SEBNITZ Auf "Rufmord" folgt "Image-Schaden". Das sächsische Städtchen soll deshalb 10 Millionen Mark bekommen. Das brandenburgische Rheinsberg leistet sich lieber eine Jugendpflegerin
Schlimm" sei es, dass die Frau sich weigere, ihr Mandat im Stadtrat niederzulegen, sagt ein Stadtverordneter der CDU. "Entziehen" müsse man es ihr dann eben, tönt es aus dem Saal. Dass es dafür kein Gesetz gibt, scheint niemanden zu interessieren.
Bürgerversammlung in der Kleinstadt Sebnitz in der Sächsischen Schweiz, die im vergangenen November Schlagzeilen gemacht hatte. Der kleine Joseph Abdulla sei vor den Augen einer ganzen Stadt im Schwimmbad aus fremdenfeindlichen Motiven ermordet worden, hatte die Bild-Zeitung geschrieben. 34 Millionen Mark haben die Ratsherren als Wiedergutmachung für den "Rufmord" an der Stadt gefordert. 10 Millionen hat Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) den 500 Leuten im Saal zugesagt.
Renate Kantelberg-Abdulla, di
lberg-Abdulla, die Mutter des toten Jungen, die mit ihren eigenwilligen Ermittlungen den Medien Stoff geliefert hatte, soll ihr Mandat im Stadtrat niederlegen. Das fordern nicht nur die aufgeregten Leute in der übervollen Sporthalle. Das haben zuvor bereits mehrere Sebnitzer Stadtverordnete von der SPD-Frau verlangt. Sie, die noch immer an der Version festhält, ihr Sohn sei im Schwimmbad nicht tödlich verunglückt sondern umgebracht worden, hätte der Stadt Schaden zugefügt, hieß es zur Begründung. "Sie hat hier nichts zu suchen", sagt ein CDU-Stadtverordneter in den Saal hinein.Von Johannes Müller, der mit einem Ticket der rechtsextremen NPD im Stadtrat sitzt, fordert niemand den Mandatsverzicht. Warum eigentlich nicht? Kommt niemand auf die Idee, dass ein NPD-Lokalpolitiker und sein Rückhalt in der Bevölkerung dem Ruf einer Stadt schaden könnte? Müllers Mandat ist in der Kleinstadt eine solche Selbstverständlichkeit, dass ein FDP- und ein DSU-Verordneter für Monate eine gemeinsame Fraktion mit ihm gebildet hatten. Erst als im letzten Sommer die Diskussion über ein NPD-Verbot auch nach Sebnitz schwappte, wurde die Fraktionsgemeinschaft in aller Stille aufgekündigt."Unvermittelt und ohne Vorankündigung brach es über uns herein", sagt gerade Bürgermeister Mike Ruckh (CDU). Er meint das, was man hier "kollektiven Rufmord" nennt. Wer nicht aus Sebnitz stammt, dem kommt die Atmosphäre in der Halle irrational und peinlich vor. Aber Ortsfremde müssen oder können das wohl auch gar nicht verstehen. Man muss zur Gemeinschaft gehören, um es fühlen zu können. Die Familie Kantelberg-Abdulla gehört nicht dazu. "Die glauben, die könnten sich hier benehmen wie im Irak, wo man Steine werfen kann," sagt gerade ein älterer Herr. Wer gegen Normen dieser Gemeinschaft verstößt, der gehört hier ausgestoßen. Die Eltern des sechsjährigen Joseph werden Sebnitz verlassen, oft schon hatten sie es angekündigt. "Wir gehen nicht freiwillig", sagt die Mutter. Die andauernden anonymen Drohungen und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten würden die Familie dazu zwingen. Nach dem Boykottaufruf gegen ihre Apotheke sei der Umsatz um 90 Prozent zurückgegangen.In der Sebnitzer Sporthalle spricht darüber niemand. Auch nicht über eine Haftentschädigung für die drei Jugendlichen, die des Mordes verdächtigt wurden. Stattdessen fordert die Stadtöffentlichkeit eine Schulstation, einen hauptamtlichen Leiter für das Jugendblasorchester und eine Disco "für unsere Jugend". Den Tourismus will man fördern, darin sind sich die Sebnitzer einig. Vielleicht machen sie die Rechnung aber ohne den Wirt. Denn fraglich bleibt, ob sich Touristen dort willkommen fühlen, in