Unsaubere Sendung

Privatisierung In Frankreich rufen Gewerkschaften und Linksparteien zur Abstimmung gegen die Privatisierung der Post auf. Davon könnten die Kollegen in Deutschland viel lernen

Die Privatisierung von Staatsunternehmen geht in die letzte Runde. In Deutschland kündigten - nur Stunden nach ihrem Wahlsieg - Vertreter von Union und FDP an, den Börsengang der Bahn im Koalitionsvertrag festzuschreiben. In Frankreich soll die Post privatisiert werden. Doch im Gegensatz zur Bundesrepublik, regt sich im Nachbarland Protest gegen das Liberalisierungsvorhaben. Zum ersten Mal seit langer Zeit sind Gewerkschaften und Linksparteien vereint.
Anfang November will die französische Rechte ein Gesetz beschliessen, dass die Post in eine Aktiengesellschaft umwandeln soll. Eine Privatisierung sei das nicht, beteuert die konservative Wirtschaftsministerin Christine Lagarde (UMP). Das Kapital des Unternehmens müsse geöffnet werden, um auf die Freigabe der Postmärkte vorbereitet zu sein. Laut der EU-Postrichtlinie muss dies ab Januar 2011 geschehen. Um für den dann anstehenden Wettbewerb gerüstet zu sein, müssten die etwa 3 Milliarden Euro Schulden abgebaut und notwendige Investitionen durchgeführt werden. Als Anteilseigner seien aber nur öffentliche Institutionen vorgesehen wie z.B. die Staatsbank CDC.

Auch in der Postzentrale versichert man, es handle sich lediglich um eine „technische Modifikation“. Würde der Staat bei dem derzeitigen Rechtsstatus Kapital zuschießen, könnte es zu einer Klage der Europäischen Wettbewerbshüter wegen unerlaubter Staatshilfen kommen, befürchtet man. Zur Beruhigung der Angestellten verweist man auf Italien und Spanien, auch hier sei die Post in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden, und weiterhin zu 100 Prozent in staatlicher Hand.

In den Chefetagen der Post arbeitet man schon seit Jahren daran, die Post zu einem gewinnbringenden multinationalen Player, umzubauen. Postunternehmen in der halben Welt wurden aufgekauft, Filialen geschlossen, Stellen abgebaut. Allein seit Anfang des Jahres waren es 7.500. Schon jetzt sind nur noch die Hälfte der Mitarbeiter Beamte, die übrigen verdienen ein Drittel weniger.

Auf Frankreichs Straßen kommen Regierung und Postmanager mit ihrer Sprachpolitik jedoch nicht durch. Dass ihnen niemand glauben will, ist nicht wirklich überraschend. Schon bei France Télécom hatte der Staat behauptet, dass die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft keine Privatisierung nach sich ziehen werde, erinnert sich Olivier Besancenot, der berühmteste Postangestellte Frankreichs, Präsidentschaftskandidat und Sprecher des Nouveau Parti Anticapitaliste. Heute hält der Staat nur noch 26 Prozent der Anteile. Das Unternehmen steht seit Wochen massiv unter Druck: Permanente Umstrukturierung und Stellenabbau haben zu einer Selbstmordwelle geführt. In den vergangenen 20 Monaten haben sich 24 Mitarbeiter das Leben genommen, einige von ihnen in den Räumen des Unternehmens.
Auch als der staatliche Energieversorger EDF-GDF 2004 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, versicherte Nicolas Sarkozy (UMP) - damals Finanzminister - vor laufenden Kameras den aufgebrachten Arbeitern eines Kraftwerks: „Es wird keine Privatisierung geben. Das ist klar, einfach und sauber“. Die Privatisierung, in Form einer Fusion mit dem Energieunternehmen Suez erfolgte 2008, offiziell um eine feindliche Übernahme, durch den italienischen Enel-Konzern abzuwehren.

