Er muss sich beobachtet fühlen. Wie jeden Dienstagmorgen stützt der Politikprofessor Herfried Münkler seine Arme auf das Rednerpult des großen Hörsaals in der Berliner Humboldt-Universität, vor ihm warten rund 150 Studenten auf seine Vorlesung Politische Theorie und Ideengeschichte. Doch anders als sonst haben sich heute Journalisten daruntergemischt, die jetzt mit Notizblöcken zwischen den engen Bänken hantieren. Sie wollen überprüfen, ob es stimmt, was einige Studenten anonym im Internet behaupten: Münklers Vorlesung habe militaristische, sexistische und rassistische Tendenzen.
Die Vorwürfe treffen einen der prominentesten Wissenschaftler Deutschlands. Seit 23 Jahren lehrt Münkler – Vollbart, runde Brille, 64 Jahre alt – am Lehrstuhl für Theorie der Politik. Medien betiteln ihn mal als „Ein-Mann-Thinktank“, mal als „öffentlichen Intellektuellen“. Er berät hochrangige Politiker, ist rhetorisch gewandt, gefragter Gast in Talkshows.
Ein "Extremist der Mitte"?
Doch seit kurzem stellen Studenten wöchentlich eine Art Besprechung seiner Vorlesung online – kritisch bis vernichtend und komplett anonym, zu finden auf dem Münkler-Watch-Blog. Ist das Rufmord oder berechtigte Kritik? Die Vorwürfe der Blogger: Münkler äußere sich zynisch über den Tod von Flüchtlingen und Arbeitslosen, mache sich lustig über geschlechtergerechte Sprache. Seine Literaturauswahl sei eurozentristisch und männlich-weiß dominiert. Kurz: Er sei ein „Extremist der Mitte“. Damit verweisen die Kritiker auf den Soziologen Seymour Martin Lipset, der antidemokratische Bewegungen aus der Mitte der Gesellschaft als Brutstätte des Faschismus betrachtete.
Wer ist der Mann, dem sie das vorwerfen? Er steht am Rednerpult und gibt vor der Vorlesung noch eine Bemerkung zu Münkler-Watch ab: „Das, was die Studenten da machen, ist asymmetrische Kampfführung“, sagt er ins Mikrofon. „Sie haben kaum eigene Ressourcen, aber sie nutzen meine Bekanntheit für ihre Sache.“ Er vergleicht die Situation mit dem 11. September 2001. Die Attentäter hätten auch großes Leid anrichten können, ohne dass ihnen das World Trade Center gehörte.
„Asymmetrische Kriege“ – diesen Begriff hat Münkler mit seinem Buch Die neuen Kriege im Jahr 2002 selbst geprägt. Konflikte würden heutzutage zwischen Parteien mit höchst unterschiedlichen Ressourcen und Strategien ausgefochten. Vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Anti-Terror-Kriege hat diese Analyse Münkler zu einem der gefragtesten Politikberater Deutschlands gemacht.
Berater der Bundeswehr
Wenn der Führungsstab der Bundeswehr-Streitkräfte sich über Terroristen als Gegner informieren will, fragt er Münkler. Im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik bestimmt er mit, zu welchen Kriegs- und Friedensfragen Ministerienmitarbeiter, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler weitergebildet werden. Auch der Planungsstab des Auswärtigen Amts hört auf seine Einschätzungen – zu diesen gehört etwa, dass das Völkerrecht nicht mehr der Realität der heutigen Kriege entspreche.
Münkler versorgt die Mächtigen dann mit Analysen, die den Regierungskurs optimieren sollen. Allein das ist den Studierenden suspekt. Ihr extrem kritischer Blick auf seine Sprache ist wohl auch ein Versuch, ihr eigenes Unbehagen in Worte zu fassen. Denn in Wirklichkeit ist Münklers Lehrplan genauso eurozentristisch wie der Durchschnitt der deutschen Lehrpläne, seine Sprache gegenüber Minderheiten so respektvoll oder -los wie die der meisten Wissenschaftler – das zeigen seine öffentlichen Auftritte. Aber er steht mit seinem Einfluss nun mal wie kein anderer für die politische Kultur des Status quo. Kriege analysiert er pragmatisch, dem politischen Establishment gibt er Handreichungen. In den Hörsälen prallt die Welt des Bundeswehr-Beraters auf die junger Menschen, die ihre Laptops mit Parolen zur Weltverbesserung bekleben.
