GEGENKULTUR Repression ist kein Allheilmittel gegen rechts. In Brandenburg versucht seit zwei Jahren das Mobile Beratungsteam, zivile Projekte zu stärken
Die vergangenen Wochen waren von Feindbildpflege bestimmt - dem Streit um den NPD-Verbotsantrag und dem Zank um die Demonstration am 9. November. Es scheint fast, als hätte sich der »Aufstand der Anständigen« dabei schon erschöpft. Eine schnelle Entsorgung des Problems Rechtsextremismus aber gibt es nicht. Vor allem gilt es, zivilgesellschaftliche Initiativen in der Breite und vor Ort zu stärken. Ein Modell dafür könnte das Mobile Beratungsteam sein, das seit zwei Jahren in Brandenburg besteht, bisher aber nur in Sachsen-Anhalt Nachahmer gefunden hat.
Wenn ich Rechtsextreme ausgrenze, bin ich doch auch intolerant. Mach ich dann nicht das selbe, was ich ihnen vorwerfe?« Der Sozialarbeiter schaut unsicher in die Runde. Hier im Konferenzraum der BR
ferenzraum der BRÜCKE, einer alten Backsteinvilla im brandenburgischen Strausberg, trifft sich seit Jahresanfang regelmäßig der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus und Gewalt; neben mehreren Sozialarbeitern und einer Streetworkerin ein Pfarrer, der Vorsitzende eines Bürgervereins, eine SPD-Stadtverordnete, die Ausländerberaterin der Caritas und mehrere engagierte Schülerinnen.Das Wort aber hat Walter Müller, der Vorsitzende des Bürgervereins »Strausberger Vorstadt« im Plattenbaugebiet am Stadtrand, das sich zunehmend zu einer sozialen Problemzone entwickelt. Er erzählt gerade von einer öffentlichen Veranstaltung zum Thema »Situation der Ausländer im Wohngebiet«, die der Bürgerverein vor einigen Wochen organisiert hat. »Acht stramme Rechte mit Bomberjacke und Springerstiefeln« waren »einmarschiert« und hatten die Diskussion an sich gezogen. Und später habe sich dann noch jemand aus dem Publikum, ganz zivil gekleidet, als der Vorsitzende der neugegründeten NPD-Ortsvereins vorgestellt, erzählt Müller. Von der Situation völlig überrumpelt hatte der Bürgerverein die Rechten - wie alle anderen Gäste auch - freundlich begrüßt, sie agieren lassen und so gut es ging gegen ihre Parolen argumentiert. »In unterschiedlichem Maße platte Sprüche«, erinnert sich Müller. »Vielleicht sollten wir uns der argumentativen Auseinandersetzung mit der NPD stellen«, beendet er seine Ausführungen, die eine kontroverse Diskussion auslösen.Der Moderator der kleinen Runde, Kokoschko vom Mobilen Beratungsteam »Tolerantes Brandenburg« (MBT), warnt aber davor, der NPD ein Podium zu bieten und sie damit aufzuwerten. Andere plädieren gegen die Ausgrenzung. »Man kann nicht junge Menschen einfach so aufgeben«, wirft ein Sozialarbeiter in die Runde.Örtliche Initiativen stärkenFür Kokoschko ist dieser Nachmittag ein ganz normaler Arbeitstag. Seit fast zwei Jahren gehört er zu dem von der Stolpe-Regierung finanzierten Projekt, das lokale Handlungskonzepte vor allem gegen rechte Jugendkultur entwickeln und unterstützen soll. Vierzehn Fachleute in fünf Regionalteams beraten Kommunalverwaltungen, Politiker, Sportvereine, Freiwillige Feuerwehren oder spontane Arbeitskreise gegen rechts wie in Strausberg bei ihrem im Umgang mit der rechten Szene und der Entwicklung einer demokratischen Gegenöffentlichkeit. Da das Team landesweit aktiv ist, kennt es Vernetzungen besser und kann häufig erkennen, ob stadtbekannte Rechte zur organisierten Szene gehören, mit ihr zusammenarbeiten oder bloße Mitläufer sind. Die Berater unterstützen etwa Sozialarbeiter, rechte Musik, szenentypische Kleidung und Zeichensprache überhaupt zu erkennen, und ermutigen sie, in ihrer Kommune professionell eine Gegenöffentlichkeit zu mobilisieren. Sie selbst bleiben als Akteure im Hintergrund, moderieren allenfalls Runde Tische. Die Initiative, so ein Grundsatz des MBT, muss bei den Akteuren vor Ort verbleiben.Dem Arbeitskreis in Strausberg erläutert Kokoschko, ein studierter Soziologe, gerade sein »Zwiebelschema«, das er mit seinen Kollegen entwickelt hat. Die rechten Strukturen in einer Kommune gruppierten sich wie Häute um eine Zwiebel: Um einen organisierten Kern hoch motivierter und oft gut ausgebildeter rechter Führungskader, die oft gar nicht als solche erkennbar seien, scharten sich organisierte Rechte: Kameradschaften, politische Parteien, örtliche Vereine - Leute, die aus innerer Überzeugung heraus und oft professionell rechtes Milieu an sich binden und strategisch Jugendkulturen prägen würden. Die nächste Schale nennt Kokoschko die »rechte Subkultur«. Das sind diejenigen, die in einer Ortschaft öffentlich als Rechte wahrgenommen werden: szenetypisch gekleidete Jugendliche, die hochgradig gewaltbereit, aber politisch oft orientierungslos seien. Darum scharen sich Mitläufer, bestehend aus Jugendlichen, die Teile der rechten Subkultur ausleben, andere Teile aber ablehnen und sich politisch kaum interessieren würden. Sie bildeten den Übergang zwischen der rechten und der »normalen« Jugendkultur. »Unsere Aufgabe muss sein, die Zwiebel zu schälen«, plädiert Kokoschko. »Mit den organisierten Strukturen selbst politisch oder pädagogisch zu arbeiten, macht hingegen keinen Sinn, denn die handeln aus innerer Überzeugung heraus.