Yussufs Geschichte müsste Integrationspolitikern Freudentränen in die Augen treiben. Er hat ein Diplom als Umweltingenieur in der Tasche, spricht fließend Deutsch, hält sich penibel an Regeln und Gesetze. Ein Beispiel für gelungene Integration? Nicht ganz, denn Yussuf hat ein Problem. Er ist in Deutschland nicht erwünscht.
Yussuf hat sich in seiner alten Heimat Togo in der Demokratiebewegung engagiert. Im Jahr 1994 flieht er nach Deutschland, doch sein Asylantrag wird abgelehnt. Jahr um Jahr verlängert die Ausländerbehörde seinen Aufenthalt, „Kettenduldung“ heißt das im Amtsdeutsch. Trotz des faktischen Ausbildungsverbots macht er Abitur, studiert. In seiner Diplomarbeit forscht er nach neuen Methoden zur Biogaserzeugung. Im Jahr 2004 ist Schluss mit der Duldung, Yussuf soll endgültig zurück nach Togo. Seitdem lebt er in der Illegalität.
Yussuf sitzt in einer Kreuzberger Kneipe, wippt nervös auf der Stuhlkante. Sein massiger Körper mag nicht so recht in den Kaschmirpullover passen, an dessen fadenscheinigen Ellbogen das Hemd durchschimmert. Er spricht im Flüsterton, den Kopf tief zwischen den Schultern. Nicht aufzufallen ist Yussufs Lebensversicherung. „Die Angst, entdeckt zu werden, ist immer da“, sagt er. „In der U-Bahn, auf der Straße, hier in der Kneipe, ich habe immer alles im Blick.“ Doch da ist noch ein anderer Yussuf, einer, der gerne auch mal Polizisten nach dem Weg fragen und Freunde bei Behördengängen als Dolmetscher begleiten würde – wenn man ihn denn ließe. Einer, der nichts dagegen hätte, sein Bild auch in der Zeitung zu sehen – wenn es ihm nicht schaden würde.
Deutschland oder Togo – für Yussuf ist das keine Alternative. Eine echte Perspektive eröffnen ihm beide Länder nicht. Wäre es nicht das Beste, nach Togo zurückzugehen und neu anzufangen? „Ich kenne die Korruption dort, ich habe die Gewalt der Regierungstruppen am eigenen Leib erlebt. Selbst ohne Papiere und ohne richtige Arbeit ist das Leben hier tausendmal besser. Ich bin seit 15 Jahren hier. Deutschland ist meine Heimat“, sagt Yussuf. Also will er sich erst einmal weiter durchschlagen, als Umzugshelfer oder Tellerwäscher ein paar Euro verdienen und bei Freunden auf der Couch schlafen. Und in der Zeitung lesen, dass deutsche Firmen händeringend nach Ingenieuren suchen.
Gnade ohne Begründung
So sehr Yussuf ein Gottesurteil herbeisehnen mag, seine letzte Chance auf eine Aufenthaltsgenehmigung liegt in den Händen einer ausgesprochen irdischen Instanz – der Härtefallkommission. Sie erlaubt es den Bundesländern, von Abschiebung bedrohten Menschen ausnahmsweise ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.
„Ein Notfallventil“, so nennt Pater Martin Stark vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin die Kommission. Sein Büro ist klein und karg wie eine Mönchszelle. Ein Stehpult, ein Regal, ein kleiner Tisch für Besucher, an der Wand ein schweres Kreuz aus Messing. Neben Pater Stark sitzen noch sechs weitere Vertreter der Kirchen, Politik und Wohlfahrtseinrichtungen in der Berliner Kommission. Einmal im Monat beraten sie darüber, welche der 20 bis 30 Fälle sie zur endgültigen Entscheidung an den Innensenator weiterreichen. Der hebt oder senkt den Daumen ohne weitere Begründung – so sollen Präzedenzfälle verhindert werden.