Die Folgen von Münkler-Watch
Auf den Blog ist Münkler gestoßen, als im Kinosaal überall Flugblätter lagen, die auf den Link verwiesen. Seine Mitarbeiter sammelten sie ein. Noch immer haften ein paar Aufkleber auf den Pulten, halb abgekratzt. Sie fragen: „Bei Chauvinismus und Militarismus wegsehen?“ Als Presseanfragen zu Münkler-Watch bei ihm einprasselten, antwortete er schnell. Seine Zitate aus der Vorlesung würden teils sinnentstellend wiedergegeben, teils in „das Gegenteil des Gesagten“ verkehrt, erklärt er. Es sei unerträglich, unter „diesen Umständen der permanenten Denunziationsdrohung eine Vorlesung halten zu müssen“. Dafür habe er keine Zeit.
Im Hörsaal spricht er dennoch gelassen, fast freundlich. Auswendig zitiert er Carl Schmitt und Jean Bodin, zeichnet die Geschichte des europäischen Gedankens der Staatssouveränität nach. Immer wieder verfällt er in Kriegsmetaphern: Strategie, Zinnsoldaten, Kursänderung. „Aber ich soll mich ja nicht militaristisch ausdrücken“, schiebt er einmal hinterher. „Vermutlich sexistisch“ nennt er Bodins Stil. Münkler-Watch hat Spuren hinterlassen. Die Blogger feiern das später als Erfolg. Doch seine Anspielungen klingen ironisch.
Wirklich empörende Aussagen von ihm sind selten. Dass er empfahl, die Einwanderung von Flüchtlingen durch präventive „Stabilisierungspolitik“ an den Rändern Europas zu stoppen, rief Kritik hervor – vor allem wegen der Begründung, Flüchtlinge gefährdeten die soziale Ordnung. Aber dass die EU-Außenminister vor kurzem eine Militärmission gegen Schlepper beschlossen haben, zeigt, wie nah er dran ist an den politischen Realitäten.
Die anonymen Studenten warnt er in seiner Vorlesung. „Ich habe die Strategie der asymmetrischen Kampfführung zehn Jahre lang erforscht. Ich werde keinen langen Zermürbungskrieg führen.“ Münkler wäre vielleicht gut beraten, sich hier mehr auf Friedens- statt auf Konfliktforschung zu konzentrieren.
Kommentare 21
Jeder Universitätsdozent, sollte eigentlich froh sein, daß sich seine Studenten kritisch mit seinen Vorlesungen, Inhalten und Themen auseinander setzen.
Münkler-Watch ist in meinen Augen weniger als eine persönlich diffamierende Anfeindung zu sehen, als viel mehr als eine Kritik auf die Positionen und Inhalte die Prof. Münkler in seinen Vorlesungen darstellt. Warum die Meinungsäußerung Anonym erfolgt, ist dargelegt.
Darüber hinaus will ich in diesen Kommentar offenlegen, dass ich wichtige Teile und Lehrstühle der Humboldt-Universität als äußerst konservativ empfinde. Das gefällt mir gar nicht.
Gerade in den geschichtswissenschaftlichen Fächern, sind mir Professoren begegnetet die mir jovial begegnet sind und in ihren Vorlesungen trotzdem konservative, extrem konservative beinahe reaktionäre, so mein persönlicher Eindruck, Ansichten über ihren Lehrstoff vermittelt haben. Meine Kritik geht dahingehend, das ich bei Vorlesungen für Erstsemestler, nicht jemanden referieren lassen darf, der durch Auslassungen und Weglassungen über Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jhd. Unterrichtet.
