Mit ihren langen dunklen Haaren, den pechschwarzen großen Augen und dem dunklen Teint ist Anna eine attraktive Erscheinung. Die 15-jährige weiß, dass sie Chancen bei Jungen hat. Noch heute erzählt ihre Mutter amüsiert, wie Anna als Dreijährige vor dem Spiegel saß und mehr zu sich selbst sagte: »Ich bin ein schönes Kind.« Sie hatte nur nachgesprochen, was jede Verkäuferin oder Kindergärtnerin zu ihr sagte. Der Spiegel stand in einer schäbigen Einzimmerwohnung, die die alleinerziehende Mutter mit ihrer schönen Tochter bewohnte. Inzwischen gehören ein Mann und ein jüngerer Bruder zur Familie.
Ihren leiblichen Vater kennt Anna nur von Fotos. Als sie elf war, hat sie die wenigen Bilder von ihm aus dem Album der Mutte
der Mutter herausgerissen und in ihr eigenes geklebt. Anna war zwei, als ihr Vater die DDR verlassen musste. Ihre Mutter erzählt, sie hätten alle drei geweint. Erinnern kann sich Anna nicht mehr daran. Manchmal kommt ein Brief von Annas Vater aus Laos.Maxie ist 16 und lebt immer schon mit ihrer Mutter allein. Maxies Vater hat die DDR verlassen müssen, noch bevor die Tochter geboren wurde. Er hat ein paar Wochen später in Laos die Frau geheiratet, die ihm bereits vor dem Studium in der DDR versprochen worden war. Kontakte zu Maxie hat er nie gesucht. Das Leben von Maxies Mutter verlief weniger planmäßig. Geheiratet hat sie nie, und Beziehungen mit Männern waren in ihrem Leben nur von kurzer Dauer. Die Tochter, mit der sie allein lebt, ist ihre wichtigste Bezugsperson.Nach der Wende flog Maxies Mutter in die laotische Hauptstadt Vientiane, den Vater zu suchen. Sie wollte kein Geld, keine Nachzahlung der Alimente, nur seinen Namen in der Geburtsurkunde der Tochter. Sie sorgte sich um Maxies Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie bei der Bewerbung angeben müsste: »Vater unbekannt.« Die Arzthelferin flog allein, weil für die Tochter das Fahrgeld nicht reichte. Die Familie ihres ehemaligen Freundes hat den ungebetenen Gast abgewiesen.Maxie sieht man den asiatischen Vater nicht an. Als Laotin fühlt Maxie sich erst recht nicht. Sie kennt keine Laoten. Wenn die Mutter laotisch kocht, schmeckt es ihr.Keine Namen und keine Wohnorte. Das waren die Bedingungen, die die Frauen und Teenager an ein Interview stellten. Annas Mutter hat mit diesem Kapitel aus ihrem Leben abgeschlossen und möchte - auch des neuen Mannes wegen - nicht mehr damit konfrontiert werden. Sie ist ihrem jetzigen Mann dankbar, dass er sie aus einer ausweglosen Schuldenfalle herausgeholt hat.Maxies Mutter hat als alleinerziehende Arzt- helferin zu tun, ihren Alltag zu bewältigen. »Vielleicht reden wir lieber darüber, was die Gesundheitsreformen für Arzthelferinnen bedeuten. Das Thema bewegt mich heute stärker«, sagt sie. Eine öffentliche Diskussion über Laoten in der DDR kann sie sich nicht an den Hals ziehen.Annas Mutter Ines denkt aus vielerlei Gründen nur mit Schrecken an die Zeit ihrer Schwangerschaft: Bevor Anna geboren wurde, hatte sie keine laotische Studentenfete ausgelassen. Sie hatte autodidaktisch ein paar Worte laotisch gelernt, Lieder auf der Gitarre begleitet und bei Volkstänzen die Hände wie eine Laotin weit aufgedreht. Zum laotischen Neujahrsfest, dem Pimai, das im April begangen wird, schmückte man sich gegenseitig die Handgelenke mit weißen Fäden, um sich Glück zu wünschen. Ein wenig hatte die kleine, schlanke Frau sich wie eine Laotin gefühlt, wenn sie mit den Fäden um das Handgelenk in der Fachschule erschien. Wie ein Zauber kam der Studentin ihr Eintauchen in eine andere Kultur vor.Mit der Schwangerschaft war der Zauber vorbei. Ihren Bauch musste Ines vor den Laoten verbergen, später Annas Vater geheimhalten. Er hat sich während der zwei Jahre, die er nach Annas Geburt noch in der DDR studierte, nicht sonderlich um die Tochter gekümmert. Unmöglich, wenn ihn ein Landsmann gesehen hätte, wie er den Kinderwagen schob.Zu anderen Frauen in ähnlichen Situationen pflegte Ines kaum noch eine freundschaftliche Beziehung. Traf sie eine in der Straßenbahn, nickte sie ihr freundlich zu. Das war alles. Als Ines vor zwei Jahren in einem Fernzug zufällig eine Frau wiedertraf, die sie von den laotischen Studentenfeiern her kannte, schwatzten sie miteinander, als wären sie einst die besten Freundinnen gewesen. »Warum haben wir damals nie so vertraut miteinander gesprochen?