Sein neuer Platz trägt die Nummer 81, ganz hinten in der letzten Reihe der Hamburgischen Bürgerschaft. Von diesem abgesessenen, mit braunem Kunstleder überzogenen Klappsitz aus setzt Ronald Schill nach seinem jähen Absturz nun als einfacher Abgeordneter zum Comeback an - wohin es führt, ist ungewiss. Sich Schill als grauen Hinterbänkler im Hamburger Landesparlament vorzustellen, mag nicht so recht gelingen, ihm selbst am wenigsten. Bereits bei seinem ersten Auftritt in neuer Funktion sonnte sich der gefeuerte Innensenator im Blitzlichtgewitter, stahl seinem an diesem Tag zu wählenden Nachfolger Dirk Nockemann und selbst Bürgermeister Ole von Beust die Show. Kampfeslustig diktierte er den Journalisten in die Feder: Seine neue Aufgabe sei es nun daf
ür zu sorgen, dass seine, jawohl seine Partei, vom Bürgermeister nicht zum Wurmfortsatz der CDU gemacht werde. Den ungeliebten Innensenator und Demagogen ist Ole von Beust zwar los, einen ständigen Unruheherd als Abgeordneten, der sich den Mund nicht verbieten lässt, aber hat er gewonnen. Und von diesem Platz kann Schill niemand feuern.Damit droht das Kalkül des Bürgermeisters, dessen knappe parlamentarische Mehrheit auch auf der Stimme Schills beruht, nicht aufzugehen. Den schillernden Aufsteiger der vergangenen Hamburger Bürgerschaftswahl hatte er so lange in Amt und Würden gehalten, wie das für den Machtgewinn und -erhalt der rechtsgerichteten Landesregierung nützlich war und entsorgte ihn erst, als Schill mit seinen ständigen Eskapaden zum unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko für die Koalition der Hansestadt wurde. Schills Erpressungsversuch - (er unterstellte von Beust homosexuelle Beziehung zu einem Senator) - kam dem Bürgermeister gelegen, um die Reißleine zu ziehen. Wie bestellt flankierten Schills Parteifreunde den freien Fall ihres Parteivorsitzenden, sprachen ihm die Zurechnungsfähigkeit ab, drohten mit Fraktions- und Parteiausschluss. Doch "Totgesagte leben länger", sagt Schill.Fast im Alleingang rückte er in den vergangenen Jahren - mit gewaltigem medialem Rückenwind - das politische Koordinatensystem der Hansestadt kräftig nach rechts. Mit seinem Wahlerfolg verhalf er der CDU im "roten Hamburg" an die Macht, mit seinen markigen Parolen leitete er einen öffentlichen Wertewandel ein, der wesentlich zum Erfolg der "Bürgerblock"-Regierung beitrug.Besonders deutlich wird der hanseatische Rechtsruck an der miserablen Verfassung der Hamburger Sozialdemokraten, die als größte Oppositionspartei weder inhaltlich noch personell Alternativen zu dem Hamburger Rechtssenat anbieten. Unter dem Eindruck des Wahldebakels vor zwei Jahren biedert sich die Elb-SPD in ihren Positionen an: gerade beim Hamburger Top-Thema "Innere Sicherheit" - näherten sich die Sozialdemokraten bis zur Verwechselbarkeit den Rechtskonservativen. Ob Brechmitteleinsätze gegen mutmaßliche Dealer oder geschlossene Heimunterbringung für jugendliche Wiederholungsstraftäter - alles, was die Hamburger Regierungs-SPD einst vehement bekämpfte, fordert die Hamburger Oppositions-SPD nun ebenso vehement im Gleichklang mit CDU und Schill-Partei.Personell sind die Sozialdemokraten ausgebrannt. Weder der auch in Hamburg unbekannte SPD-Gesundheitspolitiker Mathias Petersen, noch der farblose Politik-Manager Thomas Mirow oder gar der in die Jahre gekommene Hamburger Ex-Bürgermeister Henning Voscherau verheißen den Sozialdemokraten Aufbruchsstimmung. So kann die SPD nach allen Umfragen nicht vom Schill-Eklat profitieren: Konstant pendelt sie in allen Prognosen der vergangenen zwei Jahre um 36 Prozent. Entsprechend kraftlos wirkte in den vergangenen Wochen ihre Neuwahl-Kampagne. Denn in der Mitte der Legislaturperiode steht die Hamburger "Bürgerblock"-Koalition in allen Umfragen stabil - stets mit knappem Vorsprung vor der rot-grünen Opposition. Konsequent setzte sie ihre - vor allem von Schill - angekündigte Politik um. Mit einer umfassenden politischen Ausgrenzung hilfebedürftiger Gruppen, egal ob es sich um Migranten, Bettler, Drogenabhängige, Sozialhilfeempfänger, AIDS-Kranke oder missbrauchte Frauen handelt, bediente die Regierung all jene, die eine saubere Stadt ohne "Problemgruppen" wünschen und pädagogisches Engagement als Sozialromantik abtun. Mit mehr Polizei in neuen blauen Designeruniformen und polierten Kriminalstatistiken ist es ihr gelungen, sich zu verkaufen als "law and order"-Regierung, die die angebliche "Hauptstadt des Verbrechens" sicherer und sauberer macht.Die zahlreichen Eskapaden des Ronald Schill und der Eklat um seinen Rausschmiss veränderten lediglich das Kräfteverhältnis innerhalb der Koalition - zugunsten der CDU. Zusammen verfügen Christdemokraten und Schill-Partei laut Umfragen wie bei ihrer Wahl 2001 über die Zustimmung von rund 45 Prozent der Wahlberechtigten, nur dass die Kräftebalance zwischen den beiden Regierungspartnern nicht mehr 26 zu 19 Prozent wie am Wahlabend, sondern mittlerweile 40 zu fünf Prozent zugunsten der CDU beträgt. Aber das Hoch seiner CDU bereitet dem Bürgermeister Kopfzerbrechen. Nicht nur die Schill-Partei, sondern auch die inzwischen unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde vor sich hin dümpelnde FDP braucht man als Mehrheitsbeschaffer bei der nächsten Wahl. Doch fast alles, was der einzige liberale Senator, der Konteradmiral a.D. Rudolf Lange, bislang angepackt hat, geriet zum Desaster. Die von ihm neu organisierte Kindertagesbetreuung riss Erzieher wie Eltern gleichermaßen zu medienwirksamen Proteststürmen hin, ein neues Lehrerarbeitszeitmodell führt vor allem zu volleren Klassen, schlechterer Betreuung und dem Wegfall von Klassenreisen, für die den Lehrern zu wenig Stunden angerechnet werden. Beust, den Schills Skandalauftritte und Langes Negativschlagzeilen zu Rekord-Umfragewerten katapultierten, hat damit ein Problem: Er siegt sich in die Opposition.Die Schill-Partei beschäftigen dagegen gleich zwei Probleme: Sie wird ihren in Ungnade gefallenen Parteigründer nicht los, bietet aber auch keinen Ersatz für ihn. Keiner aus der zweiten Parteireihe verfügt über einen Funken Charisma, kann Menschen begeistern und für sich einnehmen. Die Schill-Partei ohne Ronald Schill wirkt wie ein Terminator-Film ohne Arnold Schwarzenegger. Spätestens im nächsten Wahlkampf, so fürchten und hoffen die Schillianer zugleich, wird ihr gestürzter Senator wie Phönix aus der Asche steigen.