Der Anspruch war hoch. Wirksame Schutzmaßnahmen für Deutschlands Chemieanlagen gegen Terroranschläge aus der Luft sollte die Störfallkommission des Bundes bis Mitte Dezember ausbrüten. Nach den Attentaten vom 11.September hatte das Bundesumweltministerium das Sicherheitsgremium beauftragt, die genauen Risiken solcher Anschläge auf Chemieunternehmen zu analysieren und mögliche Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Das Ergebnis, das Umweltminister Jürgen Trittin inzwischen in schriftlicher Form vorliegt, ist ernüchternd. "Eine neue Strategie zum Schutz von Chemieanlagen vor terroristischen Anschlägen ist nicht in Sicht", räumt Kommissionschef Christian Jochum freimütig ein.
Mangels bahnbrechender Vorschläge setzt die Störfallk
ie Störfallkommission in ihrem noch unveröffentlichten Bericht schwerpunktmäßig auf den Ausbau klassischer Sicherungssysteme, etwa einen verbesserten Werkschutz. Dass dieser notwendig ist, ist unbestritten. So gelang es vor wenigen Wochen einigen Journalisten des Fernsehmagazins Fakt problemlos, ohne Zugangskontrolle in das Zentrum einer Raffinerie bei Merseburg einzudringen. Sie darf eigentlich nur mit Berechtigungsausweis betreten werden. Doch die Kommissionsempfehlungen können eines - das betont auch Jochum - nicht verdecken: "Es gibt keinen Schutz gegen Angriffe aus der Luft."So müssen Chemieanlagen prinzipiell nur dann gegen Flugzeugabstürze ausgelegt sein, wenn sie einer "umgebungsbedingten Gefahrenquelle" ausgesetzt sind, beispielsweise in einer Einflugschneise liegen. Aber der hier vorgeschriebene Schutz hält allenfalls dem Aufprall eines Militärjets stand. Der beabsichtigte oder unbeabsichtigte Absturz eines Großraum-Flugzeugs hätte eine ganz andere Dimension. So bringt eine vollbetankte Boeing 747 stattliche 400 Tonnen Gewicht auf die Waage: knapp 20 mal mehr als eine Phantom und gar bis zu 40 mal mehr als ein Starfighter. Noch größer sind die Unterschiede bei der Treibstoffmenge, die für den Verlauf eines Unfalls eine entscheidende Rolle spielt: Mit knapp 220.000 Litern hat ein vollbetankter Jumbo-Jet rund 36 mal mehr Flugbenzin an Bord als eine aufgetankte Phantom. Im World Trade Center brannte das Kerosin stundenlang bei Temperaturen von über tausend Grad. Stahlträger schmolzen wie Wachs.Ein gezielter Terrorangriff auf eine deutsche Chemiefabrik oder Raffinerie würde alle treffen, "die sich im Umkreis von fünf Kilometern aufhalten": Davon gehen Experten wie der zuständige Abteilungsleiter der Hamburger Umweltbehörde, Jürgen Rehr, aus. Roland Fendler vom Freiburger Öko-Institut hält "zehntausende Tote für möglich". Allerdings "nur an wenigen Stellen in Deutschland" - dort, wo die Umgebung der Chemieanlagen dicht besiedelt ist. Als besonders anschlagsgefährdet gelten dabei die knapp 8.000 Industrieanlagen, die bundesweit der Störfallverordnung unterliegen. Es handelt sich um Chemiefabriken, Raffinerien und Tanklager, in denen hochgiftige, megaexplosive, leicht entflammbare oder stark ätzende Stoffe verarbeitet werden. Jede vierte dieser Anlagen befindet sich in den Chemiehochburg Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Bayern (1300), Baden-Württemberg (985) und Rheinland-Pfalz (714). Knapp 2000 dieser Anlagen bergen ein so hohes Gefahrenpotential, dass sie als "Anlagen mit erweiterten Pflichten" eingestuft werden.Die Störfallverordnung regelt haarklein ihre Überwachung. Alle