Da blickt man dann also von oben auf den Bebelplatz herab, wo 1933 die Juristen, Germanisten und Historiker Bücher verbrannten, sitzt in einer Vorlesungen in der es über die von Zeit von damals geht und wartet vergeblich darauf, das der Professor sich mit Herzblut links positioniert. Statt dessen führt er 200 Neuankömmlinge durch sein konservatives Gedankengebäude und führt seine Studenten aller Fachrichtungen in die rechte Lehrmeinung ein.
Achso, also bekommt man einen Eindruck vermittelt wie der rechte Geist am 10. Mai 1933, überzeugt dem Faschismus anhingen und die Links-intellektuellen auf den Scheiterhaufen warfen.
Gerade die HU mit seiner Geschichte und ihrem Namen darf kein Hort des Konservatismus sein. Die Realität, ist in meiner Wahrnehmung leider doch so.
Den Studenten fiel wohl schon länger eine Äugelei des Professors auf. Studenten sind ja dynamischer und auch konzentrierter, als Blogger und Journalisten, die gar nicht so fokussiert an den Universitäten und hier speziell beim theoretischen Politologen, beobachten können.
"Darf ´s a bisserl Diktatur sein, gnä´...?" (dFC, 2012),
Demokratiefrust? Die Demokatie leidet. Unten und Oben haben aber andere Vorstellungen, warum das so ist. Zwei Denker über Alternativen. Einer hält seine Sicht für alternativlos.
https://www.freitag.de/autoren/columbus/darf-s-a-bisserl-diktatur-sein-gnae ,
zu Münklers Aufsatz, "Lahme Dame Demokratie. Wer siegt im Systemwettbewerb?",
https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2010/mai-juni/lahme-dame-demokratie
und zur Auswirkung dessen, was sich die theoretische Politologie gegenüber dem Hegelplatz so ausdachte:
Neue, alte Kriege, einfache Lösungen? (dFC, 2009) Weltpolizist USA. Sollte die militärisch stärkste Nation der Welt, zur einzig legitimen Gewaltmonopolistin erklärt werden?-Vollmundige Hobbessche Glücksversprechen der Politikwissenschaft:
https://www.freitag.de/autoren/columbus/neue-alte-kriege-die-suche-nach-einfachen-losungen
Nun haben sich einige seiner Studenten der Schibboleths bedient, die in der Aufmerksamkeitsökoonomie und P.c.- Öffentlichkeit die größte Beachtung sichern.
Gut, Frau Hommerich, dass Sie dazu berichten.
Rein sachlich, lassen sich gewisse Lieblingsmotive des theoretischen Politologen durchaus deuten, als gar nicht sehr demokratiefreundlich. Besonders aber, als Widerspruch zu unserer europäischen und deutschen Demokratie, zu Schwarz-Rot- Gold nach dem GG.
Besonders mit Bezug auf die dringlichen Reparaturarbeiten, die bald sein müssen, weil sonst die verfasste, demokratische und republikanische Demokratie zugrunde geht, liefern Münklers Ansätze eher eine Rückwärtstendenz, hin zu mehr Autorität und Macht, wenn auch noch auf Zeit und immer mit der berühmte Notlage Schmitts angedacht, als Abwehr gegen vermeintliche und reale, ideologische und asymetrisch- militärische Konflikte.
Das liegt an seiner forscherischen Grundorientierung, die von Demos und Polis, Richtung Carl Schmitt läuft.
