Wir können die Welt verändern. Zielbewusstsein kann die Menschheit aus der Krise führen

Weltveränderung Wir betreiben als Menschheit unseren eigenen Untergang, wenn wir uns weiter gegenseitig bekämpfen und die Natur zerstören. Aber wenn wir unsere wahren menschlichen Antriebe und Ziele begreifen, kann eine erfreuliche Zukunft gelingen

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Die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen, durch die heute unsere Existenz als Menschheit zunehmend bedroht ist, halte ich für eine normale Bewährungsprobe, die wir als eine neue biologische Art in der Evolution zu bestehen haben. Das Neue wären bei uns diejenigen Fähigkeiten, die zur Ansammlung von immer mehr Wissen von Generation zu Generation führen. Diese Anhäufung von Wissen beschleunigt sich selbst und erhöht die Wirksamkeit unserer Technik von Jahr zu Jahr immer schneller. Dadurch werden einerseits unsere freundlichen und konstruktiven Verhaltenstendenzen immer wirksamer und verbessern das menschliche Leben teilweise mit erstaunlicher Geschwindigkeit, aber andererseits verstärken sich auch die aggressiven Wechselwirkungen zwischen Menschen und unsere destruktiven Verhaltenstendenzen richten insgesamt immer größere Schäden an und schaffen immer größeres Leid. Dieser zunehmend gefährliche Zwiespalt ergab sich aus ursprünglich harmlosen Anfängen im Sozialverhalten derjenigen „normalen“ Säugetiere, die unsere evolutionsgeschichtlichen Vorläufer gewesen sind.

Ursprünglich gibt es bei Säugetieren eine funktionelle Einheit von anziehenden und abstoßenden Verhaltensweisen, die Irenäus Eibl-Eibesfeldt in seinem Buch „Liebe und Hass“ beschrieb. So gehört bei gewöhnlichen Säugetieren zur Regulierung ihres Sozialverhaltens einerseits liebevolle Zuwendung und gegenseitige Hilfe und andererseits eine aggressive Bedrohung. Die innerartlichen Aggressionen sind da begrenzt und stellen keine Gefahr für den Fortbestand der jeweiligen Art dar, weil eine größere Schädigung von biologischen Artgenossen sich in der Evolution bei diesen Tieren nicht bewährt. Aber bei den Schimpansen, die unsere nächsten Verwandten im Tierreich sind, gibt es heftigere Aggressionen und sogar Kriege zwischen verfeindeten Gruppen. Das lässt sich damit erklären, dass hinter dieser Zunahme der Aggressivität keine einfache Neigung steckt, etwa mit schärferen Zähnen kräftiger zuzubeißen, sondern eine Weiterentwicklung der intellektuellen Fähigkeiten. Denn wenn bei Angriffen bloß mehr Körperkraft eingesetzt wird, gibt es für die größere Beeinträchtigung der Fitness keinen Ausgleich und die Population schwächt sich damit nur. Dagegen nutzen Schimpansen intelligentere Möglichkeiten von gegenseitiger Hilfe in den eigenen Gruppen und gleichen damit die Schäden wieder aus, die sie bei den Feinden unter ihren eigenen Artgenossen anrichten. Hier beginnt die funktionelle Einheit von „Liebe und Hass“ bereits in der Evolution des Leben auseinander zu gehen. Bei uns Menschen könnte dieses Auseinanderdriften zudem in der Kulturgeschichte theoretisch unbegrenzt weitergehen, weil sich immer mehr Wissen anhäuft und weil daher die Schäden durch immer schlimmere Feindseligkeiten immer durch noch bessere Möglichkeiten der gegenseitigen Hilfe ausgeglichen werden könnten. Aber praktisch werden beispielsweise die immer wirksameren Waffen immer schlimmer auch auf die Angreifer selber zurückschlagen. Das hat besonders deutlich schon der erste Einsatz von Atomwaffen ahnen lassen. Zudem lässt sich die fortschreitende Umweltzerstörung im kapitalistischen Wettkampf um möglichst viel Geld, der eine Rücksichtnahme auf unsere irdischen Lebensgrundlagen systematisch einschränkt, nicht durch echte Fortschritte wie die beschleunigte Entwicklung von umweltverträglichen Technologien rückgängig machen.

