Zwischen Mutprobe und Fatalismus

Im Kino "Bowling for Columbine" von Michael Moore ist eine vorgeblich heitere Dokumentation über ein ziemlich düsteres Thema

Offenere Türen hätte ein Film über die Waffengesetze in den USA gar nicht einrennen können. Die ersten Sichtungstermine von Michael Moores Bowling for Columbine lagen jedenfalls zeitlich besonders günstig: Während zwei Heckenschützen die Gegend um Washington unsicher machten, trieb US-Präsident George W. Bush die Welt in die heiße Phase der Kriegshetze gegen den Irak. Aber Moore hat für seinen Film ohnehin einen zugkräftigen Aufhänger gewählt: Das Schulmassaker von Littleton.

Im April des Jahres 1999 betraten Dylan Klebold (17) und Eric Harris (18) mit verschiedenen Feuerwaffen und Rohrbomben bewaffnet ihr Lehrgebäude. Sie waren mit jenen Cowboy-Staubmänteln bekleidet, die das Zeichen ihres "Trench-Coat-Mafia" genannten Miniklubs waren. Kurze Zeit später gab es 13 Tote, viele schwer Verletzte und lebenslang Verstümmelte, darunter viele schwarze und sportliche Mitschüler. Der Schock, der diesem Ereignis folgte, führte dazu, dass Millionen Augen sich mit Tränen füllten, Hände vor Gesichter geschlagen, Anti-Aggressions-Richtlinien für Schulen aufgelegt und, nicht zuletzt, Sündenböcke gesucht und gefunden wurden. Schuld waren vor allem die Medien und bestimmte Rockmusiker. Eines dagegen blieb unantastbar: Das in der amerikanischen Verfassung verbriefte Recht auf freien Waffenbesitz.

Nur zwei Wochen nach dem Massaker hielt die National Rifle Association, der mächtige Schützenverein des Landes, unverfroren sein jährliches Verbandstreffen in Denver ab - wenige Kilometer von Littleton entfernt. Ein ledriger Charlton Heston hämmerte dort den Mitgliedern noch einmal ein, dass es nun gelte, fest zusammenzustehen.

Es sind "glückliche Zufälle" wie dieser, die dem Film Bowling for Columbine die Bindung geben und seine Fragestellung umso dringlicher machen: Was ist das für ein Land, das so sehr von Schusswaffen besessen ist, dass es all diese Toten in Kauf nimmt. Andere mögen das für casualties und Ausraster eines ansonsten ganz gut funktionierenden Systems halten, Moore sucht mit seiner Dokumentation aber gerade das System hinter diesen Ausrastern. Er tritt deshalb eine Reise durch die geistige Verfassung der USA an und findet dort eine tief verwurzelte Kultur der Paranoia und Gewaltverherrlichung.

Die Einstiegsluken in diese Welt waren anscheinend leicht zu finden. Große und kleine Jungs, die mit geladenen Colts unter dem Kopfkissen schlafen, ihre Jugendzimmer und Hobbykeller zu Bomben-Manufakturen und Waffernlagern ausbauen - Michael Moore hat sie gefunden und befragt und deckt so Denkweisen auf, die dem Zuschauer das Blut stocken lassen. Moores Montagetechnik mäandert solche Sequenzen in immer noch düsterere Fakten und Zufällen hinein: Am Tag der Schüsse von Columbine fliegt die US-Luftwaffe ihren bis dahin heftigsten Angriff in Jugoslawien. Die Columbine Highschool liegt in der Nähe eines der Werke von Lockheed Martin, des Herstellers von Militär- und Weltraumtechnik und nahe liegender Weise eifrigem Förderer des Waffen-Status Quo. Auch Matt Stone, einer der beiden Macher der Cartoon-Serie South Park, in der er der Schießwut der Amerikaner ein eigenes Denkmal setzte, hat Columbine besucht.

So weit die Analogien und Beispiele auch auseinander liegen, irgendwann landen sie immer in Moores Nachbarschaftsökonomie. Eric Harris hatte nicht immer in Littleton gewohnt, sondern verbrachte einen Teil seiner Kindheit auf einer Air Force-Basis in der Nähe von Flint, Michael Moores Heimatstadt. Auch Timothy McVeigh, der Bomber von Oklahoma City, und Charlton Heston, der Ex-Filmheld, wuchsen bei Moore um die Ecke auf.