Ihren anregenden Artikel werde ich zum Anlass für ein Blog nutzen, zumal nun wirklich an Herfried Münklers Positionen und politologischen Lieblingsmotiven Kritik geübt werden muss. Vielen Dank.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ich finde Münkler-Watch grundsätzlich ganz gut - auch wenn auf die bereits anklagende Fokussierung auf die Person durch den Titel verzichtet werden könnte. Grundsätzlich ganz gut finde ich es, weil es die kontroverse und auch harte Diskussion mit und auch des arrivierten Lehr-Establishements heute sonst gar nicht mehr gibt. Wenn man Münkler-Watch liest, so erscheint die nachbereitende Diskussion der Vorlesungen des begnadeten Redners auch gar nicht schlecht und recht sorgfältig gemacht. Nicht alles an Münkler wird für verkehrt befunden, wenngleich auch in erster Linie Kritikwürdiges gefunden werden will. Springt dem sehr links und genderorientiert geschulten Ohr und Auge nicht genug Deutlichkeit entgegen, so wird alles sorgfältigst umgedreht und wirklich jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. So lässt sich dann immer etwas finden und in der Gesamtkumulation entsteht dann freilich ein sehr negatives Bild eines Professors. Also Münkler-Watch ist schon auch sehr suggestiv.
Jedoch: So wertvoll Münkler aufgrund seines ernormen Wissens und seiner nüchternen Einschätzungen einerseits als Hochschullehrer sein mag, so sehr ist er andererseits ein im Establishement arrivierter Professor. Münkler ist aber aufgrund seiner Erfahrung, seiner Redebeschlagenheit und seiner Arriviertheit der Typus Gelehrter, bei dem es gilt, ganz genau hinzuhören. Natürlich sind "wirklich empörende Aussagen von ihm selten".
Vielleicht verhält es sich mit Jörg Baberowski, Historiker an der HU, tatsächlich noch etwas anders. Die ihn stark unter Feuer nehmende Trotzki-Jugend und der IYSSE haben offenbar recht griffige Argumente für eine hohe Fragwürdigkeit Baberowskis.
Da ist leider was dran.
Geht es auch weniger pauschal? Konkret!
Jetzt muss ich aber unbedingt von Miauxx und Nullachtfuffzehn Argumente und Fakten lesen, als nur gegenseitige Bestätigungsadressen auszutauschen. Sonst kann man das doch bei einem Bier in der Kiezkneipe erledigen. Oder mit: Daumen hoch, Daumen runter.
Nichts für ungut, aber solche Kommentare sind wohlfeil sie kosten nichts, in jeder Hinsicht.
Auf Besserung hoffend.
Christoph Leusch
Wie haben Sie denn nun erkannt, dass es da "nichtzuletzt", also wohl besonders wichtig, um "Gretchenfragen" geht und warum ausgerechnet bei diesem Thema um die von der Religion?
Da muss aber unbedingt mehr Argument her, um einen solchen Kommentar noch zu retten.
In Hoffnung und Erwartung
Christoph Leusch
Och, ich finde meine vorsichtige Bestätigung von 08/15 gar nicht so unkonkret. Mann, wenn ich schon mal Einzeiler schreibe ...
Aber einen Kommentar darüber habe ich ein paar Kilobyte mehr auf die Reise geschickt - ich kann das also durchaus. :-)
Mit dem Vorwurf der "asymmetrischen Kampfführung" hat sich Münkler wirklich einen Fehlgriff in seine rhetorische Schatzkiste geleistet. Andererseits ist aber auch ein Gesprächsangebot seinerseits mit der Begründung abgelehnt worden, er würde nur seine rhetorische Überlegenheit ausspielen. Und diese Scheu vor einer direkten Diskussion ist wiederum wirklich schwach von den noch "halbwegs wachen Geistern".
Hallo Herr Leusch,
es freut mich, dass der Artikel Sie zu einem Blog angeregt hat! Diskurs, Kritik und Diskurskritik sind doch immer gut.
Herzliche Grüße,
Luisa Hommerich
Wenn auch ein paar andere überregionale Zeitungen berichten, ist es immer noch eher selten, dass Presseorgane dem realen Treiben an Universitäten mehr Aufmerksamkeit widmen.Bei Münkler bot es sich an, weil er öffentlich bekannt gemacht wurde.
