Lebendige Menschen

Neues aus der Puppenkiste Rodney Brooks »Menschmaschinen. Wie uns die Zukunftstechnologien neu erschaffen«

In Zukunft werden wir immer bequemer leben, immer komfortabler, und immer mehr Zeit erübrigen können für die Dinge, die uns wirklich Spaß machen. Zumindest in der westlichen Technozivilisation. Herden emsiger und überaus dienstwilliger Raumpflegeautomaten werden nächtens, oder wenn wir im Urlaub sind, auf unseren Teppichböden herumsaugen, andere werden Treppen klettern und oben, im Dachgeschoss, bei der bettlägrigen Oma nach dem Rechten sehen. Wir können die mechanischen Dienstboten über unseren Laptop in Gang setzen, und zwar auch dann, wenn die Oma in Berlin liegt und wir zum Wellness-Urlaub in Honolulu weilen. Wir können die kleinen technischen Gefährten auch überprüfen lassen, ob wir vor dem Abflug die Herdplatte ausgeschaltet haben und gegebenenfalls, ob unser Lebenspartner, der wegen Flugangst zu Hause geblieben ist, dort heimlich etwas anderes macht, als brav für die Oma zu sorgen. Falls ja, können wir ihn allerdings nicht daran hindern; so weit ist die Robotertechnologie noch nicht.

Rodney Brooks, der Direktor des Labors für Künstliche Intelligenz am angesehenen Massachussetts Institute for Technology (MIT) und Inhaber einer lukrativen Firma, die Roboter für den Hausgebrauch baut, bettet unsere Zukunft in Rosen. Die Dornen verschweigt er oder redet sie stumpf. Seine Vorstellungen davon, was von alldem, wozu uns die Maschinen verhelfen könnten, erstrebenswert sei, erinnern an die Phantasien einer harmonischen Synthese von Technik und Lebenswelt, die unter den utopischen Sozialisten vor gut 150 Jahren kursierten. Indessen liest sich deren treuherziger Humanismus, der allen technischen Fortschritt an einer Befriedung der Klassengegensätze maß, neben Brooks´ hemdsärmeliger Verbindung von Pragmatismus und marktökonomischem Liberalismus wie das Poesiealbum der tugendsamen Cousine vom Lande.

Künftig, so Brooks, müssten wir für Billigjobs, die einheimische Arbeitnehmer nicht übernehmen wollen, keine Immigranten mehr ins Land holen. Roboter würden diese Arbeiten erledigen können, und diese wiederum ließen sich von Computerterminals aus steuern, die wir in den Entwicklungsländern aufbauen. Die Immigranten könnten zu Hause bleiben und ihre Arbeit für uns von dort aus erledigen. So steige der Wohlstand auch in der Dritten Welt.

Solche Überlegungen sind symptomatisch dafür, dass im Umkreis der KI-Forschung und ihrer populärwissenschaftlichen Verbreitung der ökologisch und geschichtsphilosophisch geprägte Fortschrittspessimismus der siebziger und achtziger Jahre mittlerweile wieder einer optimistischen Haltung weicht, die sich indessen nicht mehr auf die Möglichkeiten der Industrie stützt, sondern auf diejenigen der - aseptisch reinen - Mikrochips.

Aber gesellschaftliche Visionen bleiben Annotationen in Brooks´ Buch. Vor allem anderen ist der Autor ein Ingenieur, ein Tüftler, der aus seiner Werkstatt berichtet. Was er dort so alles zusammengeschraubt hat, führt ihn indessen zu weitreichenden philosophischen Schlussfolgerungen, denen man nicht umstandslos zuzustimmen braucht. In Zukunft müssten wir uns überlegen, so Brooks, ob die strikte Unterscheidung von Mensch und Maschine noch gültig sei. Denn die Roboter seien mehr als »intelligente« Staubsauger. Ihre Rechenleistung übertreffe die des menschlichen Gehirns bei weitem und bald um ein Vielfaches. Roboter können mittlerweile menschliche Verhaltensweisen ausüben, ja, sogar menschliches Ausdrucksverhalten zeigen.

