Hinter der Türe zum Saal 145 des Berliner Kammergerichts wird in den kommenden Monaten ein Mammutprozess stattfinden. Über 70 Zeugen und mehrere Sachverständige hat die Bundesanwaltschaft benannt. Hunderte Seiten dick sind die Prozessakten in der "Strafsache R. und andere". Es ist ein Stück Justizgeschichte, denn zum ersten Mal hat eine Anklagevertretung gewagt, eine Musikband aus der Neonaziszene wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" anzuklagen. Noch vor Monaten ließ das Kammergericht diesen Anklagepunkt nicht zu. Aber der Bundesgerichtshof verpflichtete das Gericht dazu, ein erster Erfolg für den Bundesanwalt Wolfgang Siegmund. Zudem klagt er die drei "Musiker" wegen "Volksverhetzung, Verherrlichung des Nationalsozialismus, Aufstachelung zu Rassenhass und Mord" an. Der Name der Band: "Landser".
Die rechte Gruppe, so formulierte die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift, ginge es bei ihrer Musik nicht so sehr um den Verkauf ihrer CDs. Die Gruppe habe vor allem ein Ziel verfolgt: massenhaft rechtsextreme Ideologie an jugendliche Konsumenten zu bringen, ein "Klima der Gewaltbereitschaft" bei den Zuhörern zu erzeugen. In den Liedern werde zu Brandstiftung und Mord ermuntert, zu Gewalt aufgerufen gegen Ausländer, Juden und Politiker. Öffentliche Auftritte waren nicht die Domäne der Band. Sie liebten laut Anklage die Konspiration. Die Männer trafen sich an geheimen Orten in Brandenburg zu Proben.
Die Kulisse im Gerichtssaal: Dort sitzen die "Fans" der Angeklagten Michael R., Christian W., André M. Sie sind die Mitglieder der rechten Band. Seit Wochen bevölkern Skins die Zuschauerbänke im Saal, fläzen sich rein, grinsen arrogant, abweisend. Einmal liest der Sachverständige die Liedtitel von "Landser" vor: "Kanake verrecke", "Schlagt die Kommunisten tot", "Das Asylheim brennt". Die Skins im Saal lachen.
Michael R. (38), glattrasiert mit angegrautem Zopf, ist der Hauptangeklagte und nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft Manager, Texter und Sänger. Als Kind hätten ihn seine Eltern in den Geigenunterricht geschickt. Er trägt ein langärmliges Fleischerhemd, das seine Tätowierungen an den Armen verbirgt. Michael spielt den Lässigen. Drei Jahre lang übte er mit der Geige, bis die Eltern diese "Quälerei für alle Beteiligten" aufgegeben hätten, sagt er.
Christian W. (26), mit rasiertem Gesicht und Schädel, ist Schlagzeuger und stolz auf sein musikalisches Können. Sein Talent erbte er von seinem Vater, einem Musiker aus Potsdam. Christian beherrscht mehrere Instrumente. Die Anklagevertretung bezeichnet ihn als "musikalisches Multitalent". Und das fühlt sich geschmeichelt. Neben ihm sitzt André M. (35), mit kahlgeschorenem Kopf, er ist Bassist. Als Kind besucht er eine Musikschule. Vor dem Richter gibt er sich bieder und erzählt von sich als er klein war. Der Chorunterricht kam nicht zustande, weil seine Eltern ihn nicht regelmäßig in die Musikschule bringen, sagt er. Bisher haben sich die Angeklagten vor Gericht nur zu ihrer Biographie geäußert, nicht zu den Tatvorwürfen.
Fünf CDs mit Titeln wie "Republik der Strolche", "Rock gegen oben" und "Ran an den Feind" produzierte die Band seit 1993. Der Verfassungsschutz bescheinigt "Landser", wegen ihres "vergleichsweise hohen musikalischen Könnens" und ihrer aggressiven Texte die bekannteste rechte Musikband zu sein. Auf 100 000 schätzen Kenner die Zahl der verkauften CDs, obwohl diese Musik auf dem Index steht. Verkauft werden die Tonträger in Jugendclubs, auf Schulhöfen oder Wochenmärkten.
