In der Schweiz gibt es keine Zensur, aber sie funktioniert«, meinte seinerzeit Kurt Tucholsky. Ob seine Worte auch für Deutschland unter der rot-grünen Bundesregierung gelten? Egal, Tucholsky wird gerne zitiert. Mal zur SPD: »Hier können Familien Kaffee kochen.« Mal zum Militär: »Soldaten sind Mörder«. Ob er da recht hat? Das haben Mitglieder der JungdemokratInnen/Junge Linke gar nicht erst gefragt: »Tucholsky hatte recht!« demonstrierten sie - schriftlich und mit Ausrufezeichen, auf aufgespannten Regenschirmen, zum Teil nackt. Letzteres vermutlich, um in die Abendnachrichten zu kommen, und das bei einer Gelegenheit, bei der eigentlich andere demonstrieren sollten: Beim öffentlichen Gelöbnis mit Bundeskanzler Schröder im Berliner Bendlerblock.
Das ist nun genau ein Jahr her und hat seinerzeit bundesweit für erheblichen Wirbel gesorgt. Die Demonstranten haben sich sicher nicht träumen lassen, dass sie mit ihrem »phantasievollen« und »pazifistisch motivierten Protest« Monate später noch einmal in die Presse kommen könnten. Doch auch das Bundesamt für Verfassungsschutz zeigte sich phantasievoll und sorgt für neue PR - die Demonstration gegen das öffentliche Gelöbnis hat im diesjährigen Verfassungsschutzbericht ihren Niederschlag gefunden: »Eines der Hauptagitationsfelder der JD/JL, der ›Antimilitarismus‹ wurde neu belebt«, »die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 um Graf Stauffenberg wurden als ›überzeugte Nationalsozialisten‹ diffamiert«, die »Abschaffung der Bundeswehr gefordert«, so die Verfassungsschützer zum Gelöbnis-Protest.
Wohl weil man so etwas, derart zusammenhanglos, auch nicht in einen Verfassungsschutzbericht schreiben kann, wurden dem parteiunabhängigen Jugendverband dann gleich zwei Seiten gewidmet. Der Verband habe sich »zu einem ständigen Partner von Linksextremisten« entwickelt, sei »nach eigener Einschätzung ›radikaldemokratisch‹«, »ideologisch nicht homogen«, »in ihm existierten nebeneinander marxistische, marxistisch-leninistische, ›anti-deutsche‹ bzw. ›antinationale‹, autonome und anarchistisch-libertäre Ansätze und (sic!) Strömungen des Linksextremismus«. Wer glaubt, bei so viel Pluralismus sei Schlagkraft fraglich, wird gleich im nächsten Satz enttäuscht: Gemeinsam sei allen die »sozialrevolutionär begründete Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung«.
Hätte man dem Berliner Politikprofessor Wolf-Dieter Narr, Sprecher des Komitees für Demokratie und Grundrechte, die Fundstelle dieser Zitate nicht gleich mitverraten, er hätte angenommen, eine böswillige satirische Zeitschrift habe die Zeilen formuliert. Denn: Was darf die Satire? Nach Tucholsky bekanntlich alles. Nicht aber das Bundesamt für Verfassungsschutz. Deshalb ist Wolf-Dieter Narr auch nicht der Einzige, der sich gewundert und direkt an Bundesinnenminister Otto Schily geschrieben hat. Protestiert haben auch die, die immer schreiben, wenn's um die Grundrechte geht, unter anderem die Humanistische Union, der Republikanische Anwältinnenverein, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz. Der Verfassungsrechtler Jürgen Seifert hat sich gleich die Mühe eines juristischen Kurzgutachtens gemacht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, früher Bundesjustizministerin (FDP), und auch ihr Partei freund Burkhard Hirsch, Bundestagsvizepräsident a. D. und derzeit Chefermittler in Sachen Aktenvernichtung, haben sich an Schily gewandt. Hirsch findet das, was er bisher gehört hat, »nicht nur dürftig, sondern erstaunlich«.
