Diese Schule ist die einzige ihrer Art in Deutschland, sie heißt BAZ und ist das Bundesausbildungszentrum für die Spezialisten des letzten Weges. Gelegen an einer schmalen Straße in Münnerstadt, einem 7.000-Seelen-Ort 30 Kilometer nördlich von Schweinfurt und an der Grenze zum Kreis Rhön-Grabfeld, der seinen Namen unzähligen Keltengräber verdankt.
Auf einem Hinweisschild an einer Straße in Münnerstadt liest man, welchen Gang die Dinge zu nehmen pflegen. Neben einem schwarzen Pfeil steht darauf, von oben nach unten: Jugendhaus, Altenheime, Bundesausbildungszentrum Bestatter.
Mit Letzterem ist ein lang gezogenes, einstöckiges Gebäude mit moderner Fassade aus grauem Aluminium gemeint. Es könnten darin auch Seminare stattfinden für Manager, die sich über Geschäftsstrategien verständigen und das Anzapfen neuer Märkte. Bei dem freilich, was hier gelehrt wird, gibt es keine neuen Märkte und keine alten. Sondern immer denselben. "Weil ja immer gestorben worden ist und auch immer gestorben werden wird", sagt BAZ-Leiterin Rosina Eckert, eine Frau Mitte 50 und mit praktischer Frisur.
Nur ein bisschen Reisefieber
Zwar ist die Zahl der Verstorbenen in Deutschland seit einigen Jahren rückläufig, etwa 827.000 Menschen starben im vergangenen Jahr, gegenüber 920.000 Todesfällen noch 20 Jahre zuvor. Aber in 20 oder 30 Jahren, sagt Eckert, kämen dann ja wieder geburtenstarke und also sterbeintensive Jahrgänge aus den Fünfzigern an die Reihe. Sie sagt das nicht süffisant, auch ohne Leidensmiene. Das sei nun einmal so - sie selbst gehöre schließlich zu diesen Jahrgängen.
An den hellen Kieferwänden des Bestatterzentrums hängen gerahmte Sinnsprüche. Zwischen Raum 1.1.6, dem für Dekoration, und Raum 1.1.7, der Übungskapelle, findet sich zum Beispiel die Botschaft: "Den eigenen Tod immer ein bisschen im Auge behalten: das beruhigt und erfrischt zugleich." Oder: "Meine Tante antwortete mir neulich auf die Frage, ob sie Angst vor dem Tode habe: Nein, nein. Nur ein bisschen Reisefieber."
Es ist zwei Uhr an einem grauen Nachmittag, und über den Gang dringt Lachen aus 1.1.3, dem Raum für Materialkunde.
"Kommen Sie ruhig rein", sagt ein kleiner Mann mit Lachfalten, der vorn am Pult steht. "Gestatten, Engel, Bestatter." Thorsten Engel, "seit 17 Jahren Bestatter aus Leidenschaft". Der Mann ist Dozent im Fach Werkstoffkunde. Gerade hält er eine Urne zwischen den Händen. Urnen sind ebenso wie Särge prüfungsrelevanter Stoff. Die liegen hinter den neun Schülern in kleinen Schrankfächern, weil heute eben die Urne dran ist.
Auf einem Flipchart neben Herrn Engel steht als Überschrift: "Verzierungen bei Urnen". Er erläutert, betende Hände wären sehr beliebt, auch Rosenzweige stünden zur Auswahl oder eben Engel. Als er bei der Frage "nach relevanten Kriterien einer Urne" keine Antwort von den Schülern erhält, erklärt er, dass die See-Urne so beschaffen sein müsse, dass sich spätestens nach zwölf Stunden auflöst. Und dass die Urne ein gutes optisches Erscheinungsbild abgeben sollte. "Also das, was auch ich darstelle", sagt Herr Engel, lacht, stülpt sich die Urne erst über den Kopf, hält sie dann vor sein Gesicht, um hinein zu rufen: "Test, Test, Test!"
Bestatter seien eigentlich sehr lustige und lebensfrohe Menschen, sagt Engel nach dem Unterricht. "Mich wird daheim keiner mit trauriger Miene sehen." Die Hinterbliebenen seien schließlich schon traurig genug, wenn sie zum Bestatter kämen. Und Trost zu geben, das werde nur jemandem gelingen, der sich zwar in die Trauer einfühlen könne, selbst aber keine in sich trage.
Ideale Tiefe und schön bündig
Nach der Theorie steht am nächsten Morgen die Praxis auf dem Plan. Für die andere Klasse, die in Münnerstadt ausgebildet wird. Auf dem Lehrfriedhof des Bestatterzentrums - er liegt hinter einer Sackgasse am Ortsrand - lernen die Schüler, Gräber professionell auszuheben. 30 Grabsteine stehen dort, die einst zu Verstorbenen gehörten, jetzt aber nur noch zu Übungszwecken gebraucht werden. "Seid getrost, denn ich habe diese Welt überwunden", lautet die Inschrift auf einem der Steine. Eingemeißelt für den jung verstorbenen Drechslermeister Gottlieb Weisheit aus Münnerstadt.
Davor steht nun Martin, ein großer Junge mit weichen Zügen und fragt: "Ist das nicht ein schöner Ort?" - Gerade kommt die Sonne zum ersten Mal seit zwei Tagen wieder durch und wirft einen Strahl auf sein frisch ausgehobenes Übungsgrab. Peter Sandmeyer, Ausbilder im Fach Grabtechnik, betrachtet es lange. Dann nickt er: "Wunderbar." Ideale Tiefe und an den Rändern schön bündig. "Sieht gut aus." Sandmeyer sagt: "Jedes Grab ist wie ein Haus für die Leute. Da stecken die Hinterbliebenen all ihre Liebe rein." Deswegen habe jedes Grab für sich eine Intimsphäre, die es einzuhalten gelte. Der eigentliche Friedhof liegt jenseits einer trennenden Hecke, wo gerade ein älteres Ehepaar vorbeiläuft und ein wenig irritiert hinüberschaut auf die Schar gut gelaunter, Gräber schaufelnder Ausbildungswilliger.
