Geburtstagskind

Kehrseite II Ich heiße Dnik Sgatstrubeg, aber niemand will mich so nennen. Und das, obwohl ich heute Geburtstag habe und man mir jeden Wunsch erfüllen muss. ...

Ich heiße Dnik Sgatstrubeg, aber niemand will mich so nennen. Und das, obwohl ich heute Geburtstag habe und man mir jeden Wunsch erfüllen muss.

"Ich heiße Dnik Sgatstrubeg", sage ich gleich an der Tür zu den Kindern, die mich besuchen kommen. "Wie?" "Dnik Sgatstrubeg." Das ist rückwärts Geburtstagskind, aber das verrate ich keinem. "Dir ham´se wohl ins Gehirn geschissen", sagt Knut, während ich ihm den Weg in die Wohnung verstelle, denn noch hat er mich nicht bei meinem neuen Namen genannt. Er tut´s auch nicht, sondern drückt mir einen zerramschten warmen Blumenstrauß in die Hand. Mir kommen die Tränen, denn Knut hat Rosen mitgebracht, und es sind noch Dornen dran. In mir drin kocht die Wut. "Ich habe Geburtstag und kann mir alles wünschen!" "Aber nich´ so´n Scheiß." Knut drängt sich an mir vorbei zu den anderen Kindern. Ich stehe alleine da, Dnik Sgatstrubeg, und könnte heulen. Verdammt! Ich stelle die Rosen in ein Wasserglas und lecke mir das Blut vom Finger. Knut hat Recht, Dnik Sgatsrubeg ist Blödsinn. Ich gebe auf. Ich muss der Wahrheit ins Auge blicken, ich werde zu keinem neuen Namen kommen. Nicht heute, an meinem neunten Geburtstag, und überhaupt nie, niemals, mein Leben lang. Ich heiße Maik Kubusch. Das ist vielleicht ein Scheißname!

Der Hochzeitstag ist der schönste Tag im Leben, heißt es, und der Geburtstag ist der schönste Tag im Jahr. Das mit der Hochzeit kann ich nicht einschätzen. Konnte ich damals nicht, weil ich noch zu jung war, und kann ich auch heute nicht, denn ich bin nicht verheiratet. Nie geheiratet, nie geschieden, das klingt nach Ordnung im Leben, aber es ist das Gegenteil.

Das mit den Geburtstagen stimmt. Sie sind wirklich etwas Besonderes, jedenfalls für mich. Mir kommt es so vor, als zögen sich diese Tage wie auf eine Perlenschnur gereiht bunt und glitzernd durchs Leben. Die Jahre gleiten einem durch die Finger und flutsch - Überraschung! - plötzlich kommt so eine Perle vorbei, und wieder ist man ein Jahr älter.

Es war so, damals als ich Kind war, dass die Sonne den ganzen Sommer schien. Manchmal gab es ein kurzes Gewitter oder einen Sonnenregen, bei dem man hinauslief und sich nassregnen ließ, denn von so einem Sonnenregen wächst man schneller, und dann strahlte ein Regenbogen. Wenn ich Geburtstag hatte, damals im Sommer, schien die Sonne sowieso. Kann es nicht so bleiben? Einfach so sein? Immer?

Ich wünschte mir, meine Beerdigung würde genauso gefeiert. Mit Geschrei und bunten Luftballons. Und im Sonnenschein. Bitte kein Regen. Beerdigungen im Regen sind deprimierend und so was von Klischee!

Also Sonne. Es scheint die Sonne an jenem Tag, und schon früh sind meine Freunde aufgeregt, denn heute Nachmittag wird es Kirschtorte und Kakao geben. Sie kommen gerannt, Knut und die anderen. Der Tisch steht unter einer Weide, weiß gedeckt. Nahebei ist das Grab. Ich weiß nicht, wer heute serviert, wer die Kakaomäuler abwischt, denn meine Mutter ist längst tot, aber auch meine Gäste sind ja nun alt, also sollen sie es gefälligst selbst tun.

Nach der Torte gibt´s Würstchen. Man muss würfeln, und wer eine Sechs hat, zieht sich in aller Eile Fausthandschuhe an, setzt sich eine Pudelmütze auf, bindet sich einen Schal um - in der Hitze! - und schneidet mit Messer und Gabel ein Würstchen klein. Die anderen würfeln indessen weiter, wild drauf, dem Esser die Mütze vom Kopf, den Schal vom Hals und seine Handschuhe, Messer und Gabel aus den Händen zu reißen. Nie war ein Würstchen so umkämpft. Man muss jedes Stückchen sauber mit Messer und Gabel absäbeln und es in Senf tunken. Der Nachschub dampft bereits in einer Schüssel auf der Mitte des Tischs.

Es stehen Gladiolen an meinem Grab. Immer bekomme ich Gladiolen zu meinem Geburtstag, und jetzt zu meiner Beerdigung auch. Dabei mag ich sie gar nicht. Sie sind mir zu pompös. Ich mag Freesien, aber die gibt es zu dieser Jahreszeit nicht.

Jetzt wird der Sketch mit der heißen Suppe gespielt. Ich habe vergessen, wie der Dialog geht. Ist es eine alte Karl-Valentin-Nummer? Ein Kellner, er hat sich ein Küchenhandtuch um den Bauch gebunden, bringt einem Gast, der ein Lätzchen trägt, eine Suppe. Der Gast beschwert sich. Ihm ist die Suppe zu heiß. Es geht eine Zeit lang zwischen dem Kellner und dem Gast hin und her. Am Ende nimmt der Kellner, dem die Sache zu bunt wird, die Schale und pustet hinein. Da aber in der Schüssel keine Suppe sondern Mehl ist, staubt es dem Gast mächtig ins Gesicht, und er ist über und über mit Mehl bedeckt, und der Kellner lacht ihn schamlos aus. Von Jahr zu Jahr vergesse ich diese Pointe und freue mich jedes Mal.

Wusstet ihr, dass aus einer Flasche, wenn sie leer ist, immer noch 13 Tropfen herauskommen? Auch das prüfen wir jedes Jahr, wenn der Kirschsaft alle ist, und manchmal muss man lange auf den letzten Tropfen warten und die Flasche schütteln; manchmal dauert es nicht so lang.

Nun wird es Zeit, mich ins Grab zu lassen. Die Sonne sticht und die Festgesellschaft kommt gelaufen. Sie haben sich bunte und weiße Striche und rote Nasen ins Gesicht gemalt. Wegen der Hitze verschmiert das Zeug und es sieht ein bisschen so aus, als ob sie weinen. Dies ist der einzige Moment, der mich traurig stimmt, denn hier wäre ich doch gern dabei. Zwar bin ich die Hauptperson dieses Nachmittags, wegen mir sind sie alle gekommen, aber ich stehe irgendwie nicht recht im Mittelpunkt, ich kann es nicht genießen, kann nicht bei ihnen sein, kann nicht die Würstchenreste aufessen, schummeln ohne bestraft zu werden, mich mit ihnen streiten, anschreien, versöhnen. Ich bin nicht da. Ich würde nun doch lieber Geburtstag feiern statt meiner Beerdigung, aber es ist zu spät.

Auf meinem Grabstein steht: Dnig Sgatstrubeg. Das freut mich. Das haben meine Freunde also kapiert in den Jahren.

Maik Kubusch, geboren 1970 in Magdeburg, lebt heute in Bayern. Als Abiturient arbeitete er einige Monate als Zuträger für die Stasi. Er schreibt an einem Buch über diese Zeit. Maik Kubusch ist ein Pseudonym.


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