Gezierte Kontaktaufnahme

HOCH IM KURS Neue Freunde und Feinde der Massenkultur

In den Bastionen der Hochkultur hat man das Populäre entdeckt. Schlagerwettbewerbe und Technoparaden, Fernsehserien und Teletubbies - heute geben solche Phänomene Anlass zu tiefschürfender Gesellschaftsbetrachtung. Zweifelsohne hätten die meisten Feuilletonisten früher mit hochgezogener Augenbraue über solche kulturellen Niederungen hinweggesehen. Mittlerweile schauen sie hin - doch die Braue bleibt oben. In dem Essay Die Eingeschlossenen beispielsweise verglich Jens Jessen in der Zeit kürzlich die Big-Brother-Wohngemeinschaft mit einem "Negerdorf" auf einer Gewerbeausstellung des 19. Jahrhunderts. Während der Sender angekündigt habe, dort ganz normale Menschen zu versammeln, werde tatsächlich exotische Differenz präsentiert: Eine Mischung aus monströsen Tätowierungen, dämlichen Käppchen und grotesker Selbstverliebtheit. Zwischen dem Publikum und den "Eingeschlossenen" werde so ein "quasi koloniales Gefälle" etabliert. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass bedeutende Teile der Zuschauer in den Marotten des Big-Brother-Personals noch Exotik zu sehen vermögen. Schon ein simpler Stadtbummel könnte darüber aufklären, wie wenig ungewöhnlich die Eigenschaften der Teilnehmer heute noch sind. Tatsächlich entblößen Jessens Feststellungen eine erstaunliche Weltfremdheit: "Die Eingeschlossenen" sitzen offenbar im System Feuilleton.

Während die Kritiker das Populäre ins Visier nehmen, bleibt gleichzeitig die nötige Distanz gewahrt: Weder möchte man die eigene zentrale Deutungsmacht erschüttert sehen, noch zu sehr in das Feld des Monströsen, Dämlichen, Grotesken hineingezogen werden. Das Symptom dieser gezierten Kontaktaufnahme ist zweifellos die gespenstische Diskussion über die so genannte "Popliteratur". Denn auf der Suche nach passablen Berührungspunkten mit dem Populären ist man erleichtert auf dem ureigensten Terrain fündig geworden - in Büchern. Allein aus der Lektüre von Generation Golf folgerte Gustav Seibt ebenfalls in der Zeit kürzlich, diese Altersgruppe sei eine "soziologische und kulturelle Tatsache". Erneut ist von Monströsem die Rede - es handele sich nämlich um einen "monströsen kultursoziologischen Sonderfall": eine Generation, die von der Konsumkultur sozialisiert sei.

Das Wissen über die angebliche Generation jedoch stammt, wie er selbst feststellt, letztlich von Zuträgern aus den eigenen Kreisen, nämlich "Angestellten der Medienbranche". Die Essays, Romane und "popkulturellen Quintette" der "Popliteratur" werden von FAZ-Redakteuren, Ex-Tempo-Schreibern, Mitarbeitern in Medienagenturen oder TV-Drehbuchschreiberinnen geliefert. Dabei sorgen allein die Kontakte in den Medien für die nötige öffentliche Aufmerksamkeit. Auf fast jedem Buchdeckel der Werke von "Popliteraten" findet sich ein Grußwort des ehemaligen Kabarettisten Harald Schmidt. Fast scheint es, als würde das erweiterte System Feuilleton selbst die Differenzen hervorbringen, die es schließlich mit kultursoziologischen Betrachtungen adelt.

Derweil kommt dem Populären in der "Popliteratur" eben die Subversionskraft des Monströsen, Dämlichen, Grotesken abhanden. In den Essays und Erzählungen geht es eigentlich nur am Rande um Popmusik im eigentlichen Sinne. Ab und an werden ein paar wohlbekannte Stücke zitiert oder einige aktuelle Medienhypes durchgehechelt (Oasis, Spice Girls). Im Vorbeigehen jedoch entblößen Teilnehmer am "popkulturellen Quintett" erstaunliche Wissenslücken über den Gesprächsgegenstand: "Jim Morrison", schreibt Christian Kracht in einem Reisebericht aus Phnom Penh, "sang etwas wie ›shiny leather, shiny shiny‹" (Es handelt sich um ein Stück von Velvet Underground). Zudem handeln die Romane nicht von irgendwelchen spezifischen subkulturellen Settings. Alexa Hennig von Langes neues Buch Ichbin's etwa spielt wie der Vorgänger Relax in überhaupt keinem identifizierbaren Milieu. Und der Rest der Medienarbeiter schreibt ziemlich konsequent über die Welt der Medienarbeiter. Kein Roman, in welchem den Lesern nicht Maxim Biller, Rainald Goetz, Wim Wenders oder Dieter Gorny begegnen.

