Als einen „Befreiungsschlag“ hat ein Kritiker vor einigen Monaten den Film Toni Erdmann bezeichnet. „Nach all den schwermütigen, gewichtigen, pompösen und nicht selten besserwisserischen Filmen“ komme mit der traurigen Komödie von Maren Ade wieder ein gefeierter deutscher Film auf die Bühne. „Es wird gelacht, herzlich gelacht, und es hört zweieinhalb Stunden nicht auf.“ Der da schwelgte und eine deutsche Kinematografie entwarf, heißt Christoph Terhechte. Er war Journalist und leitet nun das „Forum“ der Berlinale, die nächste Woche beginnt.
Terhechte kuratiert diese Plattform für jungen Film seit nunmehr 16 Jahren. Und es gibt nicht wenige, die ihm vorhalten, dass er das Forum eingeschläfert und entpolitisiert habe. Dass man von diesem Teil der Berlinale und ihrem Intendanten weniger mitbekommt, liegt nicht nur an der fehlenden Hollywoodprominenz im Forum. Nach wie vor geben hier kleines, sperriges Autorenkino und ästhetisch avancierte Dokumentarfilme den Ton an. Zugleich glänzt Terhechte mit seiner zurückhaltenden, leisen Art. Ein krasser Gegensatz zum Direktor des Berlinale-Festivals, Dieter Kosslick, und zu seinem Betriebsnudeltum.
Um die Differenz zu verstehen, muss man weit zurückgehen. Bis zu Terhechtes Vorgänger Ulrich Gregor, der selbstbewusst und kämpferisch auftrat. Im Kern ist das vermutlich ein Generationenunterschied: Gregor war ein Kind der politischen Kämpfe der 1960er. Das Forum wiederum war – in den Anfängen – die Verlängerung des Politischen ins Kino. Seine Gründung geht auf einen Eklat im Jahr 1970 zurück, als die Berlinale wegen Turbulenzen um Michael Verhoevens Vietnam-Parabel o.k. abgebrochen werden musste. In dem Film vergewaltigen US-Soldaten eine Vietnamesin, eine Anzeige aber unterbleibt, weil das Verbrechen „außerhalb der Zivilisation geschehen [ist], nämlich auf dem Schlachtfeld“. In den ersten Jahrgängen dominierte militantes Politkino aus Lateinamerika und von anderswo das Forumsprogramm. Keine kleine Herausforderung für ein Festival, das sich lange als „Schaufenster des freien Westens” verstanden hatte. Mit diesem Auftrag hatte die US-Militärregierung die Berlinale 1951 gegründet.
Heute ist das Forum kein Gegen-Festival mehr. Schon kurz nach seinem Arbeitsantritt beschrieb Terhechte in einem Interview, wie sich die Zusammenarbeit innerhalb der Berlinale verändert hat: „Wir kommunizieren besser. Dieter Kosslick, Wieland Speck und ich waren gemeinsam auf mehreren Auswahlreisen“, sagte er. „Wir wollten eine bessere Festivalstimmung schaffen als bisher.“ Terhechte ist inzwischen Teil der Auswahlkommission für den Wettbewerb. Wie durchlässig die Grenzen zwischen den Sektionen geworden sind, zeigte sich letztes Jahr, als A Lullaby to the Sorrowful Mystery von Lav Diaz um den Goldenen Bären konkurrieren durfte. Ein achtstündiger philippinischer Schwarzweißfilm, der fast komplett im Dschungel spielt – eigentlich die idealtypische Definition eines Forumsfilms.
An solche Entwicklungen schließt der Vorwurf an, das Forum habe unter Terhechte sein Profil verwässert, oder zumindest den politischen Furor der Anfangsjahre verloren. Zumindest Letzteres ist nicht von der Hand zu weisen. Wo es dem Forum früher darum ging, einen anderen Begriff von Kino stark zu machen, bildet es heute lediglich einen bestimmten Teil eines Spektrums ab. Wenn man böse sein wollte, könnte man sagen: Heute ist ein Forumsfilm eher eine kulinarische als eine politische Alternative zu einem Wettbewerbsfilm. Eine solche Polemik übersieht, dass sich nicht nur die Berlinale, sondern auch die Welt verändert hat. Die Antagonismen von heute werden nicht auf Filmfestivals ausgetragen. Pegida geht nicht ins Kino.
In der kleineren Welt der Berlinale dagegen ist linke Rhetorik längst Mainstream. Zumindest wenn man von öffentlichen Äußerungen ausgeht, scheint es so, als habe sich das Verhältnis zwischen dem Forum und dem Rest der Berlinale inzwischen fast umgedreht: Wenn Kosslick über das Festival redet, könnte man meinen, er bewerbe sich als Pressesprecher bei Amnesty International – Filme sind für ihn kaum mehr als Bebilderungen durchweg brandheißer sozialer Probleme. Dieses Jahr wird er sich, darauf kann man jetzt schon wetten, lauthals in die Anti-Trump-Opposition einreihen. Terhechte dagegen legt stets Wert darauf, dass man im Kino immer auf die filmische Form zu achten habe – selbst wenn es um Politik geht. Das ist vielleicht tatsächlich die einzige Möglichkeit, innerhalb eines Events wie der Berlinale eine Differenz zu markieren: darauf zu bestehen, dass jeder Film erst einmal ein Ereignis für sich ist, bevor er für irgendetwas anderes steht.
Was nicht heißen soll, dass im Forum alles rundläuft. Insbesondere die Schwerpunktsetzungen wirken oft willkürlich und halbherzig. In dem ersten Forumsjahrgang unter seiner Regie hatte Terhechte 2002 gleich 13 chinesische Filme präsentiert. Ein derartiges kuratorisches Statement hat er sich seither nicht mehr getraut. Überhaupt haben die Programmmacher im Bereich des asiatischen Kinos, das in den 1990ern zu den Hauptinteressen des Forums gehörte, zuletzt fast alle Entwicklungen verschlafen. Und auch nach zehn Ausgaben erschließt sich nicht so recht, warum 2006 mit dem „Forum Expanded“ eine Nebensektion für experimentelles Filmschaffen und Schnittbereiche zum Kunstbetrieb ausgegliedert wurde. Fast alles, was dort zu sehen ist, wäre auch im regulären Programm problemlos integrierbar.
Dennoch ist das Forum nach wie vor der einzige Bereich der Berlinale, der neugierig ist auf die Möglichkeiten des Kinos, etwas Neues an der Welt zu entdecken – und der nicht nur immer wieder das bestätigen möchte, was man eh schon gewusst zu haben glaubt.
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