Ein Schiller-Film ist das nicht – und gerade das macht ihn besonders. Denn Filme über Goethe, über Schiller oder anderes Bildungsgut widerstehen selten den Versuchungen, die gewisse Erzählschemata sirenenhaft auf Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten auszuüben scheinen. Die geliebten Schwestern ist kein Bilderbogen, der pflichtgetreu die Lebensstationen eines ehemals verehrten Dichters abschreitet. Und er feiert auch nicht die Erweckung eines jungen Genies. Dominik Graf macht, wie so oft, alles anders, auf überraschende und erstaunliche Weise.
Ein Schiller-Film also ist das nicht – obwohl er die Beziehung Schillers zu seiner späteren Frau und ihrer Schwester vom Jahr 1788 bis zum Tod des Dichters verfolgt. Aber schon so ist diese Dreiecksgeschichte falsch erzählt. Denn von Beginn an nimmt der Film die Perspektive der beiden jungen Frauen aus dem verarmten Adelshaus derer von Lengefeld ein. Mit der jüngeren Charlotte (Henriette Confurius) tritt der Zuschauer in die Weimarer Hofgesellschaft ein. Sie soll Frau von Stein (Maja Maranow) als Gesellschafterin beistehen, vor allem aber einen reichen Ehemann finden.
Durch Charlottes Augen sehen wir die Gesellschaften, die Frau von Stein gibt, um zu ertragen, dass sich Goethe nach Italien abgesetzt hat. Und durch Charlottes Briefe lernen wir zunächst Schwester Caroline (Hannah Herzsprung) kennen, die mit der ehelichen Verbindung zu dem trockenen Herrn von Beulwitz (Andreas Pietschmann) bereits ihr Soll erfüllt zu haben scheint – freilich um den Preis ihrer Lebenslust.
Als Schiller (Florian Stetter) dann nach Weimar kommt, als er die beiden Schwestern in Rudolstadt auf dem Sitz der Familie besucht – da beginnt die eigentliche Geschichte. Verschworen, weil die Mutter den bürgerlichen, armen Dichter als Ehekandidaten ablehnt, verzaubert vom Sommer, von der Saale und ihren Auen, betört von der Freiheit fern von Weimar und seiner Gesellschaft, verlieben sich die drei ineinander. Und sie beschließen, dieses Leben und Lieben zu dritt über diese Zeit hinaus festzuhalten. Wie sich das in das richtige Leben übersetzen lässt, was sich aus dem unerhörten Wagnis entwickelt, dem geht der Film nach; auf intime Weise, aber mit sicherem Blick für die unterschwellige Tragik, die eine solche Beziehung außerhalb der Konventionen nach sich zieht.
Hauptrolle für den Raum
Kaum ein anderer Autor und Regisseur hätte der Versuchung widerstanden, aus der Konstellation einen Film der Kategorie „Dichter und ihre Frauen“ zu machen. Aber Graf gibt gerade Schiller am wenigsten Profil in der Dreiecksliebe starker Charaktere. Es ist ja kein Schiller-Film. Die geliebten Schwestern gewinnt aus dem Leben des Dichters ein echtes Sujet, eines, das seine Berechtigung aus seiner Handlung bezieht und eine eigene dramatische Komplexität entfaltet. Entsprechend ist es auch nicht wichtig, dass diese Ménage-à-trois historisch zwar denkbar ist, von der biografischen Forschung aber eher als zweifelhaft eingeschätzt wird. Wie François Truffauts Jules et Jim entwickelt der Film seinen Sog auch ohne die geschichtlichen Bezüge. Die geliebten Schwestern ist ein Film von eigener Kraft; er hängt nicht am Tropf des auratischen Dichters.
Dennoch – und hier gelingt Graf etwas Seltenes – ist dem Film das Historische nicht bloße Kulisse. Wie kaum ein anderer Regisseur (zumal für das Fernsehen: Die geliebten Schwestern wird es auch als 190-Minuten-Zweiteiler geben) schafft Graf es von jeher, zu erzählen, dabei aber doch auch die Räume und Orte der Handlung ernst zu nehmen. Sie spielen regelmäßig eine Hauptrolle bei ihm, sei es West-Berlin in Im Angesicht des Verbrechens, sei es München in Tatort und Polizeiruf.
Spielzeugguillotine
So auch hier. Ganz nebenbei entfaltet der Film ein Panorama des Lebens in der Goethe-Zeit. Er zeigt, wie man sich kleidet, wie man Briefe schreibt, sie zum Medium intimer Fernkommunikation macht, wie die Post funktioniert, wie Bücher gedruckt werden, wie man sich in Gesellschaft Romane vorliest, die in Zeitschriften als Fortsetzungen gedruckt werden. Graf erzählt eine ungewöhnliche Geschichte, und gleichzeitig erzählt er dem Zuschauer auch Geschichte – die Alltagsgeschichte einer fremd gewordenen Zeit, aber auch, durch das Perspektiv des Weimarer Lebens, die historische Erschütterung der Französischen Revolution.
In einem der aufregendsten Momente wechselt der Regisseur das Register, er verlässt die filmische Erzählung und inszeniert ein groteskes tableau vivant der Revolution: Eine Guillotine im Spielzeugformat steht plötzlich da, und Blut fließt über die Pflastersteine. Die Erzählerstimme aus dem Off – Graf spricht selbst – berichtet von der neuen Ordnung, die erst entstehen könne, wenn die alte beseitigt sei. Dazu blendet der Film Standbilder seiner adligen Charaktere ein. Der Schock des Realen wird durch den ästhetischen Bruch fühlbar. Den Mut und die Intelligenz, die dazu nötig sind, besitzt in Deutschland keiner so wie Dominik Graf.
Zum Trailer:
Die geliebten Schwestern Dominik Graf Deutschland 2014, 140 Minuten
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