"Ich habe alle Stationen einer DDR-Biographie durchlaufen," sagt André M. Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Berufsschule. Ein normales Leben. Wie das der Mitangeklagten. Die Eltern der drei, engagierten sich in der DDR beruflich stark, hatten als Lehrerin, Schuldirektorin, Archivleiter, Ingenieur, Musiker gearbeitet. Alle drei wuchsen ab dem 10. Lebensjahr nur noch bei einem Elternteil auf. André und Christian erlernten Handwerksberufe. Michael brach seine Schriftsetzerlehre ab. Nach der Wende wird es nicht besser für sie. Aber da ist die Idee, eine Band zu gründen, auf Gigs zu spielen, CDs herzustellen, hart zu sein, brutal. Das verkauft sich.
Am Vertrieb der CDs sollen nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft mindestens zwei Spitzel des Verfassungsschutzes mitgewirkt haben. Die Tätigkeit der Band war den Ermittlern also bekannt. Die Scheiben stehen auf dem Index. Sie in der Öffentlichkeit zu hören, ist strafbar. Dennoch bleiben die Bandmitglieder jahrelang unbehelligt. Glaubt man einem ehemaligen Mitglied, dann wurde die Musikproduktion 1992/93 sogar staatlich gefördert: Damals sollen sie sich in einem staatlichen Jugendclub in Berlin-Lichtenberg zu Proben getroffen haben.
Die Ignoranz der Ermittler bis weit in die 90er Jahre hat System. Der Rechtsextremismus existiert für Politik, Ermittlungsbehörden und weite Teile der Öffentlichkeit damals nur in Form von konkreten Straftaten. So wie in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen oder Hoyerswerda. Im Fokus der Ermittler standen einzelne, abgeschlossene Ereignisse, ein erkennbarer Täterkreis. Die dahinter stehende Jugendkultur interessiert nicht. Dabei sozialisiert sie die Rechtsextremisten, schafft Normen und Werte, sorgt für den Zusammenhalt und setzt Hemmschwellen für Gewalt herunter. Kein Wunder, in Ostdeutschland sind rechtsextreme Parteien nicht präsent, bis 1998 die DVU in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzieht. Musik gehört neben Kleiderordnung, Frisur und Sozialverhalten zu den bestimmenden Momenten der rechten Jugendkultur. Über die Szenemusik finden viele Jugendliche erst den Einstieg in die Subkultur. Die Musik sorgt in ostdeutschen Jugendclubs, die die Rechten dominieren, für ein "Gemeinschaftsgefühl". Die Songs der "Landser" rufen aber auch zur Gewalt auf.
Doch es dauert bis 1999, bis sich die Ermittler der Bundesanwaltschaft für die Produzenten der "Landser"-Musik interessieren. Damals schlagen in Eggesin (Mecklenburg/Vorpommern) fünf Jugendliche zwei Vietnamesen fast tot. Während sie auf ihre Opfer einschlagen, grölen die Täter eigenen Aussagen zufolge das "Landser"-Lied "Fidschi, Fidschi gute Reise". Später suchen die Ermittler nach Zusammenhängen. Sie finden Akten, in denen Richter auf die fatale Wirkung der Landser-Musik hinweisen.
Den Algerier Omar Ben Noui im brandenburgischen Guben und den Mosambikaner Alberto Adriano im sachsen-anhaltinischen Dessau prügeln Rechte zu Tode. Vorher bringen sie sich mit "Landser" in Stimmung. In Berlin, Rostock oder Erfurt fühlen sich Neonazis zu Brandanschlägen ermuntert, nachdem sie gesoffen und "Landser"-Musik gehört hatten. Der Einfluss der Gewalt-Songs kann nicht überschätzt werden. Diese Akten werden in den Berliner Prozess eingeführt.
Neben Zeugenaussagen stehen dem Gericht auch andere Beweismittel zur Verfügung: Monatelang nämlich wurden die Telefone der Bandmitglieder abgehört. Und nach ihrer Festnahme im Oktober 2001 durchsuchte die Polizei 22 Häuser in Berlin und Brandenburg und fand weitere Unterlagen, die das Wirken der Band belegen. Im Höchstfalle erwarten die Männer bis zu sieben Jahre Gefängnis. Die Ermittler glauben, damit würde der rechten Jugendkultur ein herber Schlag versetzt.
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