« fragte die alte Bekannte irgendwann. Jede wusste damals, dass sie etwas Verbotenes tat. Darüber wurde nicht gesprochen. Weniger, weil man in der anderen eine Stasimitarbeiterin vermutete. Was konnte einem selbst denn passieren? Viel größer war die Gefahr, dass über die anderen laotische Funktionäre oder ihre Spitzel mehr als nötig über die Beziehung erfuhren.Hinzu kamen bald wirtschaftliche Probleme für die Alleinerziehende. Ines bekam nicht wie andere Frauen einen Ehekredit oder Alimente. Wenn Anna krank war, wurde das Gehalt reduziert. Sozialhilfe wurde in der DDR nur auf Darlehensbasis gewährt. Da war eine Frau rasch hochverschuldet. »Ich habe die Fachbücher ihres Vaters verkaufen müssen, die ich ihm irgendwann hatte nachschicken wollen.« Erst als sie 1989 wieder heiratete, konnte sie den Schuldenberg langsam abbauen. Dann bekam sie kurze Zeit noch vom Jugendamt einen Unterhalt für ihre Tochter gewährt.Alexander wurde später geboren als Anna und Maxie. Offensichtlich waren damals, 1988, die Regeln gelockert worden. Seine Mutter Katrin war gerade 19 geworden, als der heute Elfjährige Junge zur Welt kam. Unbekümmerter als ältere Mütter hat sie den Vater bei der Beurkundung nicht verheimlicht. Katrin beantragte, den laotischen Vater heiraten zu dürfen. Leben wollten sie in Laos. Sie hatte keine Alternative: Ihr Geliebter wurde vom laotischen Staat nicht für die DDR »freigegeben«.Katrin stand in einer Zwickmühle: Um heiraten zu dürfen, musste sie nach DDR-Recht zuerst einen Ausreiseantrag stellen, der von den DDR-Behörden genehmigt werden musste. Wären Katrin und ihr Partner auf dem Papier eine Familie geworden, hätte die DDR ihr wegen der Unterschrift unter völkerrechtliche Vereinbarungen die Ausreise erlauben müssen. Um das zu verhindern, sahen die Regeln der DDR den umgekehrten Weg vor. Zu den Formalitäten des Ausreiseantrages gehörte eine Erklärung von Katrins Eltern, auf alle Rechte und Pflichten gegenüber der Tochter zu verzichten. Die aber haben die Eltern der Abiturientin nicht unterschrieben. Katrins Ausreiseantrag wurde wegen »unvollständiger Unterlagen« nicht angenommen. Alexanders Vater durfte sein Studium in der DDR beenden und musste anschließend nach Laos zurückkehren.Katrin zog sich in dieser Zeit völlig in sich zurück. Die Abiturientin bewarb sich aus innerem Protest nicht um einen Studienplatz und verdiente ihren Lebensunterhalt notdürftig mit Handarbeiten, die sie verkaufte. Von ihren Eltern wurde der Sohn abgelehnt.Als ein paar Monate später die Berliner Mauer fiel, war es für ein gemeinsames Glück zu spät. Katrins ehemaliger Partner war schon mit einer anderen Frau verheiratet. Katrin gründete zwei Jahre später eine neue Familie und hat heute zwei kleinere Kinder.Ihr gelang es, zur Familie von Alexanders Vater eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen. Mehrmals reiste Katrin, die an der Humboldt-Universität Südostasienwissenschaften studierte und heute als Dolmetscherin für Laotisch arbeitet, nach Vientiane. Vor drei Jahren verunglückte Alexanders Vater bei einem Verkehrsunfall. Als ältester Sohn erbte Alexander ein Stück Land mit einer verfallenen Hütte darauf. Wenn Katrin genug Geld hat, will sie sich ein Ferienhaus in Laos ausbauen.Alexander gefällt es in Laos nicht nur, weil er als ältester Enkel und damit als der Stammhalter seiner laotischen Großeltern besonders beachtet wird. »Dort gibt es mehr Platz zum Spielen. Da stören keine Autos. Es ist auch schön, dass dort immer Sommer ist.«
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.