Die Bücher von Kracht oder Stuckrad-Barre lassen die Medienbranche selbst als Subkultur erscheinen. Sie führen durch ein Ambiente aus Kneipen, Clubs, Parties, Podiumsdiskussionen, Lesungen, Plattenläden oder DJ Sets. Wer hier freilich den berüchtigten Freizeitpark vermutet, liegt falsch: Bei den Medienarbeitern gehen Arbeit und Freizeit längst nahtlos ineinander über. Potenziell ist alles verwertbar und die Konversation beim Bier könnte den nächsten Auftrag bringen. Möglicherweise sind die Gesprächspartner jedoch auch nur auf der Jagd nach Verwertbarem - mit Information wird vorsichtig umgegangen, man ist ständig auf der Hut. Dabei scheinen die Protagonisten in den Werken der "Popliteratur" nie genau zu wissen, was sie eigentlich wirklich tun und ob dies eigentlich das richtige ist. "Multitalentose" heißt die Diagnose in dem neuen "Tagebuchroman" MAI 3D, den Alexa Henning von Lange zusammen mit Daniel Haaksman und Till Müller-Klug geschrieben hat. Die beiden Co-Autoren kennen sich mit solchem Leben aus: Der eine ist ein umtriebiger Berliner Subkulturmanager, der andere stammt aus der "Gießener Schule" der Theaterwissenschaft.

In dieser "Neuen Mitte" haben bestimmte Erscheinungen der Popkultur mittlerweile die gleiche Funktion wie in der alten Mitte die Erzeugnisse der Hochkultur: Sie dienen der Ab- und Ausgrenzung. Tatsächlich teilt man sich sogar die gleichen Gegner. In seinem ersten Roman denunzierte "Popliterat" Stuckrad-Barre ausgerechnet die "Eiligen": Sie, die "im Cocktail aus Schweiß und brünftigen Rasierwässerchen die Pest der Gemeinschaft" inhalieren, kennen "Wonderwall" von Oasis eben nur vom "Kuschelrock"-Sampler. Würde man "Wonderwall" durch "Moby Dick" ersetzen und "Kuschelrock" durch "Reader's Digest", so könnte diese Bemerkung auch von älteren Feinden der Vermassung stammen. Alexa Hennig von Lange wiederum wird nicht müde, die Fixierung ihrer Romanfiguren auf die neuesten Airmax als Gesellschaftskritik zu präsentieren - sie beklagt ganz traditionell den Verfall der Werte.

Florian Illies schließlich ist einfach der klassische Spießer im neuen Gewande. Wer GenerationGolf aufmerksam liest, wird - Konsumkultur hin oder her - keine Position finden, die im Kosmos des herrschenden Neokonservatismus einen Generationswechsel ankündigen würde: "68", Klaus Bednarz, politische Überzeugungen und Feminismus sind die Pest; Putzfrauen, der Neue Markt und Martin Walser dagegen klasse. Dabei werden Produkte von Illies als quasi natürliche Erziehungsinstanzen zur Affirmation präsentiert. Etwa der ehemals beliebte Zauberwürfel: "So haben wir früh gelernt, dass es die Basis eines jeden Spiels ist, dass klar ist, was wohin gehört."

Mit der gleichen atemberaubenden Selbstverständlichkeit, mit der Jens Jessen im eingangs genannten Aufsatz seine persönliche Perspektive mit jener des Publikums identifiziert, erklärt Florian Illies sein Spießerleben zum exemplarischen Fall einer Generation. Tatsächlich sind die Texte rund um die "Popliteratur" letztlich das Big Brother von "Angestellten der Medienbranche". Hier kann das Hochkulturmilieu einen voyeuristischen Blick riskieren auf die seltsamen neuen Lebensumstände in einer Zukunftsbranche. Für die jungen Jobaspiranten der Medienberufe wiederum müssen diese Bücher wirken wie Bildungsromane: Hier werden Verhaltenszumutungen für die Zukunft formuliert. In diesem Sinne führen Generation Golf und das DJ-Handbuch die Verkaufscharts der Kölner Buchläden an. Wer es in die Medienklitschen geschafft hat, braucht schließlich keine Bücher mehr: Hier liebt man es, das Monströse, Dämliche, Groteske - sprich: Zlatko - zu imitieren, während man im Internet die Kurse am Neuen Markt studiert.

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