Dr. Hans Reimer nimmt es stets ganz genau. Der in Saarbrücken geborene Ingenieur gilt seinen Geschäftspartnern als stets zuverlässiger, fast penibler Geschäftspartner. Die Akribie, mit der Reimer stets seine Arbeit erledigt, sie droht dem 69-Jährigen jetzt zum Verhängnis zu werden. Und nicht nur ihm. Sorgfältig listete der bundesweit anerkannte Experte für die Planung von Müllverbrennungsanlagen in einem kleinen Notizbuch handschriftlich seine Einkünfte in den neunziger Jahren auf. Die Aufstellung deponierte er im Privattresor seiner luxuriösen Ferienvilla nahe Aix en Provence. Dort fanden es im Herbst 1999 französische Polizisten und deutsche Bundeskriminalbeamte bei einer Durchsuchung des Reimer-Anwesens.
Die handschriftlichen Notizen des Dr. Reimer fördern eine Schmiergeldaffäre kaum vorstellbaren Ausmaßes zutage, in deren Mittelpunkt der im feinen Hamburger Vorort Blankenese lebende Reimer selbst steht. Sie legen nahe, dass Reimer nicht übertreibt, wenn er behauptet, der Kölner Skandal um Korruption und Bestechung führender Sozialdemokraten im Zusammenhang mit dem Bau der Müllverbrennungsanlage Köln-Niehl sei allenfalls "die alleroberste Spitze des Eisbergs". Rund 20 Millionen Mark Einkünfte hat Deutschlands erfolgreichster Müllanlagenplaner in seinen Notizen handschriftlich aufgeführt. Nach fester Überzeugung des Hamburger Landgerichts, vor dem sich Reimer seit Februar wegen Steuerhinterziehung verantworten muss, allesamt Schmiergelder. Klaus Rühle, der Vorsitzende der 18. Strafkammer des Gerichts, hält es für erwiesen, dass Reimer von den größten Anlagenbauern der Republik über verschlungene Wege knapp 20 Millionen Mark Bestechungsgelder dafür erhielt, dass er seine Funktion ausnutzte, um den Unternehmern lukrative Aufträge oft in dreistelliger Millionenhöhe zu besorgen. Reimer selbst wiederum behauptet, große Teile der Schmiergeldmillionen deshalb nicht versteuert zu haben, weil er das Geld regelmäßig zur "Beatmung" von Politikern verwendet habe, wie die Bestechung in der Müllbranche genannt wird. Kann Reimer das belegen, so viel ist heute schon klar, wackelt die Republik.
Die Liste der Firmen, die Reimer nach dessen eigenen Aufzeichnungen bedachten, liest sich wie das Who-is-who der Müllwirtschaft: Der Mannheimer Anlagenbauer ABB, die Deutsche Babcock und deren Töchter L Steinmüller und DBA, die Wiener Austrian Energy, Preussag-Noell aus Würzburg, die Horstmann Fördertechnik und viele andere zahlten nach Einschätzung des Gerichts über Jahre Millionenbeträge in Reimers Taschen, um ihre Auftragsbücher zu füllen.
Der Hamburger Ingenieur galt in den achtziger und neunziger Jahren als der Experte, wenn es um den Bau und die Nachrüstung von Müllverbrennungsanlagen ging; an der Planung jeder zweiten Anlage war er über sein Planungsbüro Goepfert, Reimer und Partner (GRP) beteiligt. Er beriet Kommunen, Entsorgungsunternehmen und Anlagenbauer gleichzeitig - und kassierte doppelt und dreifach. Die Bestechung verlief nach Einschätzung des Hamburger Landgerichts immer nach dem gleichen Muster: Reimer informierte die Baufirmen über Details des Ausschreibungsverfahrens, gab ihnen Insider-Tipps, wie sie ihre Angebote zu verändern hätten, und setzte sich als Berater oder Generalplaner der Auftraggeber für bestimmte Anlagenbauer ein. Dafür kassierte er regelmäßig ein bis zwei Prozent "Provision" von seinen Kunden. Die Zahlungen flossen als Betriebsausgaben deklariert auf ein Konto der Schweizer Briefkastenfirma Pentag AG, von dem sich Reimer dann offensichtlich bediente. Als Gegenleistung vermittelte der heute 69-jährige Ingenieur unter anderem die Aufträge bei den Müllverbrennungsanlagen in Köln-Weisweiler, Hamburg, Neubrandenburg, Brunsbüttel, Bamberg, Böblingen und vermutlich auch Rostock an die ihn bedienenden Unternehmen.
Wie das Geschäft lief, machte bei der Vernehmung des Hamburger Landgerichts ein Manager der Gummersbacher Firma L Steinmüller deutlich, die als Erbauer der Kölner Müllverbrennungsanlage Köln-Niehl eine zentrale Rolle im Kölner Bestechungsskandal spielt und auch auf der aktuellen Spenden-Liste des ehemaligen SPD-Fraktionschefs Norbert Rüther ganz oben steht. Der Manager klagte vor dem Gericht, Steinmüller habe trotz guter Angebote jahrelang keine lukrativen Bauaufträge erhalten: "Unsere Misserfolge waren darauf zurückzuführen, dass wir die Spielregeln nicht kannten." Erst als die Anlagenbauer Reimer kennen lernten und ihn regelmäßig schmierten, bekamen sie einen Fuß ins Geschäft. "Ohne Herrn Dr. Reimer hätten wir keine Chance gehabt, in den engeren Kreis der Anwärter zu kommen", erklärte Ex-Steinmüller-Geschäftsführer Sigrid Michelfelder in einer Vernehmung des Bundeskriminalamtes. Allein 1996 ließ das Gummersbacher Unternehmen Reimer deshalb 1,189 Millionen Mark Provision zukommen. Nachdem die Horstmann Fördertechnik die für Reimers Dienste bei der Beschaffung eines Auftrags im schleswig-hosteinischen Pinneberg vereinbarte Bestechungssumme nicht überwiesen hatte, ging sie nach eigenen Angaben in den folgenden Jahren bei der Vergabe von Bauaufträgen leer aus. Die Folge: Die Bad Oeynhausener Firma nahm die Zahlungen an Reimer wieder auf und wurde fortan wieder bedacht.
Ob Reimer die Schmiergeldmillionen für sich behielt oder - wie von seinem Anwalt Johann Schwenn behauptet - an politische Entscheidungsträger zu deren "Beatmung" weitergeleitet hat, ist noch völlig unklar. Bislang nannte Reimer, den eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren erwartet, keinen einzigen Politiker-Namen. Sein Verteidiger aber betont: "Die Zahlungen machen nur Sinn, wenn sie dazu beitragen, den politischen Widerstand gegen solche Anlagen zu brechen."
Klar ist bereits, dass der Hamburger Steuerprozess bundesweit eine Lawine weiterer Ermittlungen und Bestechungs-Verfahren nach sich ziehen wird. In der Hansestadt ist zudem ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Gespräch. Die Chancen, dass große Teile des Eisbergs an die Oberfläche kommen, stehen deshalb nicht schlecht.
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