Betriebe müssen den zuständigen Kontrollbehörden anzeigen, welche Chemikalien sie verwenden, welche Unfälle mit welchen Folgen möglich wären und wie diese verhindert oder bekämpft werden könnten. Dazu müssen die Unternehmen einen Sicherheitsbericht erstellen und konkrete Alarm- und Gefahrenabwehrpläne entwickeln. Sie müssen diese ständig aktualisieren. Doch an eines haben die Verfasser nicht gedacht: Terrorangriffe auf Chemiefabriken sind in der Störfallverordnung schlicht nicht vorgesehen. Sicherheitskonzepte gegen von Menschenhand geplante Katastrophen gibt es nicht. "Wir können weder Anschläge verhindern noch auf jeden einzelnen Fall vorbereitet sein", ahnt der oberste Katastrophenschützer der Hamburger Innenbehörde, Wolfgang Brandt: "Wir können nur Ordnung in das Chaos bringen".Dass das gelingt, muss bezweifelt werden. Im gesamten Bundesgebiet wurde seit dem Mauerfall drastisch gespart. Nach Angaben des Arbeitersamariterbundes sanken die Ausgaben des Bundes für den Katastrophenschutz in den vergangenen zehn Jahren um fast zwei Drittel. Es fehlt an Bunkern, Warnsirenen, Krankenhausbetten, Personal und technischem Gerät. Es fehlt an eigentlich allem.Schon ob die betroffene Bevölkerung von einer drohenden Katastrophe überhaupt rechtzeitig erfahren würde, ist mehr als fraglich. Nach der Auflösung des Warschauer Pakts wurden bundesweit bis heute rund 40.000 Warnsirenen demontiert. Nun sollen es vielerorts mobile Sirenen richten, die bei drohender Gefahr aufs Autodach montiert und anschließend durch die Strassen kutschiert werden. "Das dauert natürlich länger", räumt der Hamburger Branddirektor Paul Middendorf ein, "aber wir haben keine Alternative."Auch die Feuerwehren sind bundesweit für den Katastrophenfall schlecht gerüstet. Dieter Farrenkopf, Leiter der Hamburger Berufsfeuerwehr, weiß von Schläuchen zu berichten, die platzen oder regelmäßig aus der Kupplung gehen. Über Löschfahrzeuge ohne Wassertank, die an Einsatzorten ohne externe Wasserzufuhr auf dem Trockenen sitzen. Über Rettungsfahrzeuge, "die um 20 Jahre hinter dem technischen Stand eines leistungsfähigen Rettungsdienstes hinterherhinken". Über modernste Messtechniken in "ABC-Spürfahrzeugen", deren Analyse-Ergebnisse leider nicht an die Katastrophenschutz-Einsatzzentrale übertragen werden können.Farrenkopfs Paradebeispiel für den Katastrophenzustand des Katastrophenschutzes ist ein Ding, das entfernt an eine eiförmige Tupperdose erinnert, die kurzzeitig auf einer glühenden Herdplatte geparkt wurde. Die kunststoffhaltige Oberfläche wirft fette Blasen. "Unser neuer Helm - einmal im Feuer gewesen", kommentiert der Feuerwehrchef süffisant. "Irgendwelche Techniker haben eine neue europäische Norm für Feuerwehrhelme entwickelt und dabei festgelegt, dass Metallhelme wegen ihrer elektrischen Leitfähigkeit nicht mehr auf dem Stand der Technik sind." Sie hätten "an vieles gedacht, aber eines vergessen", holt Farrenkopf zur Pointe aus: "dass Feuerwehrhelme feuerfest sein sollten".Die alten Stahlhelme darf der besorgte Amtschef seinen Mitarbeitern nicht mehr aufsetzen. Kommt ein Feuerwehrmann beim Einsatz mit dem alten Helm zu Schaden, zahlen die Unfallversicherungsträger nicht. Nun sitzt Hamburgs Feuerwehrchef wie viele seiner Kollegen auf den neuen Helmen nach EU-Richtlinie und sieht es auf sich "zukommen, dass ich demnächst Mitarbeiter habe, denen die Haare wegbrennen".