So ist absehbar, dass die beschleunigte Vertiefung des Zwiespalts zwischen „gut und böse“ bzw. „Liebe und Hass“ im gesamten menschlichen Verhalten demnächst durch einen Symmetriebruch an einem Verzweigungspunkt endet. Dort entscheidet sich zwangsläufig, in welche dieser beiden entgegengesetzten Richtungen die zwiespältigen Schwankungen zwischen zunehmend freundlich-konstruktivem und zunehmend feindselig-destruktivem Verhalten schlagartig ganz zum Durchbruch kommen. Demnach gäbe es zwei extrem verschiedene Möglichkeiten einer Zukunft der Menschheit und des Lebens auf der Erde. Entweder setzen sich bei allen Menschen plötzlich die freundliche Zusammenarbeit und ein gegenseitiger Respekt und Liebe und gegenseitiges Verständnis vollständig durch, während alle Feindseligkeiten entfallen, oder das irdische Leben ändert sich durch die destruktiven menschlichen Einflüsse plötzlich radikal, indem die Biosphäre in einen veränderten Zustand kippt, der kein menschliches Leben mehr zulässt und der überhaupt mit massenhaftem Artensterben zusammenhängt. Aus naturwissenschaftlichen Selbstorganisationstheorien, wie ich sie vor allem von Hermann Haken, Ilya Prigogine und Werner Ebeling kenne, geht hervor, dass die unausweichliche Entscheidung an symmetrischen Verzweigungs- bzw. Bifurkationspunkten immer von Zufällen und äußerst geringen Kräften abhängt.

Eine gute Nachricht dabei wäre, dass es trotzdem kaum einzelnen Menschen gelingen kann, unseren immer wahrscheinlicher werdenden Untergang mit Absicht, gewissermaßen „vorzeitig“ auszulösen. Selbst Irrsinnige in höchsten Machtpositionen, die einen Atomkrieg anfangen könnten, würden damit zugleich erfolgreiche Gegenkräfte mobilisieren und es gäbe Überlebende. Die Menschheit bliebe erhalten und triebe weiter auf den großen Symmetriebruch zu, dessen Zeitpunkt sich lediglich ändern würde. Denn alle Menschen hängen im Grunde am Leben, so dass am Bifurkationspunkt die Entscheidung zum Untergang letztlich nur durch Unfälle oder andere ungewollte zufällige Ereignisse zustande kommen kann.

Dagegen ließe sich die Erkenntnis, die die Menschheitsentwicklung in die konstruktive Richtung kippen kann und uns dann noch retten könnte, nur bewusst, wohlüberlegt und gezielt von eher durchschnittlichen Menschen in die Welt setzen, - also von Angehörigen einer „Mittelschicht“, die über durchschnittlich große Macht verfügen und ihre Zugänge zu Massenmedien wie zum Internet sinnvoll nutzen und vielleicht die Wochenzeitung „der Freitag“ lesen, ...

... denn damit überhaupt ein Mensch diese denkbare rettende Erkenntnis gewinnen kann, müsste er sich selbst vor allem als Lebewesen und Säugetier unserer Art verstehen und dürfte sich weniger über Zugehörigkeiten zu einer Nation, Berufsgruppe oder sozialen Schicht definieren. Eine Einzelperson, die sich als gleichberechtigt mit allen anderen Menschen empfindet, könnte am leichtesten als erste entdecken, dass wir in Zukunft tatsächlich alle friedlich miteinander zurechtkommen können. Diese denkbare Möglichkeit, in Zukunft alle Feindseligkeiten zu unterlassen und sämtliche menschlichen Aktivitäten friedlich zu koordinieren, ergibt sich aus den biologischen Grundlagen unserer Antriebe und möglichen erstrebenswerten Ziele. Entscheidend wäre erstens, dass unsere frühen vormenschlichen Vorfahren sich ursprünglich noch nicht zu den lebensnotwendigen Aktivitäten zwingen konnten, die wir heute als Arbeit bezeichnen und in Arbeitsteilung gemeinschaftlich organisieren. Die „normalen“ Säugetiere und die Vögel sind in dieser Hinsicht relativ eng miteinander verwandt. Sie erledigen alle lebensnotwendigen Tätigkeiten wie Nestbau, Brutpflege, Nahrungsbeschaffung oder die Erkundung neuer Umgebungen und alle anderen Lernprozesse, weil sie dazu die entsprechenden Antriebe haben. Diese werden auch als die „höheren Bedürfnisse“ bezeichnet. Sie ergänzen die organischen Grundbedürfnisse, die zur Nahrungsaufnahme antreiben und für optimalen Wassergehalt des Körpers, für optimale Körpertemperaturen und für die Optimierung weiterer körperlicher Zustände sorgen. Die höheren Bedürfnisse sind die Antriebe zu einer Vorsorge dafür, dass die organischen Grundbedürfnisse gut befriedigt werden können. Dass die höheren Bedürfnisse speziell bei uns Menschen auch als die „produktiven Bedürfnisse“ bezeichnet werden, erfuhr ich von Ute Holzkamp-Osterkamp aus ihrem zweibändigen Werk „Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung“. Vor allem im ersten Band hat sie aus meiner Sicht schon in den 1970er Jahren die verhaltensbiologischen Grundlagen der Arbeitswelt der Zukunft beschrieben. Wir können in Zukunft friedlich zusammenarbeiten, indem wir unseren natürlichen Antrieben bewusst und miteinander koordiniert folgen. Unter solchen Bedingungen hat jeder Mensch genug Lust zu allen nötigen Leistungen für ein reiches und glückliches Leben, so dass kein Interesse mehr besteht, anderen die Arbeitsergebnisse streitig zu machen.

