Dumpfer Trommelwirbel

Kommentar Die Unterlagen der Stasi und der Untergang des Abendlandes

Schade, dass ich beim Schreiben keine Musik machen kann. Denn eigentlich lässt sich nur mit Trompeten- und Fanfarenstößen sowie einem Klang-Sturm dunkler Streichinstrumente das Unheil angemessen deutlich machen, das da jetzt auf uns zukommt: die "Operation Schluss-Strich" oder das "Ende der Aufarbeitung des SED-Unrechts", kurzum die Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes.

Am 1. November widmete Die Welt dem Vorgang die Titel-Schlagzeile und die gesamte Seite drei. Ein fünfspaltiges Foto von MfS-Aktenschränken in der ehemaligen Zentrale der Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg zeigt dieses Mobiliar mit einem dicken Klebeband versperrt, auf dem die dreifache Verbotsformel prangt: KEIN ZUTRITT KEIN ZUTRITT KEIN ZUTRITT - gedruckt übrigens auf rotem (!) Grund. Und um diese Bild-Manipulation gruppieren sich folgende Fragen und Behauptungen: "Wird die Stasi-Vergangenheit künftig zum Sperrgebiet?" - "Für frühere Stasi-Offiziere wäre das ein Triumph" - "Das Vertrauen der Bürger würde weiter untergraben", bevor es dann unter der Überschrift So sieht sie aus, die deutsche Täter-Gesellschaft richtig zur Sache geht.

Zitat: "Sie wissen, was sie tun, die Abgeordneten des Bundestages. Sie stellen faktisch die Überprüfung auf Stasi-Mitarbeit ein und schützen mit einem Verwendungs- und Verwertungsverbot der Stasi Akten die IM." Da müsste jetzt ein Trommelwirbel sondergleichen einsetzen oder eine ganz große Orgel.

Wie übrigens auch einen Tag später in der renommierten ARD-Magazin-Sendung Kontraste, als es im gleichen Tenor weiterging mit Aufnahmen vom Parlament - natürlich Gregor Gysi im Bild - und der Kommentar mit Tremolo-Stimme verkündete "Abgeordnete, ja Minister mit Stasi-Vergangenheit haben in Zukunft ungeprüft Zugang zu Amt und Macht!" Dazu düstere Musik (im Fernsehen geht das ja zusammen: Wort, Bild, Ton...), wabernd unseren nahen Untergang als Demokratie andeutend.

Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man eigentlich in lautes Gelächter ausbrechen. Aber da ich nur schreiben und argumentieren kann, versuche ich es mit einer sachlichen Replik.

Am 31. Dezember dieses Jahres endet das Stasi-Unterlagengesetz. So haben es die Gesetzgeber 1991 festgelegt. Nach 15 Jahren hielten sie die Geschichte für "ausgestanden". Wir wissen heute, dass sie es nicht ist. Deshalb brauchen wir ein neues Gesetz, das ab 2007 gilt. Niemand, kein Abgeordneter weit und breit, will ein Verwendungs- und Verwertungsverbot der Stasi-Akten! Natürlich soll die Aufarbeitung der DDR-Geschichte weitergehen. Die Frage ist allerdings: In der Birthler-Behörde weitergehen wie bisher? Oder Weitergehen durch Überführung der Unterlagen in das Bundesarchiv? Wir haben dieses hoch angesehene Institut. Es arbeitet nach den Regeln eines 2005 überarbeiteten Bundesarchiv-Gesetzes. Hier wären die Unterlagen gesichert, wäre die Akteneinsicht für die Opfer garantiert - die Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte könnte fortgeführt werden.

Das ist kein Hirngespinst, sondern ein Plan, den schon die vorherige Kulturstaatsministerin Christina Weiß vorgeschlagen hat. Nichts spricht dagegen. Im Gegenteil, wenn man von der seltsamen und absolut ungewöhnlichen Unsitte wegkommen will, dass in einer Behörde des Bundeskanzleramtes geisteswissenschaftlich geforscht wird, wäre es das Gebot der Stunde.

Soviel zum angeblichen Verwendungs- und Verwertungsverbot der Stasi-Akten. Von wegen KEIN ZUTRITT KEIN ZUTRITT KEIN ZUTRITT, Verbesserungen wären der Fall. Nun zur Überprüfung der Stasi-Mitarbeit. Diese soll ab 2007 auf bestimmte Personen beschränkt werden, so sieht es der Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor. Eingeschränkt, aber unbefristet - also in alle Ewigkeit - soll weiter überprüft werden. Wieso eigentlich? Haben die Verfasser des Gesetzes 1991 nicht mit gutem Grund sein Ende nach 15 Jahren festgelegt? Zum Rechtsstaat gehört der Gedanke der Verjährung - im Strafrecht und im Zivilrecht. Immer gilt es abzuwägen zwischen strafrechtlichen Handlungen, Vergehen, Verbrechen sowie Sanktionen und Strafen. Die Zeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Gefährliche Körperverletzung und schwere Fälle von Freiheitsberaubung verjähren nach zehn Jahren. Eine Tätigkeit für die Stasi nie? Jede Überprüfung stellt einen gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar, deshalb hat der Gesetzgeber das Überprüfungsgesetz auf 15 Jahre befristet. 1991 war man im Rechtsstaat angekommen. Daran dürfen wir 2006 erinnern - oder nicht?

Luc Jochimsen ist Publizistin und Bundestagsabgeordnete in der Fraktion Die Linke.


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