Michael Moores Waffen-Puzzle geht aber besonders gut auf, als sich kurz nach dem Massaker von Littleton an einer Schule südlich von Flint(!) ein weiteres Drama ereignet. Anfang 2000 erschoss der sechsjährige Dedrick Owens ("black student") seine gleichaltrige Mitschülerin Kayla Rolland ("White little girl"). Dieses Ereignis wurde von den Medien auf spezielle Weise aufbereitet. Anstatt den Fall als mahnendes Beispiel im Kampf gegen die Waffen-Gesetzgebung zu nutzen, entwickelte sich eine allgemeine Hetze gegen ethnische Minderheiten: Der Vater als Crackdealer im Gefängnis, die Mutter selten zu Hause und nicht einmal in der Lage, die Miete zu bezahlen. Glaubte man den Berichten, so war Mord in dieser Familie ein Erziehungsziel.

Deshalb wird diese Geschichte bei Michael Moore noch einmal neu erzählt: Dedricks Mutter arbeitete in einem jener Systemrestaurants, die vom Arbeitsplatzwunder der "Reaganomics" dadurch profitierten, dass ihnen ein "Work-for-Welfare"-Programm Sozialhilfeempfänger zutrieb - zu Konditionen unterhalb des Mindestlohns. Die Mutter konnte von ihrem Lohn zwar nicht einmal die Miete bezahlen, musste dafür aber mehrere Stunden täglicher Anfahrt in Kauf nehmen.

Michael Moore klärt also auf: Die Massenmedien vertauschten absichtlich Ursache und Wirkung und decken so nicht nur ein Wirtschaftssystem, das das untere Gesellschaftsdrittel mutwillig "destabilisiert". Sie sind es, die ein Klima von Rassenhass und drohender Gewalt produzieren, von dem sie selbst wieder am meisten profitieren. Obwohl die Statistik einen realen Rückgang tödlich ausgehender Gewaltverbrechen um 20 Prozent ausweist, hat sich zur gleichen Zeit die sensationsheischende Berichterstattung um ein Mehrfaches erhöht - mit einer starken Voreingenommenheit gegen die afroamerikanische Bevölkerung.

Während ein TV-Team also am Schauplatz eines solchen Verbrechens niedere Instinkte zu bedienen hofft, weist Michael Moore einen der herumlungernden Polizisten darauf hin, dass man - wir sind in Los Angeles - im Hintergrund das weiße Hollywood-Zeichen nicht sehen könne und ob er nicht besser die für diesen Umweltskandal Verantwortlichen verhaften solle.

Was wäre Moores Essayistik ohne den Humorvorbehalt. Besonders intensiv wird es in den Situationen, die Moore selbst zeigen. Direkte Konfrontationen mit Vertretern von Firmen und Verbänden gehören zu den Höhepunkten auch dieses Films. Am Ende von Bowling for Columbine steht ein Besuch in Charlton Hestons Haus auf dem Programm. Moore verschafft sich als Waffenfreund Zutritt, um einen zunächst selbstgefälligen, dann leicht verwirrten alten Fuchs zu zeigen, der aber auch schnell seine Fassung wiederfindet und Moore aus dem Haus wirft.

Das Glück dieses linken Populismus, der so leicht zwischen dem Banalen, Heiteren und Ungeheuerlichen wechselt, hat allerdings auch eine Kehrseite. Denn zweifellos existiert dieses autoritäre Amerika und George W. Bush ist ohne Frage sein Aushängeschild. Es ist ja der Film selbst, der die totalitäre Homogenität behauptet und seine düstere Vision durch ausgewählte Medienbilder und Moores eigene Person beglaubigt.

Amerikanische Kritiker haben Michael Moore den Vorwurf der Selbstüberhebung gemacht. Wer dieser Kritik sofort die falschen Gründe unterstellt, zeigt damit vor allem, wie sehr er die Klischees liebt, die dieser Film gerade auch in Deutschland bedient.

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