Zurück auf der großen Bühne

Fußball Der SC Freiburg galt lang als linksalternativer Vorzeigeclub. Nach vier Jahren ist er wieder in die Erste Liga aufgestiegen. Auch weil er in der Normalität angekommen ist

Die große symbolische Geste suchte man nach dem entscheidenden Spiel vergebens, als sich der SC Freiburg am vorletzten Sonntag mit einem 5:2-Sieg in Koblenz den vorzeitigen Aufstieg in die Erste Liga sicherte. Die Spieler feierten ausgelassen und sangen mit den mitgereisten Fans. Die üblichen Rituale der Gewinner, wie sie in allen Stadien und zu allen Zeiten vorgeführt werden. Doch Freiburg-Trainer Robin Dutt entzog sich rasch den Kamerablicken. Er wollte der Mannschaft ihre Bilder lassen, sagte er. Auch Bescheidenheit kann Kalkül sein. Bei Dutt heißt das: Ich bin der Vorarbeiter des Vereins und mache nur meinen Job.

Im Mai 2007 war das noch ganz anders. Volker Finke nahm Abschied von Freiburg. Aus den Stadionlautsprechern sang Edith Piaf „Je ne regrette rien“, Finke wollte das so. Er inszenierte seine Verabschiedung wie einen Großen Zapfenstreich. Als ihm Clubchef Achim Stocker einen Blumenstrauß überreichen wollte, verweigerte er zunächst die Annahme. Die Kameras griffen gierig nach diesem Bild des Trotzes, das ihnen der Medienprofi Finke schenkte. Er ließ es sich auch nicht nehmen, mit dem Mikrophon vor die Fans zu treten. Wie ein Präsident, den eine politische Intrige um eine weitere Amtszeit gebracht hatte, dozierte er ein letztes Mal über die „Freiburger Schule“. Bei Finke hieß das: Ich war der Vordenker des Vereins, macht mir mein Lebenswerk nicht kaputt.

16 Jahre lang war Volker Finke Trainer beim SC Freiburg, so lange wie kein anderer im deutschen Profifußball bislang. Er krempelte den Club radikal um. Aus einer Provinzadresse ohne Geld und Tradition wurde ein taktisches und strukturelles Rollenmodell, bald Lieblingsmarke nicht nur der badischen Intellektuellen. Denn Finkes Konzept war links, ganz im Sinne des ehemaligen argentinischen Nationaltrainers César Luis Menotti. Für den war rechter Fußball gleichbedeutend mit „Arbeit“ und degradierte die Spieler zu „Söldnern des Punktgewinns“. Der linke Entwurf hingegen „feiert die Intelligenz, er schaut auf die Mittel, mit denen das Ziel erreicht wird, er fördert die Fantasie.“

Die Freiburger mischten die Liga auf, später sogar Europa, mit ihrem schnellen, verwinkelten Kurzpassspiel und brillanten Ballstafetten. Die verschiedenen Ensembles setzten sich aus Spielern aus dem eigenen Nachwuchs zusammen – das Freiburger Fußballinternat zählt inzwischen zu einem der besten in Deutschland – und technisch starken Talenten aus Georgien, Mali oder Burkina Faso. Finke baute sich Stück für Stück ein Reservat auf, für das die Mechanismen des Marktes nur bedingt galten. Der SC Freiburg war für ihn nicht nur ein Fußballverein, dessen Standortnachteil mit fehlendem Großsponsor durch Investitionen in die Ausbildung und Ästhetik wettgemacht werden sollte. Er war auch ein kulturelles und soziales Gegenprojekt, das sich dem Medienspektakel widersetzte und Nachhaltigkeit vor Gegenwart stellte. Sogar in ökologischer Sicht: Das Freiburger Stadion deckt einen Großteil seines Energiebedarfs mithilfe von Solarkraft ab.

Finke selbst unterschied sich in seinem ganzen Habitus deutlich von den Branchenkollegen. Er war der intellektuelle Alt-68er, der Außenseiter unter lauter im System Sozialisierten. Mit Ohrring und selbstgedrehtem Tabak, ohne persönliche Sponsoren und teuren Fuhrpark. Wenn andere in ihrer Freizeit auf dem Golfplatz standen, fand man ihn auf Demonstrationen gegen Nazis. Die Heimspiele verfolgte er von einem Strandkorb aus, der bald zum äußeren Markenzeichen des „etwas anderen“ Clubs wurde.

Doch die Aura des Alternativen hatte sich noch in der Ära Finke verschließen. Bloße Schönheit schießt nicht unbedingt Tore. Der ehemalige Studienrat für Sport und Sozialkunde hatte es immer abgelehnt, echte Goalgetter zu verpflichten, weil sich der „Heroenfußball der Einzelnen“, wie er es einmal ausdrückte, mit seiner Spielauffassung nicht vertrug. Er selbst gab sich mehr und mehr als alternder Alleinherrscher, der auf Kritik gereizt reagierte und Niederlagen gerne auf Pech und den Schiedsrichter schob. Als der Club 2005 zum dritten Mal aus der Ersten Liga abstieg und nicht gleich wieder hochkam, wurden erstmals Stimmen laut, die den Rauswurf des Trainers forderten – bis dahin undenkbar im Sozio-Biotop Freiburg. Die strukturellen Veränderungen waren fast alle abgeschlossen, was jetzt fehlte, war schlicht und einfach Erfolg. Der SC war in der Wirklichkeit angekommen, ohne die Wattierung der großen Vision.

Dort ist er noch immer. Der jetzige Coach Robin Dutt ist kein Visionär. Ihm haftet etwas Streberhaftes an. Er war Jahrgangsbester im Trainerlehrgang und hat vorher Objektberater gelernt. Viele attestieren ihm aber eine angenehm sachliche und zurückhaltende Erscheinung im Vergleich zum brodelnden und oft selbstgefälligen Finke.

Dutt tauschte die Mannschaft in zwei Jahren fast komplett aus, holte gestandene Zweitliga-Recken und setzte ansonsten weiter auf den eigenen Nachwuchs. Der Fußball, den er spielen lässt, ist immer noch ein bisschen links: schnell, passsicher, offensiv. Freiburger Schule eben. Aber Menottis Credo - „Ein Tor sollte nur ein weiterer Pass ins Tor sein“ - will er doch nicht ganz folgen. Er führte das Prinzip Effizienz ein – inzwischen fallen Treffer auch einmal nach Standardsituationen, nicht erst nach spektakulären Doppelpässen. Der 44-Jährige hat das Erbe Finkes milde entschlackt und in das moderne Fußballzeitalter überführt: Meist schön, aber zuallerst erfolgreich.

Mit dem Aufstieg hat sich Robin Dutt, dem in Freiburg zu Beginn eine unversöhnliche Front von Finke-Getreuen gegenüberstand, aus dem Schatten des badischen Übervaters endgültig gelöst. Er steht nun vor der schwierigen Aufgabe, in der kommenden Saison einen Underdog ohne echtes Alleinstellungsmerkmal im Oberhaus zu halten. Denn längst haben andere Vereine das Freiburger Modell erfolgreich kopiert – manche mit ungleich mehr Geld wie die TSG Hoffenheim und ihr Mäzen Dietmar Hopp. Bei der Aufstiegsfeier streiften sich die Breisgauer ein Trikot mit der Aufschrift „Wir sind dann mal oben“ über. Sie brauchten dafür vier Jahre. Wieder runter geht es oft schneller.

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