Martin will sich in sein künftiges Fach mit "Herz und Seele" hineinfinden. Im kommenden Jahr schließt er die dreijährige Ausbildung ab und darf sich dann "Bestatterfachkraft" nennen. Im Gegensatz zu fast zwei Dritteln der derzeit 400 Azubis in Deutschland, die diesen Beruf erlernen, kommt Martin nicht aus einer Bestatterfamilie. Auch wenn ihm als Sohn eines Pfarrers die Branche zumindest nicht völlig fremd war. Vor vier Jahren - mit 15 damals - begann er sein erstes Praktikum. Die Bewährungsprobe folgte gleich am zweiten Tag. Ein Selbstmörder mit Kopfschuss wurde eingeliefert. Er hörte von den Kollegen: "Entweder du packst mit an oder du gehst raus." Er blieb. In den folgenden Praktika sah er Wasserleichen oder verweste Tote, die monatelang bei Zimmertemperatur in ihrer Wohnung lagen. Wobei das Sehen gar nicht mal so schlimm sei, "aber der Geruch ist absolut widerlich." Man sollte als Bestatter nicht zu zart besaitet sein, sagt Martin. Doch der Umgang mit den Toten mache ja nur den kleineren Teil der Arbeit aus. Wesentlicher sei der einfühlsame Umgang mit den Hinterbliebenen. "Die müssen ja mit dem Tod leben."
Wie im Leben
Der Humor wird nicht geregelt im Ausbildungshandbuch des Bundesverbandes Deutscher Bestatter (BDB), in dem ansonsten alle Lehrinhalte von Münnerstadt aufgeführt werden. Modul VI zum Beispiel: Beratung und Betreuung. "Vermittlung von Kenntnissen im Verstehen der Trauersituation. Praktische Tipps zum Inhalt des Trauergesprächs." Modul IV: Aufbahrung und Dekoration. "Würdevolle und personenbezogene Aufbahrung zur Abschiednahme und zur Vermittlung von Ruhe, Harmonie und Wärme." Auch unter Modul IV: Warenkunde. "Herrichtung eines Sargrohlings, Sargausschlag, Verlöten eines Zinksarges."
Nach der Mittagspause geht Herr Engel in der Werkstatt des Zentrums von Sarg zu Sarg. Es wird genagelt, geklopft und geschraubt. "Das Ziel ist", sagt Engel, "dass man heute Abend aus Sargrohlingen gebrauchsfertige Särge gemacht hat, in die man einen Toten betten kann." Gebrauchsfertig heiße in diesem Zusammenhang, dass der Sarg außen mit Griffen tragfähig sei. Und innen soweit mit Satinbezügen ausgeschlagen ist, dass nachher keine Flüssigkeit mehr auslaufen kann. Und dass die Schrauben soweit abgeschliffen sind, dass die Verstorbenen keinen Schaden nehmen. Er ergänzt: "Und natürlich auch der Bestatter nicht."
An einem der Särge steht Martina und tackert gerade den Stoffbezug fest. Auch sie kam aus Berufung. Der Vater Maler, die Mutter Zahnarztgehilfin. Anfangs konnten die nicht begreifen, warum ein junger Mensch ständig mit dem Tod zu tun haben will.
Sie trägt einen grauen Arbeitskittel. "Pietät Schaack" ist darauf gestickt, ihr Lehrbetrieb. Mit vier Jahren war sie bei der Beerdigung ihres Großvaters dabei. "Opa kommt in den Himmel, hieß es." Aber eigentlich kam er ja nach unten. "Das hab ich damals nicht begriffen", sagt Martina. "Aber von da an wollte ich mehr wissen über den Tod und das ganze Drumherum."
Jetzt, mit 21, hat sie längst begriffen, "dass der Tod Teil des Lebens ist." Deswegen wolle sie den Tod so gut wie möglich aussehen lassen. Sie arbeite deshalb gern mit den Menschen selbst, also den Leichen. "Sie schön machen, damit die Hinterbliebenen in Würde Abschied nehmen können", sagt Martina. Das sei auch deshalb wichtig, damit der Tod begreifbarer werde. Ein bisschen wenigstens. Gerade für Menschen, die einen Angehörigen bei einem Unfall verloren haben oder vielleicht durch einen Herzinfarkt. Wo alles sehr schnell ging, und ein Mensch plötzlich nie mehr da sein soll.
Um sie schön herrichten zu können, muss der Bestatter zuvor eine Maßnahme ergreifen, die sich beim Fach Thanatopraxie nennt. Dabei wird das Blut des Verstorbenen durch eine Kanüle an der Hauptschlagader abgelassen und stattdessen Formaldehyd eingeflösst. Die Leichenstarre löst sich auf dadurch und auch die Todesflecken schwinden. Erst dann wird der Bestatter zu einem Visagisten des Toten. Kann den Verstorbenen waschen, ihn kämmen, schminken. "Aber nur, wenn sich die Person auch vorher geschminkt hat", sagt Martina. Denn das größte Kompliment für sie ist, wenn die Leute ihr nach der Aufbahrung sagen: "Noch einmal sah er genauso aus wie im Leben."
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