Die Post geht jeden an

Um die Umwandlung der Post doch noch zu verhindern, haben sich Gewerkschaften, Linksparteien und zahlreiche Initiativen zum Nationalen Komitee gegen die Privatisierung der Post zusammengeschlossen und die Bürger zu einer landesweiten Abstimmung aufgerufen. Diese begann am 27. September und endet am 3. Oktober. Doch juristisch bindend ist die Volksbefragung nicht. Ziel ist es daher, soviel Druck zu erzeugen, dass die Regierung den Protest nicht mehr ignorieren kann und ein formal gültiges Referendum abhalten muss. Den Demoskopen von CSA zufolge sind zwei Drittel der Franzosen gegen eine Privatisierung. Eine hohe Beteiligung zeichnet sich schon jetzt ab. Der Sprecher des Komitees Nicolas Galepides berichtet: „Regelmäßig bricht die Website zusammen, im Sekundentakt kommen Mails an“. Auch Razzy Hammadi, Sekretär für den öffentlichen Dienst des Parti Socialiste rechnet mit einer „historischen Beteiligung“. Ursprünglich wollte man eine Million Franzosen zur Abstimmung bewegen. Jetzt sei dies „der Startpunkt“. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten und Bürgermeister von Nantes Jean-Marc Ayrault bringt auf den Punkt, warum ein Ruck durchs Land geht: „Die Post ist ein Symbol, das alle Bürger angeht“. Es ist das erste Lebenszeichen der französischen Linken seit ihrer Selbstzertrümmerung bei den Präsidentschaftswahlen 2002.

Die konservative Regierung unter Präsident Sarkozy ist sich der Herausforderung bewusst, und will der Linken das Feld nicht kampflos überlassen. Sie wies ihre Präfekten an, die Volksbefragung in den Rathäusern zu unterbinden. Doch die Bürgermeister, unter ihnen auch Vertreter von Sarkozys UMP, wehren sich. Gerade in ländlichen Gegenden befürchtet man, dass weitere Filialen geschlossen werden könnten, weil sie unrentabel sind. Nun müssen die Gerichte entscheiden. Ob diese jedoch noch rechtzeitig urteilen, ist eher unwahrscheinlich.

Zukunftslabor

Deutschland

Mit Blick auf die Deutsche Post, haben die die Franzosen allen Grund zu kämpfen, bestätigt Cornelia Haas von Ver.di. Hier wird die Post längst an der Börse gehandelt. Seit der Privatisierung Mitte 1990er Jahre sind 120.000 Arbeitsplätze weggefallen. Die Arbeitsbedingungen haben sich dramatisch verschlechtert. Die Liberalisierung des Briefmarktes, der Cash Cow der Post, war auch deswegen ein Fehler, weil das Segment – wegen der stärkeren Nutzung von Emails und SMS – schrumpft. Vor diesem Hintergrund will Postchef Frank Appel die Arbeitszeit auf 40 Stunden erhöhen und eine bereits vereinbarte Lohnerhöhung um ein Jahr verschieben. Um die Arbeitnehmer gefügig zu machen, droht er damit, die Fremdvergabe bei der Briefzustellung auszuweiten. Ein Drohpotential, dass er der Privatisierung verdankt. Doch bei Ver.di gibt man sich kämpferisch. Führen die Verhandlungen zu keiner Einigung, ist man ab November für Streiks gerüstet.
Im Vergleich mit den französischen Kollegen mutet die Strategie von Ver.di aber defensiv an. Hierzulande steht die Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen im Vordergrund. Aber dies greift zu kurz, denn worum es auch geht, ist ein landesweit funktionierendes Postsystem. Zudem wurden solche Auseinandersetzungen in der Vergangenheit verloren. Die Strategie der Franzosen ist viel versprechender. In dem sie die Bürger zur Abstimmung aufrufen, verknüpfen sie Arbeitnehmerinteressen und Gemeinwohl. In Frankreich müssen die Gewerkschaften diesen Weg gehen, gerade weil sie strukturell schwach sind. Sie sind zersplittert, haben wenig Mitglieder und kaum Mitbestimmungsrechte. In Deutschland ruhen sich die Gewerkschaften gern auf ihrer vermeintlichen Stärke aus. Doch wie viel könnten sie – bei der Post, der Bahn und anderswo – gewinnen, würden sie das Mitbestimmungsrecht mit eine politisierenden Kampagne verknüpfen.

Der Ausgang der Auseinandersetzung wird übrigens nicht nur in Deutschland verfolgt. Postbeschäftigte aus ganz Europa blicken gebannt auf die Bundesrepublik, wo die Privatisierung der Post am weitesten fortgeschritten ist. Sie schauen in ihre eigene Zukunft.

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