Kampf der Plapperer

Rhetorik Bei "Pecha Kucha"-Abenden halten Menschen Vorträge mit genau 20 Bildern á 20 Sekunden Redezeit - ein großer Spaß und ein Protest gegen die Beschränkung des Denkens

"Zukunft ist für alle gut", wirft der Beamer metergroß an die Rückwand der Bühne im Berliner Festsaal Kreuzberg. Zukunftsforscher Ludwig Engel will erklären, was er beruflich macht. Alle 20 Sekunden wechselt das Bild, die Zuschauer sehen Grafiken von Trendmodellen, das Cover eines Science-Fiction-Comics, es fallen Worte wie "Überkomplexität" und "onduliertes Gelände", immer schneller redet Engel, sein Thema entpuppt sich als zu groß, er japst, schnappt nach Luft und endet nach präzise 6:40 Minuten: "Das war ein dilettantischer Vortrag über Zukunftsforschung". Gescheitert beim Versuch, ein komplexes Thema in wenigen Worten an Laien zu vermitteln - doch johlender Applaus vom Publikum.

Engel ist Teilnehmer an einem Pecha-Kucha-Abend, was auf japanisch so viel heißt wie "wirres Geplapper". Dahinter verbirgt sich ein Vortrags-Event, das von Japan inzwischen auch nach Deutschland gekommen ist. Das Prinzip: Ein Teilnehmer versucht ein Thema anhand von 20 Bildern zu erläutern, die dem Publikum jeweils nicht länger als 20 Sekunden gezeigt werden.

Gegen die Power-Pointisierung des Lebens

Das Konzept stammt vom Architekturduo KleinDytham aus Tokio. Weil sie genug von den endlosen Powerpoint-Präsentationen ihrer Branche hatten, entwickelten sie den rigorosen Zeitrahmen von Pecha Kucha. Sie reagierten damit auf ein gesellschaftliches Phänomen: Seit Software-Riese Microsoft 1990 Powerpoint in sein Office-Paket aufnahm, gibt es kein Meeting, keine Konferenz mehr, die ohne Beamer und Laptop abgehalten werden. Selbst in Schulen und Hochzeitsfeiern hat die Computerpräsentation den traditionellen Vortrag abgelöst. Dagegen lässt sich Pecha Kucha nun als Widerstand gegen die Macht von Powerpoint verstehen, die das Denken in eine Abfolge von Spiegelstrich-Absätzen zwängt.

Ein guter Pecha Kucha-Abend sollte wie eine Wundertüte sein. So wie dieser Abend. Da will ein junger Web 2.0-Entrepreneur seinen einjährigen Spendenmarathon durch Südamerika sponsorn lassen; ein Physiklehrer hetzt vom Urknall zur Kernfusion; auf Fotos von nackten Brüsten folgt der Beweis, dass Jesus ein Zombie war und schließlich die Erklärung eines Piloten, wie man ein Flugzeug notlandet. "Mit Pecha Kucha kann man ein Thema nicht wirklich erklären, sondern nur Interesse dafür wecken", sagt Veranstalter Joachim Stein. "Jeder Vortrag ist wie ein Teaser – ob du dich dann weiter mit dem Thema beschäftigst, entscheidest du selbst."

Lacher für kühne Montagen

Weil Powerpoint durch seine vorformatierten Folien komplexe Themen auf einfache Bilder mit wenigen Worten reduziert, sehen Kritiker wie der Computerwissenschaftler Edward Tufte darin einen Verfall der traditionellen Vortragskunst. Andere führen gar Fehlentscheidungen in Wirtschaft und Politik auf die übersimplen Präsentationen zurück – die Entscheider verlören dadurch ihr Verständnis für komplexe Zusammenhänge.

Tatsächlich zeigt aber auch der Berliner Pecha Kucha-Abend, dass der Inhalt lange nicht so wichtig ist wie die Person des Vortragenden. Das Publikum goutiert kühne Themen und steile Thesen, Lacher gibt es für amüsante Montagen aus Bild und Sprache ebenso wie für Improvisationstalent und charmante Stottereien. Letztere entstehen meist, wenn die Vortragenden unter Zeitdruck geraten. Dann wird aus einer komplizierten Graphik über das Landeverhalten von Flugzeugen "aerodynamischer Scheiß", ein anderer verkürzt eine verwirrende Skizze von Kondratieffwellen mit "Exportrationalisierung von irgendwas".

Das Netzwerk wächst

Doch es geht auch anders. So beweist etwa der Dokumentarfilmer Jakob Preuss, dass das Format auch seriös informieren kann: Mit 20 Schnappschüssen und präzisen Kommentaren macht Preuss klar, dass die Wahlbeobachtung durch EU-Abgesandte im Kongo ein symbolischer Akt von fragwürdigem Sinn war.

Innerhalb von sechs Jahren hat sich das zumeist ehrenamtlich organisierte Eventformat von Tokio aus in 160 Städte der Welt ausgebreitet; in Deutschland wird die Kunst des Kurzvortrags in Köln, Hamburg, Dortmund, Frankfurt und München gepflegt. Und das Netzwerk wächst: Die meisten Teams rekrutieren Sprecher aus ihrem eigenen Bekanntenkreis, oftmals an Selbstdarstellung gewöhnte Kreativ- und Wissensarbeiter, die vor einem ebensolchen Publikum "Updates" ihrer Projekte geben. Weil aber jeder neue Sprecher seine Freunde mit Pecha Kucha in Berührung bringt, entstehen Verbindungen, welche die unterschiedlichsten Szenen – auch international – miteinander verbinden.

Vielleicht ist Pecha Kucha jedoch auch deshalb so erfolgreich, weil es das passende Vortrags-Format für die digitale Gesellschaft ist: In seiner assoziativen Vielfalt gleicht es einem Streifzug durchs Internet – auch in seiner Flüchtigkeit. Am Ende ist man überladen mit Eindrücken, weiß vieles und doch nichts – und ist im Idealfall prächtig unterhalten worden.

Die nächsten Pecha Kucha-Nächte finden an diesem Donnerstag in Hamburg um 20.00 Uhr statt, ebenso in Stockholm und Edmonton. Am Freitag folgen Marseille, Toronto, Cleveland und Barcelona.

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