Es begann mit einem Dämpfer, noch bevor es richtig los ging. Bevor das erste Model einen stöckelbeschuhten Fuß vor die Presse-, Einkäufer- und Bloggermeute setzen konnte, war im Spiegel ein Artikel erschienen, der sich so las, als ob er der erst vier Jahre jungen Berliner Fashion Week schon mal vorab jede Euphorie nehmen wollte. „Weniger Paris als Prenzlberg“ sei die Modewoche, die Rahmenveranstaltungen „so avantgardistisch wie ein Tupperabend in Frankfurt an der Oder“ – das hatte gesessen.
Das Nachrichtenmagazin lieferte damit den Stoff, der fortan die Gemüter der Modewochenbesucher erhitzen sollte. „Scheiße“ soll dazu Christiane Arp, Chefredakteurin der deutschen Vogue, während ihres Empfangs im Restaurant Borchardt entfahren sein. Wie schlimm steht es um die Berliner Fashion Week aber nun tatsächlich?
Die Einschätzung einiger Gäste vom Fach gab eine erste Entwarnung: Diesel-Chef Renzo Rosso begeisterten die Modemessen Premium und Bread Butter, Michael-Michalsky-Investor Volker Tietgens sprach von einer „eindeutigen Erfolgsstory“ und Daniel Günthert, Chef der Münchner Modemarke Rena Lange, betonte: „Die Schauen haben uns unglaublich geholfen, die Marke nach vorn zu bringen.“ Wohl alles doch nicht so schlimm?
Einfach mehr "Berlin" sein
Natürlich ist die Fashion Week in Berlin noch jung, natürlich braucht sie Zeit, um sich im globalen Netzwerk der Mode zu etablieren – und vielleicht müsste die Stadt tatsächlich vielmehr ihre Trümpfe ausspielen, wie es dieser Tage vielerorts gefordert wurde, einfach mehr „Berlin“ sein. Wenn manche dies auch als Drohung auffassen dürften.
Eine geldvernichtende Maschine zu sein, kann man der Berliner Fashion Week jedenfalls kaum unterstellen. Ganz im Gegenteil: Auch in dieser Saison erzielten die großen Modemessen Bread Butter und Premium nach eigenen Angaben „zufriedenstellende Umsätze“. Und jede Saison gewinnt der Laufsteg am Bebelplatz mehr an Relevanz, ist der Plan der Schauen dichter gefüllt, sitzen immer wichtigere Moderedakteurinnen in den ersten Reihen neben immer bekannteren Schauspielerinnen.
Das aktuelle Problem ist weniger, dass niemand kommt, sondern wer kommt, letztlich eine Frage der Selbstpositionierung. Wenn Bürgermeister Klaus Wowereit sagt, dass es sich bei der Berliner Fashion Week vorrangig um „ein Street- und Sportswear Event“ handele und der unerbittliche Berlin-Fan Michael Michalsky immer wieder betont, dass die Hauptstadt die kreative Spielwiese im Herzen Europas sei, dann erübrigt sich die Frage, warum sich die Stadt als Standort für klassische High Fashion nicht so recht etablieren mag. Avantgarde geht anders.
Stimmen, die dies offen aussprechen, sind rar, denn entweder ist alles toll oder eben alles „scheiße“, um es mit dem Wort Christiane Arps zu sagen. Eine konstruktive Modekritik fehlt in Deutschland beinahe gänzlich. Die Berichterstattung ist selten mehr als hohles Gelobe oder verzweifeltes Gejammer, dazu noch ein paar Kauftipps, auf ein ästhetisches Urteil samt Begründung wartet man meist vergebens.
Für den bedauernswerten Zustand der deutschen Modekritik können die Fashion Blogger als systemimmanente Fangemeinde aber nicht verantwortlich gemacht werden – auch wenn Peter Praschl in der Welt zu Beginn der Fashion Week einen solchen Versuch unternahm. Fast nirgendwo besser als bei den Modebloggern kommt der Mythos der Gegenkultur zum Tragen, lässt sich damit verbundenes symbolisches Kapital direkt in Party-Einladungen ummünzen. Eine Kritik von einer Gruppe zu erwarten, deren Hauptziel es zu sein scheint, bei schicken Events mit den Designern ein Gläschen zu heben und etablierte Moderedakteurinnen von den Plätzen der ersten Reihen zu schubsen, ist mehr als naiv.
Kaum kratzen dürfte dies Jessica Weiß, die vielen als bekannteste deutsche Modebloggerin gilt. Von drei Fernsehteams begleitet, durchlebte die Redakteurin des Burda-Onlineformats Lesmads.de die Berliner Modewoche an vorderster Front. Der Höhepunkt: Die Präsentation ihres ersten Buchs. Gemeinsam mit Ex-Bloggerkollegin Julia Knolle publizierte sie im Berlin Verlag einen kleinen Band, in dem beide ihre persönlichen Modegeschichten erzählen. Der zur Präsentation dazugehörende Rummel zeigte deutlich, dass manche Fashion Blogger den Sprung vom vermeintlich kritischen Beobachter des Betriebs zu einem Teil des Ganzen längst vollzogen haben.
Intelligente Mode
Jenseits aller Diskussionen gab es aber auch gute und intelligente Mode zu sehen, besonders im Bereich Jungdesign. Livia Ximénez Carrillo und Christine Pluess von Mongrels in Common begeisterten durch Denver-Clan-Adaptionen. Michael Sontag und Perret Schaad blieben ihren gefeierten konstruierten Schnitten treu. Erstmals am Bebelplatz zeigte Vladimir Karaleev seine Mode. Die Finanzspritze, die ihm ein Förderpreis letzten Sommer bescherte, investierte der Designer in eine eigene Schuhkollektion. „Die bequemsten Schuhe der ganzen Fashionweek“ schwärmten später die Models. So bequem vielleicht, wie die Berliner und ihre Modewoche.
Es kann auch ein Vorteil sein, wenn der Erwartungsdruck und die überspannten Hoffnungen am Bebelplatz etwas nachlassen, jene Hoffnungen etwa, international erfolgreiches und ursprünglich deutsches Design à la Jil Sander zurück nach Deutschland zu holen. Hinter diesem Runterschalten verbirgt sich die Chance, eine eigene Nische in der internationalen Modewelt zu finden – und damit eine langfristige Existenzberechtigung. Wenn dann die internationale Presse immer noch nicht anreisen will, ist sie einfach selbst schuld.
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