Tim Cook hat angegriffen – und ohne Nennung von Namen war klar, wen der Apple-Boss meinte: Facebook und vor allem Google. Ihnen warf Cook in einer Rede bei der Non-Profit-Organisation Electronic Privacy Information Center in Washington vor, sie nutzten Geschäftsmethoden, die die Privatsphäre ihrer Nutzer verletzten. Gutes Apple, böse Kraken?
Google jedenfalls stellt mit Android das weltweit populärste Betriebssystem für Smartphones bereit und ist damit der größte Konkurrent für Apples iPhone. Android basiert auf dem Open-Source-Betriebssystem Linux. Neben der klassischen Version mit Googles eigenen Diensten, etwa Gmail, Google Maps und Google Play Store, können Hardwarehersteller eine vollkommen offene Open-Source-Variante einsetzen, das
en, das „Android Open Source Project“.Während dieses offene Betriebssystem am Desktop laut netmarketshare.com aktuell einen Marktanteil von 1,6 Prozent hat, ist die mobile Schwester Android, so das Marktforschungsunternehmen IDC, mit weltweit 79 Prozent Anteil und 1,2 Milliarden Geräten klarer Marktführer. Google hat mit Android also etwas geschafft, was Linux in den 24 Jahren seines Bestehens nicht annähernd gelang. Das ist einerseits ein großer Erfolg für Open Source. Es zeigt aber andererseits eine Facette frei zugänglicher, quellenoffener Software auf, die Befürworter gern ausblenden. Denn Google, das weiß nicht nur Cook, verdient sein Geld mit Werbung. Der Erfolg von Android, Googles Einsatz von Open Source und sein Werbemodell sind allesamt eng miteinander verwoben.Wirtschaftstheorie hilft, um zu verstehen, warum das so ist. Wenn zwei Güter gemeinsam Nutzen stiften, spricht man von Komplementärgütern. Reifen zum Beispiel: Sie werden zu einem neuen Auto mitgeliefert. Bei Nassrasierern und Rasierklingen ist es dasselbe. Perfekte Komplementärgüter stellen Messer und Gabeln oder linke und rechte Socken dar.Das Gillette-PrinzipEntscheidend für Anbieter ist, dass die Nachfrage nach beiden Gütern sinkt, wenn eines der Güter im Preis steigt. Im Umkehrschluss bedeutet das: Für Unternehmen ist es sinnvoll, die zu ihren Angeboten erhältlichen Komplementärgüter günstiger zu machen, wenn sie dazu irgendwie in der Lage sind. Je günstiger die Komplementärgüter, desto mehr wird das eigentliche, eigene Produkt gekauft.Wer sein Geld mit dem regelmäßigen Verkauf von Rasierklingen verdient, verschenkt vielleicht den zugehörigen Nassrasierer. Die auf diesem „Gillette-Prinzip“ basierende Komplementärgüterstrategie lässt sich ebenso bei Druckern und Patronen beobachten. Firmen verkaufen ihre Drucker für weniger Geld, als deren Herstellung kostet, und refinanzieren dies mit dem Gewinn, den sie mit dem Verkauf der zugehörigen Patronen erwirtschaften.Open Source wird nicht direkt verkauft. Unternehmen, die Open Source anbieten, verdienen ihr Geld nur indirekt über die Software. IBM und Canonical, der Hersteller der Linux-Variante Ubuntu, verdienen ihr Geld damit, dass sie andere Firmen beraten und ihnen bei der Implementierung und Instandhaltung von Softwaresystemen helfen. So etwas geht bei privaten Endkonsumenten nicht. Open Source anzubieten und damit Geld zu verdienen ist schwieriger. Canonical löst dies, indem es gleichzeitig Endkunden- und Unternehmensversionen von Ubuntu anbietet. Die Endnutzervariante ist ein Stück weit Werbung für die anderen Angebote von Canonical, mit denen das Unternehmen Geld verdient.Placeholder authorbio-1Canonical hat dabei etwas ausprobiert, was in der Branche viel Aufmerksamkeit erregte: 2012 erhielt Ubuntu eine neue Funktion, die die Desktopsuche mit anderen Suchfunktionen kombinierte. Wer auf seinem Rechner nach einem bestimmten Lied oder Film sucht, erhält dazu gleich passende Suchergebnisse, zum Beispiel von Amazon. Der Nutzer kann das Lied oder den Film dann direkt bei dem Onlinehändler kaufen. Canonical hatte also nichts anderes getan, als auf Werbung zu setzen, um Einnahmen zu generieren.Und das Unternehmen ist dabei in bester Gesellschaft. Sein Nischenprodukt Ubuntu teilt mit Android nicht nur die Linux-Basis und damit die Open-Source-Grundlage, sondern auch das Refinanzierungsmodell. Google hatte einst präventiv das Betriebssystem Android übernommen und weiterentwickelt, um im mobilen Internet ein zweites Windows zu verhindern. Auf keinen Fall sollte ein Nachfolger des Internet Explorer Googles Suchmaschine irgendwann den Zugang zu den Nutzern versperren können.Google verdient sein Geld mit Werbung, und sein Produkt wird besser, je mehr es von Nutzern lernen kann. Google braucht also maximale Reichweite. Das Internet, indiziert und mit Werbung angereichert, ist für den Konzern ein Komplementärgut. Möglichst günstig soll es überall verfügbar sein, um möglichst viel Werbung an den Nutzer zu bringen. Ebenso ist es mit allem Nachgelagerten: Das Betriebssystem, die Geräte – alles Komplementärgüter. Logisch also, dass Google Android kostenlos anbietet, so für eine maximale Verbreitung sorgt und gleichzeitig den Hardwareanbietern Differenzierungsmöglichkeiten wegnimmt. Die Folge ist ein für Google wünschenswerter Preiskampf bei Android-Smartphones. Lange war Samsung der einzige Android-Hersteller, der Gewinn erwirtschaftete.Google nutzt seine Reichweite für Werbung und „Machine Learning“: Es wird klüger, je mehr Daten es auswerten kann. Und je mehr Daten es auswerten kann, umso besser kann es Werbung platzieren und verkaufen. Das geht am besten mit Open Source. Apple dagegen verkauft Hardware. Es braucht keine Daten für Werbung. Und offene Software ist für Apple uninteressant, denn mit ihr lassen sich nicht mehr Geräte absetzen. Deshalb kann Apple etwa seinen Kurznachrichtendienst verschlüsseln.Sowohl Google als auch Apple sind perfekt ausgerichtete Unternehmen, wie es der unabhängige Marktanalyst Ben Thompson treffend formuliert. Erlösströme und Produkte arbeiten Hand in Hand in die gleiche Richtung. Nur eben für Apple in die eine, für Google in die andere Richtung.Deshalb kann Apple auf Privatsphäre pochen und Google auf offene Software verweisen. Keiner der beiden steht moralisch über dem anderen. Sie folgen nur konsequent ihren Geschäftsmodellen. Das Motto ist altbekannt: Follow the money.