Pater Stark findet die Berliner Regelung insgesamt gelungen. Er lobt die liberale Politik des Senats, die weniger formale Hürden auftürmt, als das in anderen Bundesländern der Fall ist. Selbst höhere Vorstrafen sind in Berlin kein Ausschlussgrund. Pater Stark sieht die Kommission ganz pragmatisch: „Mit der Härtefallregelung erkennt die Politik an, dass Gesetze nicht jedem Einzelfall gerecht werden können. Das kann man als Gnadenakt ansehen, andererseits ist es aber auch eine Notfallprüfung.“ Aber passen Gnadenakte zu einer modernen Demokratie? „Natürlich ist das in manchen Fällen eine Kapitulation“, räumt Stark ein, aber immerhin könne die Kommission dann noch eingreifen, wenn rechtlich eigentlich nichts mehr zu machen ist.
Für Yussuf sieht Pater Stark zumindest vor der Härtefallkommission gute Chancen. Ob dann allerdings der Innensenator zu seinen Gunsten entscheiden würde, ist fraglich. Selbst die Kommissionsmitglieder werden regelmäßig von den Urteilen überrascht. Immer wieder kommt es zu haarsträubenden Entscheidungen – wie jüngst im Fall einer Iranerin, die abgeschoben werden sollte, obwohl ihr wegen ihrer Homosexualität in der Heimat die Todesstrafe drohte.
Was ist die Härtefallkommission nun? Tatsächlich ein Notfallventil? Oder eine Beruhigungsveranstaltung nach dem Motto „Rette deinen Lieblingsausländer“? So formuliert es der Vertreter einer Wohlfahrtsorganisation, der nicht namentlich genannt werden möchte. Warum sperrt sich die Politik gegen ein modernes und transparentes Bleiberecht? Die aktuelle Lösung jedenfalls riecht verdächtig nach Willkür.
Regionale Unterschiede
Tatsächlich spielt es eine entscheidende Rolle, in welchem Bundesland sich ein Ausländer an die Kommission wendet. Amnesty International weist in einer Untersuchung auf die großen Unterschiede hin. Während in Berlin 38 Prozent der Anträge nicht stattgegeben wird, sind es in Nordrhein-Westfalen gerade einmal fünf Prozent. Die Differenzen sind das Ergebnis höchst individueller Landesregelungen und vage formulierter Entscheidungskriterien. Wohlfahrtsorganisationen fordern daher seit langem eindeutige Checklisten und Punktekataloge.
Doch selbst wenn es diese klaren Richtlinien irgendwann einmal geben sollte: Yussuf wird wohl nicht mehr von ihnen profitieren. Sein Schicksal liegt inzwischen in der Hand der Berliner Behörden.
Bei einer Fahrzeugkontrolle hat die Polizei ihn erwischt. „Ein Araber und ein Afrikaner zusammen im Auto, das war zu viel“, sagt Yussuf und lacht bitter. Er sitzt in seinem blauen Trainingsanzug im Besucherraum des Abschiebegefängnisses in Köpenick. Abgewetzter Linoleumboden, ein paar wackelige Tische und Stühle, an der Wand hängt ein Kitschgemälde – ein Segelschiff kämpft gegen die stürmische See. Falls der Raum in seiner Trostlosigkeit den Abschied aus Deutschland erleichtern soll, dann erfüllt er seinen Zweck. Yussuf rechnet fest mit der Abschiebung, sein Anwalt macht ihm wenig Hoffnung.
Als Härtefall würde er wahrscheinlich nur eingestuft, wenn er jetzt schnell Arbeit als Ingenieur findet. Aber wie soll das gehen? Zudem: Es ist ihm schon nicht geglückt, als er noch auf freiem Fuß war. Wer stellt schon einen Ingenieur ein, der keine Papiere besitzt? Beim Verhör wollte ein Polizist wissen, wer ihn in all den Jahren unterstützt hat. Wie es ihm gelungen ist, ohne Papiere ein Studium abzuschließen. „Ich habe geantwortet, dass Helmut Kohl doch auch die Namen der illegalen Spender für sich behält“, sagt Yussuf. Das könne man nicht vergleichen, entgegnete ihm der Polizeibeamte. Kohl sei schließlich Politiker.
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