Das ist schade, denn gerade in den Humanities müsste die allseitige Diskursethik ein zentraler Lehr- und Lernschwerpunkt sein. Frager bei Vorlesungen auszuschließen und auch einmal über Flachs und Unsinn zu diskutieren, Bemerkungen zurückzunehmen, gehört doch irgendwie dazu.
Die Studenten haben jedoch auch gute Gründe inhaltlich Kritik an der Ausrichtung der "theoretischen Politologie" zu üben, sich sehr kritisch zu Münkler zu äußern, also nicht nur die Formalia anzugehen, also Nebenbemerkungen und verunglückte Lockerungsbemühungen des Politologen zu kritisieren.
Auf den Webpages versuchen sie es, aber lassen sich dabei zu sehr von formalen Überlegungen ablenken und verfallen leider auch in erlernten Jargon, z.B. zur Remilitarisierung der politischen Möglichkeiten, die Münkler mit anderen Wissenschaftlern seines Faches andenkt und vorantreibt.
Bis bald und nur weiter so
Christoph Leusch
Würden Sie denn zugeben, dass Münklers politologische Absichten über eine, mehr oder minder passende Analyse kriegerischer Konflikte hinausgeht, Mopperkopp?
Ich denke, dass Herfried Münkler, in seinem mehr oder minder starken Leiden an der Körnigkeit und Rauhigkeit der Demokratie, die immer bremst und zu Rückkopplungsschleifen zwingt, seine Sehnsüchte nach anderen politischen Effizienzsystemen aufschreibt. Das ist eher eine alte Politologen und Philosophen- Leidenschaft. Das geht über Creveld, Keegan und Caldor hinaus, denke ich. Münkler ist ja nicht nur ein besserer Uncle Toby.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Das ist aber erneut extrem pauschal. Sie sind unschlagbar, wie Sie das in so wenigen Worten einschätzen. Ich traute mich das gar nicht.
Schönen Abend
Christoph Leusch
Mopperkopp, sie sehen nicht, dass Sie am Thema vorbei linsen, was auch spannend sein kann, keine Frage, aber vom Artikel wegführt.
Hier geht es nicht um Münklers Thesen und "Entdeckungen" rund um asymetrische Konflikte, sondern um das Fundament der von ihm vertretenen "theoretischen Politologie" mit der er massiv an der Art und Weise der Entscheidungsfindung in Demokratien Kritik übt und andere, mögliche Vorgehensweisen "durchspielt".
Die Studenten beklagen zudem seine, wie auch immer, vor allem auf anderer Leute Kosten betriebene, Ironie- und Sarkasmus- Rhetorik in den Lehrveranstaltungen.
Nur das Beste
Christoph Leusch
Na, mindestens eine theosoziopolitologische Einheitsübersetzung. (;-))
C. Leusch
Wenn ich bei Facebook wäre, würd' ich dem Münkler seine Seite sofort disliken.
Das hätte der dann davon.
Wahnsinn, wie schnell sich alles erledigt. An welche Bibel- oder Parteischule haben Sie denn gedacht, Lethe? Irgendwie linksorientiert oder nur links? Und wer sagt, dass an Hochschulen die Freiheit der Forschung regiert?
Dagegen stehen und sprechen, wahrscheinlich völlig ohne Absicht und, wie ich glaube gar nicht einmal unbedingt aus bösem Willen, so nette Dinge wie: Drittmittelforschung/Auftragsforschung, Abhängigkeit in den Geistes- und Humanwissenschaften von Märkten, die sich formiert haben und Ansprüche stellen, was hinten herauskommen soll. Dagegen sprechen Besetzungs-, Beratungs- und Findungskommissionen, die in aller Regel in Deutschland und allen anderen wichtigen Industrienationen sehr enge Vorstellungen von Wissenschaftsfreiheit haben und sich insbesondere fast nie dazu entscheiden, ihre wissenschaftlichen Gegenparts an die eigene Uni zu berufen, um dann mit diesen Personalstellen, öffentliche Mittel, die es auch noch gibt und Lehrangebote zu teilen.