dieser eingeschworenen Gemeinschaft, wo man Störenfriede ausstößt?In Rheinsberg, einer Stadt in Nordbrandenburg, die mit 5.300 Einwohnern gut halb so groß ist wie Sebnitz, ist man mit fremdenfeindlichen Vorwürfen anders umgegangen. Es liegt schon fast drei Jahre zurück, als der Ruf der Stadt, die dank Tucholsky, Schinkel, Altem Fritzen und einer Vielzahl Badeseen gut vom Fremdenverkehr leben kann, ruiniert wurde. Schüler aus Berlin-Kreuzberg waren während einer Klassenfahrt von einem Jugendlichen der Stadt ausländerfeindlich angepöbelt und im Bus hin- und hergeschubst worden. Nur wenige Wochen später wurde der Leiter der Tucholsky-Gedenkstätte zusammengeschlagen.Schlagzeilen wegen rechter Gewalt hatten Rheinsberg bundesweit an den Pranger gestellt. Damals hatte sich Bürgermeister Manfred Richter (SPD) dazu entschlossen, das Problem öffentlich zu thematisieren, um eine Gegenöffentlichkeit zu mobilisieren. Kurzfristig hatte die öffentliche Diskussion zu Rückgängen im Tourismus geführt. "Ganze Busunternehmen aus Süddeutschland haben ihre Touren zu uns abgesagt", erinnert er sich.Manfred Richter stellte sich Diskussionen in der Lokalpresse und an den Schulen und unterstützte die Bemühungen der Tucholsky-Gedenkstätte, über den Nationalsozialismus aufzuklären. "Ich hätte auch den Kopf in den Sand stecken und fragen können, ob eine Schulklasse mit vierzig Schülern und vier erwachsenen Begleitern sich nicht selbst gegen einen einzigen Störenfried wehren kann." Doch dieser erste fremdenfeindliche Vorfall in Rheinsberg sei "schlimm genug" gewesen. Der Bürgermeister hatte zu einer Demo gegen rechts aufgerufen, der ersten Demo in der Stadt nach der Wende. "Als so viele Leute in unserer Stadt Gesicht zeigten, fühlten sich auch Jugendliche ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen mit der rechten Jugendkultur anzusprechen, statt sie wie zuvor zu deckeln." Den Kreuzberger Schülern war als Wiedergutmachung eine Ersatzfahrt angeboten worden, die sie jedoch nicht annahmen.Langfristig, sagt der Bürgermeister zurückblickend, sei die Strategie erfolgreich gewesen. "Als im vergangenen November der Friedhof mit Hakenkreuzen geschändet wurde, hatten wir eine wehrhafte Öffentlichkeit, die sich spontan zu einer kleinen Demo traf." Außerdem würden jetzt auch wieder die Busgesellschaften kommen."Ein mutiger Bürgermeister" sei Manfred Richter, sagt Uta Pehl vom Mobilen Beratungsteam "Tolerantes Brandenburg". Gegen überparteiliche Widerstände der Stadtverordneten hat er durchgesetzt, dass die Stadt ab März eine Jugendpflegerin beschäftigt. Das ist keine Pflichtaufgabe der Kommune. "Die Stadtverordneten wollten nur einer Stelle auf dem zweiten Arbeitsmarkt zustimmen, das hätte die Stadtkasse nicht so viel Geld gekostet." Doch das Arbeitsamt hatte nur Nichtfachleute als Bewerber geschickt.Um sich eine ausgebildete Sozialpädagogin als Jugendpflegerin leisten zu können, hat Rheinsberg beim Land jedoch nicht auf ein Extrabudget gepocht, sondern zwei Stellen im Baubereich gestrichen. "Das hat dem Bürgermeister viel Überzeugungsarbeit abverlangt", sagt Uta Pehl. "Die Lage unter den Jugendlichen sei doch ruhig. Und mit einer Jugendpflegerin verschwinden weder die Schlaglöcher in der Straße, noch dient das der Tourismuswerbung", hätten die Stadtverordneten geklagt.Doch Rheinsberg habe gelernt, sagte Bürgermeister Richter. "Wir dürfen Jugend nicht als Randthema behandeln. Um sie in die Mitte zu rücken, brauchen wir Kontinuität." Das Dümmste sei, rechtes Denken und rechte Parteien in der Stadt als Normalität hinzunehmen, ergänzt er.
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