Ich konnte was bewegen

Afghanistan Unser Autor ging für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Afghanistan, wohnte bei Einheimischen, trug afghanische Anzüge und war mit amerikanischen Ingenieuren in Kunduz

Manche sehen es kritisch, wenn ein junger Mensch zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) in ferne Länder aufbricht – gerade, wenn es um Krisengebiete geht. Oft wird das als ein heikles und zugleich naives Unterfangen belächelt. Doch meine Erfahrung ist eine andere. Wenn man seine Motivation vorher genau überprüft und sich gründlich vorbereitet, kann man vor Ort tatsächlich etwas verändern und nicht nur ein Weltverbesserungstourist sein.

Ich war 20 Jahre alt und hatte gerade mein Abitur in der Tasche, als ich mich 2006 entschloss, ein FSJ in Afghanistan zu machen. Konfrontiert mit der Ungerechtigkeit in der Welt ist es mir wichtig, praktisch zu helfen. Als Christ glaube ich, dass mich das Leid der Anderen etwas angeht. Ich wollte aber auch eine fremde Kultur kennenlernen. Raus aus dem westlichen Lebensstil – das stand für mich fest.

Ein Bekannter hatte mir von seiner Arbeit in Afghanistan erzählt. Er gehörte zu „Operation Mercy“, einer kleinen Entwicklungshilfe-NGO. Mir gefiel an deren Arbeit, dass alle ausländischen Mitarbeiter für ihre Finanzierung selbst verantwortlich waren und sich ihren Spenderkreis selbst aufbauten. Das hat den Vorteil, dass Spenden direkt in die Arbeit vor Ort fließen, nicht zu großen Teilen in Gehälter und Spesen.

Ein Blog aus Kabul

Anfangs war diese Finanzierung für mich eine große Hürde, aber mit vielen Beiträgen von Freunden, Familie und Kirche kam das Geld zusammen. Durch diese Unterstützung erhielt mein Einsatz zudem eine größere Tragweite. Andere Menschen konnten auf einmal Anteil nehmen an dem, was in Afghanistan passierte. Über einen Blog versuchte ich, sie an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen.

Zunächst besuchte ich in Kabul einen viermonatigen Sprachkurs in Dari (ein in Afghanistan gesprochener persischer Dialekt). Währenddessen lebte ich bei einer Gastfamilie. In Afghanistan ist das etwas Besonderes, weil in einer Scham- und Ehrkultur dafür eine große Vertrauensbasis vorhanden sein muss. So wohnte ich sechs Wochen in einem Gästezimmer und lernte nur die Söhne und den Vater kennen. Später zeigte mir die Familie die anderen Zimmer des Hauses und lud mich gegen eine kleine Miete ein, länger zu bleiben. Eines Abends saß auch die Mutter beim Essen mit uns auf dem Boden. Der Gastvater sagte feierlich: „Du gehörst jetzt zur Familie“. Die Kinder halfen mir, die Sprache zu lernen. Meine Gastfamilie und ihre Nachbarn wiederum lernten durch mich einen Ausländer aus der Nähe kennen, nicht wie so oft nur aus dem Fernsehen oder hinter getönten Scheiben und Stacheldraht. Als Westler kam ich in den Augen vieler Afghanen aus einer verdorbenen Playboykultur. Kleine Begegnungen auf dem Weg zur Arbeit, beim Besuch der Teestuben, aber auch im Landesinneren bei Projekten waren daher wichtige Kontakte, durch die ich als junger Freiwilliger dazu beitragen konnte, Feindbilder abzubauen.

Dabei stellte ich mir immer die Frage: Wie weit kann ich mich auf diese Kultur einlassen? Neben der Sprache lernte ich die Alltagskultur kennen, trug einheimische Hosenanzüge, lernte die Wäsche von Hand zu waschen, das Wasser zum Duschen auf dem Holzofen zu kochen und versuchte die Geschlechtertrennung zu respektieren: Ich sprach fast ausschließlich mit Männern.

Diese Anpassung förderte den Respekt. Nur wer von den Afghanen respektiert wird, kann auch mit den Menschen neue Wege einschlagen. Gerade in Entwicklungsprojekten ist der Aufbau von Vertrauen unglaublich wichtig. Es reicht nicht, für viel Geld ein paar Wassertanks in den Dörfern aufzustellen und dann zu verschwinden. Wenn keine Beziehung der Entwicklungshelfer zur Dorfgesellschaft besteht, fehlt die Identifikation der Einheimischen mit der Aufbauhilfe: Sie wird als billig angesehen, als selbstverständlich. Wartungsarbeiten werden dann nicht selbstständig durchgeführt, die Geräte bekommen Risse und nach wenigen Jahren trinken die Menschen wieder aus Pfützen.

Erst essen, dann verhandeln

Ich erinnere mich an einen Besuch in einem Bergdorf zwischen Kunduz und Faisabad. Zusammen mit zwei amerikanischen Ingenieuren und einem afghanischen Mitarbeiter sollte ich nach einem Wasserprojekt sehen. Die Kinder führten uns zu den Dorfältesten. Ich sagte die landesüblichen Begrüßungsformeln auf und schüttelte jedem die Hand, dann wurde uns Tee serviert, kurz darauf ein großes Essen. Erst danach begannen die Gespräche. Es gab einen Streit um den Wasserzugang. Das knappe Wasser nutzte ein Mann für seinen Garten, er wollte es nicht mit dem Rest des Dorfes teilen. Viele Tassen Tee mussten getrunken werden und ich merkte, wie wichtig es ist, vor Ort zu sein. Solche Gespräche können nicht aus weiter Ferne geführt werden. „Community Development“ nennt man das – eine Entwicklungsmethode, bei der man gemeinsam mit der Dorfgemeinschaft Projekte entwickelt und durchführt, und so auf dem Gemeinschaftsprinzip basierende Strukturen schafft.

Zunächst bedeutet das mehr Aufwand und vor allem viel Zeit, aber schließlich wurde in dem Dorf der Streit gelöst und die Baumaterialien konnten geliefert werden. Unter der Anweisung der Ingenieure errichteten einheimische Handwerker die Wassertanks, 200 Familien werden nun die nächsten Jahrzehnte sauberes Trinkwasser haben. Bei späteren Besuchen sah ich, dass die Dorfbewohner die Wartungsarbeiten selbst durchgeführt haben und sich mit dem Projekt identifizierten.

Mithilfe der gemachten Fotos und der Eindrücke, die ich bei den Projektbesuchen sammelte, schrieb ich in Kabul Berichte und entwarf Info-Broschüren. Auch wenn ich kein gelernter Entwicklungshelfer bin, konnte ich so Spender, Projektpartner und Interessierte über die Arbeit unterrichten und einen Beitrag leisten, damit diese weiter finanziell unterstützt wird.

Lukas Augustin, 23, lebte zwischen 2006 und 2009 in Afghanistan. Er absolvierte dort ein Freiwilliges Soziales Jahr und arbeitete als Fotograf und Journalist. Jetzt studiert er Literaturwissenschaft und Orientalistik in Bochum. Mehr Infos unter:

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