Wie das Marketing und die Ausrichtung der Universität funktioniert, müsste man in Berlin wissen. Das ist das System/Modell- Lenzen, das sich monopolartig in der Uni-Landschaft durchsetzte und tatsächlich, gerade in den Fachbereichen, die besonders kritisch sind, weil sie die späteren Meinungsbildner ausbilden, eine geradezu münklersche Asymetrie sondergleichen produzieren.
In anderen Fachbereichen, z.B. in der Pharmaforschung, Agrarforschung, in der Chemie und Biochemie, in den Wirtschaftslehren, wie auch immer sie sich an deutschen Universitäten nennen mögen, werden doch nicht Falsifizierer und Kritiker berufen, oder können sie da zahlreiche Gegenbeispiele nennen?
Die Freiheit der Forschung wäre dann wieder hergestellt, wenn zum Beispiel an einer großen PoWi oder Geschichtswiss. Fakultät weit voneinander entfernt liegende VertreterInnen gemeinsam die Ausbildungsgänge garantieren müssten und den wissenschaftlichen Streit dann auch produktiv in der Forschung und in der Lehre vor Ort, unter Einbezug der Studenten, austrügen.
Das wäre innovativ, z.B. in der Frage, die hier im Artikel und Thread, am Rande immer wieder auftaucht: Die Macht des transatatantischen "Werteraums", der mittlerweile viele Doppelmoralen und faktisch doppelte Buchführungen kennt, eine unsinnige Zentrierung aufweist und im höchsten Grade ideologisiert ist, obwohl die Hauptverteter dies kategorisch bestreiten und es im Wesentlichen als unerlaubte und schändliche Rufschädigung abtun wollen.
Der Zustand verbessert sich nicht, gerade weil sich so viele Lehrende und Nachwuchsleute in Netzwerken bewegen, die im Grunde eine große Inzucht sicherstellen.
Neue Gedanken und Richtungswechsel, sowie Analysen und Auswertungen großer Anteile der globalen Realität, tauchen aus diesem Grunde nur selten und nur am Rande an den Universitäten auf, obwohl sie doch eigentlich der letzte Hort sein müsste, neben der rein interessengleiteten Marktgesellschaft, wo sie überhaupt als Forschungsgegenstände wahrgenommen werden.
Es ist aber keinesfalls mehr Absicht und Zielsetzung der heutigen Strukturen, sich selbst in Frage zu stellen oder in Frage stellen zu lassen. Damit geht ein wesentlicher Teil der Basis für Wissenschaft vorweg verloren. Das ist nicht Alexander von Humboldts Credo, obwohl Humboldt hier und Humboldt da, sich jede zweite, bekanntere Exzellenz, sich in öffentlicher Rede zu den beiden Gründern und ihren Idealen auslässt.
Man muss nicht superklug und allwissend sein, um zumindest diese klaffende Wunden im Universitätswesen unserer Tage zu erkennen. Die ebenso spannende Frage, von wem und zu welchem Zwecke, diese Strukturanpassungen vorgenommen wurden, nachem es einmal einen Aufbruch gab, der in eine deutlich andere Richtung lief, ist damit noch gar nicht angesprochen. Ob man da nur mit der These arbeiten kann, das sei der Gang der Dinge, wenn sich Insitutionen immer mehr bürokratisieren und gedanklich in einer Art Kollegiatsgesellschaft wieder verfestigen, scheint mir zu simpel.
Schönes Wochenende
Christoph Leusch
Das ist aber unlogisch und nicht wissenschaftskonform, so zu argumentieren, denn selbst die Wissenschaftler die recht eindeutig eine Position oder Haltung vertreten, propagieren ja, an Sonntagen und akademischen Feiertagen, dass das grundständige Studium und die allgemeine Lehre frei sein sollen, von einem Bias.