Am MIT etwa steht vor dem Eingang zu Brooks´ Labor ein Automat, der auf jeden Ankömmling zugeht, ihn begrüßt und ihm eine Führung durch die Raumflucht anbietet. Ein anderer kann, von einer Unzahl kleiner Motoren angetrieben, lächeln, seine Kameraaugen, die sich gleich menschlichen in Saccaden bewegen, auf Objekte richten, die sprechen, im richtigen Augenblick mit dem Kopf nicken oder ihn schütteln. Es fällt schwer, sagt Brooks, diesen Dingern Intentionalität abzusprechen. Wer mit ihnen konfrontiert wird, reagiert unwillkürlich auf sie, als seien sie lebendige Menschen.

L´homme machine titelte bereits Lamettrie im 18. Jahrhundert, und Brooks´ Übersetzer wird bei der (übrigens hervorragenden) Übertragung seines Buches ins Deutsche - der Titel des Originals lautet Flesh and Machines - den Anklang an den Klassiker des französischen Materialismus bewusst gesucht haben. Lamettrie begreift den Menschen als eine besonders komplizierte Maschine und das Denken als eine Folge ihrer Organisation - heute würde man sagen: ihrer Programmierung.

Wie der Mechaniker Vaucanson zur Konstruktion seines Flötenspielers mehr Räder brauchte als zu seiner Ente, so sei, spekuliert Lamettrie, eben auch das Triebwerk des Menschen komplizierter als das der Tiere. Für einen Redenden - diese Möglichkeit erwog Lamettrie bereits - bedürfe es nur ein paar Rädchen mehr, aber unmöglich sei der nicht. Brooks wendet diese Argumentation um und sagt, Roboter seien wie Menschen, nur - bisher noch - simpler als diese. Beide Thesen ergänzen sich. Deren zentrale Prämisse ist bei Lamettrie und Brooks die gleiche, dass nämlich menschliches Verhalten aus der Außenperspektive hinreichend erklär- und verstehbar sei.

Hat mein Freund, mit dem ich im Café Brooks´ Buch diskutiere, ein Innenleben? Ich denke, ja, aber das schließe ich aus seinem regelgeleiteten Verhalten. Nun können auch Roboter so programmiert werden, dass sie diesen Regeln entsprechend performieren, wir können ihnen sogar Programme schreiben, die in der Lage sind, sich dem Dateninput durch Sensoren entsprechend zu modifizieren und fortzuschreiben. Roboter können lernen, sagt Brooks in diesem Fall.

Na gut, vielleicht ist der Bursche mir gegenüber, den ich bisher für meinen Freund hielt, eine besonders gut gelungene Maschine. Aber was ändert das? Muss er deshalb aufhören, mein Freund zu sein? Auch Brooks redet so und plädiert dafür, dass wir in Zukunft ebenso liebend, fürsorglich und respektvoll, wie wir idealerweise unsereinem begegnen, mit unseren komplexen Maschinen verkehren (lernen) sollten. Allerdings ist es völlig unplausibel, warum wir diese Dinger, wenn sie sich irgendwann einmal in ferner Zukunft ganz genauso verhalten wie wir, überhaupt noch als Maschinen bezeichnen sollen und nicht vielmehr als Menschen. Lediglich theologische Argumente könnten uns dann nämlich noch davon abhalten.

Am Ende sind Brooks´ Visionen samt ihrer ethischen Begleitforderungen also weit weniger skandalös als sie zunächst daherkommen. Das galt schon für Ridley Scotts Bladerunner, den Brooks zu seinen Lieblingsfilmen zählt - man ahnt, warum. Der menschliche Held, gespielt von Harrison Ford, verliebt sich da in einen Roboter, intelligent, romantisch, schön, mit entschieden weiblicher Anmutung. Schließlich brechen beide, Mensch und Maschine: ein Paar, aus der Vorhölle der Zweihundertmillionenstadt Los Angeles aus und ziehen auf die grüne Wiese. Was ist so gewagt an diesem Paar, was macht die Heroine weniger menschlich als den Heros? Mit einem gewissen Hintersinn dürfen wir sagen, es war notwendig, dass auch ihre Rolle von einem Menschen gespielt wurde. Oder vielleicht doch nicht? Wer oder was steckt eigentlich hinter dem Namen Harrison Ford?

Rodney Brooks: Menschmaschinen. Wie uns die Zukunftstechnologien neu erschaffen. Aus dem Englischen von Andreas Bimon. Campus, Frankfurt am Main 2002, 280 S., 24,90 E

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