Dabei ist zweitens entscheidend, dass wir als Menschen eine unerschöpfliche Vielfalt von Verhaltensmöglichkeiten haben und daher auch über eine unerschöpfliche Vielfalt von Möglichkeiten verfügen, alle unsere Bedürfnisse in verschiedenster Weise immer wieder konkret zu befriedigen. Aus diesem Grund muss niemand darauf beharren, auf eine ganz bestimmte Weise Befriedigung zu finden, wenn das Glück anderer Menschen damit beeinträchtigt werden würde. Die Natur unserer Antriebe ermöglicht uns normalerweise, wenn keine Unfälle oder andere Katastrophen einen Ausnahmezustand schaffen, immer wieder alle unsere Interessen friedlich aufeinander abzustimmen. Es gibt weitere Eigenschaften unserer Bedürfnisse, die zusätzlich die Möglichkeit eines friedlichen, also befriedigenden Zusammenlebens aller Menschen noch verbessern. Dazu gehört die Möglichkeit, auch etwas willkürlich zu entscheiden, ob uns eine Situation gefällt und ob wir damit zufrieden sein können.

So wäre eine rettende Erkenntnis möglich, die sich aus der Natur unserer Antriebe und möglichen Ziele ergibt und die jeden von uns Menschen befähigt und motiviert, mit jeder anderen Einzelperson auf der Erde friedlich zurechtzukommen. Wenn sich diese Erkenntnis rechtzeitig in unserer Welt herumspräche, könnten wir die Zerstörung unserer irdischen Lebensgrundlagen aufhalten und unsere natürlichen Lebensbedingungen in Zukunft gemeinsam erfolgreich bewirtschaften. Unser gemeinsames Ziel wäre dann immer wieder ein möglichst befriedigendes Leben für jeden von uns. Dann hätten wir den erforderlichen Entwicklungssprung in der Selbsterkenntnis geschafft, dessen Notwendigkeit sich aus dem heutigen Entwicklungsstand unserer Wissenschaft und Technik ergibt und würden uns damit weiterhin als eine lebenstüchtige biologische Art erweisen.

Um das alles plausibel genug schriftlich für eine Leserschaft darzulegen, die sich in keinem direkten Gedankenaustausch mit mir befindet, wäre theoretisch ein dickes Buch mit mehr als 1000 Seiten nötig. Praktisch lässt sich das nicht verwirklichen. Aber es ist denkbar, dass es irgendwo auf der Erde, wo jemand auf „die rettende Erkenntnis“ gekommen ist und den Ausweg aus den Krisen unserer Zeit beschreiben könnte, obendrein in Mode kommt, sich in gewaltfreier Kommunikation friedlich miteinander zu verständigen. Dann könnte die rettende Erkenntnis in die öffentlichen Diskussionen einfließen und sich weltweit herumsprechen. Das ergäbe einen regelrechten „Ausbruch des Weltfriedens“, weil jeder Mensch sich im tiefsten biologischen Grunde seines Denkens und Fühlens sehnlichst ein möglichst befriedigendes, glückliches Leben wünscht und sich diesen Traum am besten erfüllen kann, wenn wir alle zielbewusst friedlich zusammenarbeiten.

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