In der Politologie bedeutete das, gerade dann, wenn man eine "theoretische Politologie" auf Uni- Niveau betreiben möchte, also nicht eher empirische Sozialforschung, probabilistische Modelle, spieltheoretische Konzepte vorrangig einsetzt, um Daten zu gewinnen und diese zu verarbeiten, dass an jeder grundständigen Uni nur ein Binnenpluralismus dem Wissenschaftsanspruch gemäß ist.
Die beiden Humboldts hätten das, sprachlich feiner, genau so ausgedrückt. Mit deren Idealen, wird an jeder erdenklichen Ecke für die deutsche Universität geworben. Wissenschaft ist ja nicht nur Ausbildung von "Brotberuflern" (Schiller), sondern Berufung und (Selbst-)Verpflichtung einem Ideal der Erkenntnis auch zu folgen.
Manche Hochschullehrer argumentieren, man könne und solle sich eine andere Universität aussuchen, wenn einem der örtliche Ansatz nicht passe. Aber zumindest für die Grundstudien, für die Voraussetzungen einer Spezialisierung oder Ausrichtung, müssen an allen Orten, die ein vollwertiges Fachstudium anbieten, diese offenen Grundbedingungen erfüllt sein.
Was war eigentlich der Freiraum der Wissenschaften, besonders natürlich der Geisteswissenschaften, an staatlichen Hochschulen? - Forschung und Lehre ohne Nötigung und Zwang, auch ohne den Druck des Kapitals oder heute, ohne den Einfluss von Stiftungen und sehr gut organisierten Think tanks, ohne Einfluss von Institutionen und des Staates selbst, ohne deren Interessen im Blick.
Bevor einem Deutschen Professor ein strafwürdiges Vergehen in Forschung und Lehre nachgewiesen werden könnte, muss viel passieren. Aber um dieses Niveau, etwa dass ein Prof. Klausuren verkauft hätte oder Wertungsarbeiten mit unlauteren, gar unrechten Forderungen verknüpft hätte, geht es ja bei Münkler und Co. auch nicht.
Das Berliner Geschehen sagt aber viel aus, zu dem mittlerweile wieder entstandenen Gefälle in der akademischen Welt, zu diesem wissenslogisch und sachbezogen unsinnigen und auch unerträglichen Abstand, der da, durchaus recht subtil, es muss gar nicht mehr die Polizei geholt werden, sich wieder einstellt.
Das war nun ein langer, auf die Dauer zermürbender Prozess, der nicht Kreativität und Drang nach Wissen freisetzte, sondern massenhaft Konformität erzeugt und zum Wiedererstarken autoritärer Muster beiträgt.
Beides Sachverhalte, die gerade für Geisteswissenschaftler nicht hinnehmbar sind, die sich für ihre Methode(n) und bei vielen auch Überzeugungen, entschieden haben.
>>Die war eine Zeit lang staatlich, das wurde dann missverstanden als Recht auf Finanzierung. Tja, der Zahn wurde gezogen. Gute alte Zeiten, oder?<<
Von mir nun völllig neben das Thema gesetzt: Was spräche dagegen, eine hinreichende Finanztransaktionssteuer durchzusetzen und eine Gewinnbesteuerung einzuführen, die auf dem Niveau der Einkommensbesteuerung läge? Bei Vermögen und Gewinnen, bei der Spekulation, bewegen sich die Zahlen mittlerweile im Billionen- Bereich. Bei der zusätzlichen, staatlichen Hochschul- und Forschungsfinanzierung dreht es sich um Beträge im Bereich unter 10 Milliarden Euro. Damit ließe sich eine Freiheit wieder herstellen und in den Bereichen, die die Industrien, auch die der Meinungen, mittlerweile fluten, gäbe es die Chance Gegengewichte aufzubauen.
Beste Grüße und gutes Pfingstwochenende
Christoph Leusch
Die Brüder sollen mal ihre Vorlesungen online stellen, ist in Amiland die Regel. Ärgerlich ist es nur, wenn es exclusiv auf iTunes gesendet wird.
"gutes Pfingstwochenende"
Danke ebenfalls.