Das sind die »Anhaltspunkte«, die der Verfassungsschutz für seine Behauptungen liefert, in der Tat: Vorgehalten wird dem Jugendverband zum Beispiel, dass er die Überwindung kapitalistischer Produktionsverhältnisse anstrebe, um eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft zu erreichen. »Artikel 15 Grundgesetz« kontern die Bürgerrechtler. Da ist die Überführung in Gemeineigentum schließlich geregelt. Auch dass die Eigeneinschätzung, nämlich radikaldemokratisch zu sein, im Bericht hervorgehoben wird, stört die Humanistische Union: Eine Reihe von Mitgliedern der Bundesregierung - die Namen kenne jeder - hätten sich selbst früher oder heute als Radikaldemokraten bezeichnet, ohne sich deshalb Verfassungsfeind rufen zu lassen, schreibt die HU, wie immer subtil, an den Bundesinnenminister. Auch an den vom Verfassungsschutz beobachteten »Hauptaktionsfeldern« des Jugendverbandes kann keiner etwas verfassungsfeindlich finden: »Antifaschismus«, »Antimilitarismus«, »Antirassismus« und »staatliche Repression«.
Um das letzte »Hauptaktionsfeld« müssen sich JungdemokratInnen/Junge Linke jetzt in der Tat kümmern, nicht zum ersten Mal - zum letzten Mal 1994, als das Bundesjugendministerium unter Angela Merkel dem Verband die Förderung aus öffentlichen Mitteln entziehen wollte. Anlass waren verschiedene Veröffentlichungen in der Jungdemokraten-Zeitung tendenz, die sich vor allem gegen die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl richteten. Deren Inhalte fand das Ministerium »nicht nur tendenziös«, wie es witzig bemerkte, sondern geeignet, die verfassungsmäßige Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage zu stellen. Belegt wurde dieser Vorwurf auch mit folgender Passage: »Freiheit und Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit werden nicht durch extremistische Gewalttäter bedroht, sondern durch die gewählten Repräsentanten dieses Staates.« JungdemokratInnen/Junge Linke wehrten sich nach Kräften, nach zahlreichen öffentlichen Protesten begab sich das Merkel-Ministerium auf den Rückzug.
Die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ist für den linksliberalen Jugendverband nun ein harter Schlag. Schließlich ist es das erste Mal, dass sie dort als linksextremistisch eingestuft werden. Schon vor Drucklegung des Berichtes wandten sie sich direkt an Otto Schily und wiesen die Vorwürfe als »haltlos und ungedeckt« zurück, forderten die Streichung aus dem Bericht. Sie seien »engagierte Streiter für die Prinzipien des Grundgesetzes«: »1987 ging es um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Volkszählung), 1993 um das uneingeschränkte Menschenrecht auf Asyl, 1997/98 um die Unverletzlichkeit der Wohnung (Lauschangriff) und seit 1993 um das bis dahin verfassungsfeste Verbot von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.« Ob sich Schily gerade von derlei Engagement beeindrucken lässt? Der Bitte des Verbandes um eine Stellungnahme ist er bisher jedenfalls nicht nachgekommen. Der Brief - jetzt drei Monate alt - blieb unbeantwortet. Jungdemokraten lassen nun die Erfolgsaussichten einer Klage gegen die Beobachtung und Erwähnung im Verfassungsschutzbericht prüfen. »Wir können es nicht zulassen, daß unsere Positionen diffamiert und ausgegrenzt werden,« so die Organisation in einer Erklärung. Darüber hinaus fürchtet der Verband negative Konsequenzen für seine ausländischen Mitglieder. Für die könnte es Probleme bei einer Einbürgerung geben. Die setzt nämlich die Regelanfrage beim Verfassungsschutz voraus.
Marion Mück-Raab ist freie Journalistin und war dreizehn Jahre lang Mitglied der Jungdemokraten.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.