« Er ermutigt die Leute vom Arbeitskreis zu analytischer Arbeit: Zu welchen Schalen der Zwiebel gehören welche stadtbekannten Rechte? Erst so eine Sozialraumanalyse, das zeigen die Erfahrungen aus anderen Brandenburger Orten, kann Grundlage für eine Gegenstrategie sein.Es braucht langen AtemDas Mobile Beratungsteam sieht sich als eine sinnvolle zivilgesellschaftliche Ergänzung zur Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Es versteht Rechtsextremismus vor allem als kulturelle Erscheinung und nicht allein als politische Herrschaftsideologie, eine Einsicht, die sich in Ostdeutschland, wo das Geschichtsbild der DDR noch manche Anhänger hat, erst langsam durchsetzt. Kultur aber lässt sich nicht verbieten. Deshalb gilt es, Strukturen einer Gegenöffentlichkeit und der Zivilgesellschaft zu stärken, um der rechten Kultur ernsthaft etwas entgegen stellen zu können. Dafür ist ein langer Atem notwendig, schnelle Erfolge werden nur selten sichtbar.Vielleicht deshalb gehört das Konzept »Tolerantes Brandenburg« auch nicht zu den Lieblingskindern von Brandenburgs CDU-Innenminister Jörg Schönbohm, der auch die Demonstration am 9. November als »Kerzenprozession« verspottete. Dennoch trägt die CDU-Fraktion in Potsdam das Konzept mit. »Wir haben mehr Geld für die polizeiliche Präventionsarbeit gefordert, nicht aber dafür plädiert, dieses Geld bei zivilgesellschaftlichen Projekten gegen rechts abzuziehen«, erklärt der innenpolitische Sprecher Sven Petke.Das wäre wohl auch falsch. Gibt es in einem Ort nur einen einzigen Jugendclub, so die Erfahrung der Berater, dann wird dieser Club in vielen Fällen rasch von rechten Jugendlichen dominiert. Der soziale Druck unter Teenagern, sich den Kopf zu scheren, Springerstiefel und Bomberjacke zu tragen, ist enorm und oft gewalttätig. Rechte Parolen folgen schnell. Die Jugendlichen, die da nicht mitmachen wollen, zu unterstützen, sie aus der Schmuddelecke herausholen, das ist eine der Aufgaben des MBT.Nicht immer können die Berater so professionell agieren wie Kokoschko heute in Strausberg, dem ein fest etablierter Arbeitskreis als Partner zur Seite steht. Kokoschkos Aufgabe besteht hier vor allem im Moderieren, in fachlichen Anstößen und der Vermittlung von Referenten. Das die Initiative austrocknet, ist hier nicht zu befürchten - anders als andernorts in Brandenburg.Das Problem: UnprofessionalitätDort muss das MBT sich auch oftmals Kommunalpolitikern entgegenstellen, die den guten Ruf ihres Ortes mehr fürchten, als die rechte Szene, und alles daran setzen, das Problem herunterzuspielen. Doch ohne Einbeziehung der kommunal Verantwortlichen geht es auch nicht. »Einen Bürgermeister, der die rechte Kultur in seinem Ort herunterspielt, an den Pranger zu stellen, wie die Medien es tun, wäre für uns in der Regel kontraproduktiv, weil wir eine Gegenöffentlichkeit ohne die kommunal Verantwortlichen nur schwer hinbekommen«, sagt Kokoschko.Vor einem zweiten Problem stehen die Berater, wenn ihre Partner ABM-Kräfte sind, die von den Kommunen als Sozialarbeiter eingesetzt werden - meist schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose ohne jede pädagogische Qualifikation. Mit der Arbeit sind sie völlig überfordert. Kokoschko: »Ein großer Teil unserer Arbeit geht dafür drauf, die Jugendämter davon zu überzeugen, Geld für professionelle Kräfte auszugeben.«In der Strausberger Runde ist man inzwischen beim Thema Bahnhofsplatz, der in den vergangenen Wochen immer mehr zu einem Treffpunkt rechter Jugendlicher geworden ist. Im Kreis geht die ratlose Angst um, bald eine »national befreite Zone« im Ort zu haben. Kokoschko fragt: »Gibt es irgendwelche Schaukästen in Bahnhofsnähe?« Ja, die Stadtverwaltung habe einen, und die Bahnhofspolizei auch. Der Beschluss, hier für potenzielle Opfer Plakate mit Verhaltenshinweisen und Kontaktadressen von Hilfsgruppen in der Stadt anzubringen, und das in sechs Sprachen, ist eine erste Gegenaktion. Den BGS will Kokoschko selbst um die Zustimmung bitten. Mit der Stadtverwaltung soll die Streetworkerin sprechen.
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