglich dem gesprochenen Ton unterlegte Stücke. Burns Dokumentation enthält die bekannten Stärken und Schwächen von popularisierter Kulturgeschichte - und zudem eine schwer verdauliche, wenn auch landesübliche Portion von Patriotismus.Doch wo bleibt der Rassenkampf? Ken Burns selber sieht nicht bloß aus wie ein (weißer) Achtundsechziger, inklusive Bärtchen und hausbackener Haarschnitt, er versteht seine Dokumentarfilme im Geiste jener Zeit als Sozialgeschichte der USA und stellt deshalb die Rassenfrage an prominenter Stelle. Zu sehr, sagen die einen, auf Kosten der Ästhetik und der Genialität des Jazz. Gerade richtig, sagen andere, denn nur so lässt sich die Mannigfaltigkeit des Jazz besser verstehen: Wer weiß etwa schon, dass unter den Jim-Crow-Rassentrennungsgesetzen von Louisiana auch hellhäutige Kreolen, oft illegitime Söhne von Weißen, die an weißen Musikinstituten klassisch ausgebildet worden waren, lediglich in schwarzen Bands auftreten durften und so ihr spezielles Wissen mit deren Musik mischten.Auch die Rezeption von Jazz hat offenbar eine Farbe, wie Jon Panish in seinem Buch zu Rasse und Repräsentation im Nachkriegsamerika darlegt: Weiße sehen vorab den Individualismus des Jazz, die ahistorische Einzelleistung. Farbige betonen eher die soziokulturelle Erfahrung von Gruppenspiel und Improvisation, die historische Bedeutung dieser Musik. Das gilt grosso modo auch für Burns Jazz. Der erfahrene Kritiker David Hajdu bemängelt Burns fehlendes Fachwissen und die Stereotypen über natürliche schwarze Musikertalente und ihre ambitiösen jüdischen Kollegen.Doch rassistisch und neokonservativ - so das deutsche Feuilleton über Burns Jazz - äußerten sich bisher bloß zwei Herren: Terry Teachout (New York Times und Weekly Stadard) und Jacob Heilbronn (Süddeutsche Zeitung). Beide Autoren sind arrivierte weiße Publizisten in konservativen Organen, politisch liberal bis hin zum libertären und in Rassenfragen äußerst unsensibel. Teachout hat eine einschlägige Geschichte als Polemiker in Sachen Politische Korrektheiten und als Verteidiger des weißen Elementes im Jazz. Jacob Heilbrunn seinerseits ficht als selbsternannter Freigeist gegen Ideologien aller Art, zum Beispiel so: Franz Haider sei zwar ein wenig unappetitlich, doch ungleich moderater als etwa die französischen Kommunisten und wenigstens ein guter Neoliberaler.Jazz ist ebenso wenig eine Frage von schwarzen oder weißen Genen wie Sport oder Ökonomie oder Kriminalität oder Sexualität oder Bürgerrechte. Nur, der Zugang ist und bleibt - wie die Bush-Wahl bewies - jeweils ein anderer. Dass einer wie Ken Burns darauf besteht, die Geschichte dieser gesellschaftlichen Unterschiede und Ungerechtigkeiten zu dokumentieren, gerade auf dem Gebiet der Kultur, ist - JazzspezialistInnen mögen mir verzeihen - sogar als stellenweise misslungener Versuch großartig.