Ich bin solange die Leitung steht beim Moers-Festival.
http://concert.arte.tv/de/moers-festival
http://www.moers-festival.de/multimedia/live-stream.html?no_cache=1&L=
Normalerweise besucht ein Student nur eine solche Einführungsvorlesung, mit diesem breiten Themenspektrum. Dazu gibt es dann noch ein Proseminar und zwei Übungen, bzw. so ungefähr. Für mehr hat die StudentIn, mit oder ohne Strickzeug, mit Voice- Recorder, ohne ihn, mit Stenoblock,...gar keine Zeit.
Klar, es geht um Idealismus. Aber wenn es selbst in der freien Kunst und freien Wissenschaft nicht mehr darum geht, wo denn dann? - Die preußische Reformuni war ja sozusagen der erste Platz, an dem sich die Freiheit, neben der Kulturproduktion Bahn brach.
Gesellschaftlich herrschte doch sonst die Verspätung der Nation und der politischen Entwicklung und die sehr engagierte, konservative und monarchistische Restauration. 1830/34 und 1848 wurden die Reformer und Revolutionäre nochmals geschlagen. 1871 herrschte dann schon das Gold und Geld aus der Kriegsreparation und der Kaiser.
Selbst da, im kleinen Reich der wissenschaftlichen Freiheit, blieb es schwierig (man denke nur, wer zugelassen und wer ausgeschlossen wurde).
Ausgerechnet in dem Augenblick, als sich die Forschungs- und Lehrfreiheit auch noch besonders auszahlte, als die deutschen Universitäten ihren Weltruhm begründeten und die größte Ernte der Mühen einfahren konnten, kamen konservative, völkische, antidemokratische, autoritäre und dezisionistische, auch wissenschaftsfeindliche, dafür aber sehr politische Gelehrte/Gebildete und auch ein Haufen ihres studentischen Nachwuchses auf die wirre Idee, die Universität müsse sich in den Dienst nehmen lassen, national und völkisch, sich als nützlich und angepasst erweisen.
Ein gefundenes Fressen für die Nationalsozialisten, die unter Studenten und eben besonders ausgeleuchteten Magnifizienzen ihre ersten und frühen Triumphe feierten und dort einige ihrer treuesten AnhängerInnen abfischten.
Die Ordinarien- und Fakultäten- Uni, sie sollte nach dem Kriege wiederkehren, und es war zunächst leicht, sie zu etablieren, weil ja die Reformer und die Demokraten, die Sozialisten und Liberalen alten Schlages, die Erneuerer, wenn sie nicht umgekommen waren, fast alle ins Exil gehen mussten oder irgendwo überwinterten.
Dann kam 68, das einen Vorlauf und eine Nachgeschichte hatte, aber heute nur noch "angepisst" wird, und es änderte sich wirklich was. - Dieser ganze Eifer und Erfolg wird heute negiert und man fällt, das ist besonders in den Geisteswissenschaften, aber auch für Juristen und Mediziner und selbst für die NW fatal, wieder in alte Muster zurück.
Ich sage, das ist schädlich, schädlich, schädlich, für die Ideale der Wissenschaft, auf jeder Ebene und auch für den langfristigen Erfolg der Institution Universität. Mir ist klar, auf mich, die eher funzelige akademische Leuchte, wird kaum jemand hören.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ich folge gerne Ihren Gedanken, doch hier: "Dieser ganze Eifer und Erfolg ..." bin ich mir nicht sicher, was Sie meinen. Welchen und wessen "ganzen Erfolg und Eifer" meinen Sie?
Na, z.B. schlicht, dass nicht 2-3%, sondern 20%, dann 1/3 eine Jahrgangs die Hochschule besuchen können. Dass für eine Zeit diese beschriebene Vorgehensweise, sich mit dem Gegner einer eigenen Ansicht auch von Angesicht zu Angesicht und in der gleichen Uni, auseinanderzusetzen, tatsächlich praktiziert wurde. Usw.
Grüße
Christoph Leusch