In den letzten beiden Monaten hörte man in der Berichterstattung über Jugoslawien folgende Floskel immer wieder: »Dieser Krieg ist auch ein Krieg der Bilder.« Allerdings waren diese Bemerkungen nicht im geringsten kritisch gemeint. In den Medien der »freien Welt« zeigte man sich unzufrieden mit der Wahl zwischen den patriotischen Bildern des serbischen Fernsehens und den aus sicherer Distanz aufgenommen Kurzfilmen der NATO. Das Fernsehen verlangte einfach nach besseren und vor allem näheren, weniger abstrakten Bildern. Nichtsdestotrotz ist zweifelsohne etwas dran an der Behauptung, im Kosovo finde ein »Krieg der Bilder« statt. Und tatsächlich hat das auch etwas zu tun mit »Propaganda«: Denn in diesem Krieg geht es in einem noch ni
Selbstbilder
AUSWEG AUS DER SACKGASSE DER DEMOKRATIE Der Kosovo-Krieg dient allen Kriegsparteien zur symbolischen Intergration ihrer implodierenden Gesellschaften und zur Definition des besseren Eigenen
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nicht gekannten Ausmaß um Selbstbilder, um Inszenierungen der eigenen Identität.Seit der Krise des wohlfahrtsstaatlichen Ausgleichssystems findet Integration offensichtlich nicht mehr in erster Linie auf ökonomischer Ebene statt, sondern vielmehr symbolisch. Sozial und kulturell mehr und mehr auseinanderfallende Gesellschaften werden heute hauptsächlich durch Bilder zusammengehalten - durch positive Repräsentation des Eigenen. Das zeigt sich im Westen etwa an einer medialen Dauermobilisierung. Anhand von bestimmten Ereignissen (Oder-Hochwasser, Grand Prix d´Eurovision de la Chanson, Tod von Prinzessin Diana, Fußballweltmeisterschaft, Love-Parade, ICE-Katastrophe usw.) werden die Werte der vorgeblichen Gemeinschaft medial-»sinnlich« aufgeführt und beschworen (Demokratie, Toleranz, Multikulturalität, Hilfsbereitschaft, Menschenrechte etc.)Zwanz zur symbolischen Integration Aber selbstverständlich eignet sich weiterhin kaum etwas besser zur integrativen Repräsentation der Identität als der negative, rassistische Bezug auf eine ohnehin ausgegrenzte, »fremde« Gruppe. In diesem Sinne wurden seit Anfang der achtziger Jahre die Kosovo-Albaner mehr und mehr zum konstitutiven Element der »erwachenden« serbischen Identität. Doch auch im Westen haben im letzten Jahrzehnt die Muslime - verkörpert sowohl in bestimmten Einwanderergruppen als auch in verschiedenen Staaten der »islamischen Welt« - die Rolle des identitären Referenzpunktes gespielt: Deren Fundamentalismus, Misogynie und Verschlossenheit belegten spiegelbildlich die eigene demokratische und fortschrittliche Offenheit.Doch hat der Westen bekanntlich gegenüber der restlichen Welt immer noch einen Trumpf mehr im Ärmel. Während man die identitätsstärkenden Vorteile des beschriebenen Mechanismus genießt, gelingt es dem Westen überdies noch, andere - die zweifelsohne etwas radikaler zu Werke gehen - für die Nutzung der gleichen Strategie zu bestrafen und daraus erneut eine Stärkung des Selbstbildes zu beziehen. Im Krieg gegen Rest-Jugoslawien frönt der Westen dem bekannten Syndrom des »Balkanismus« (Maria Todorova): Man entsorgt den eigenen Nationalismus und Rassismus durch »Externalisierung« - durch die Projektion auf den Balkan. Dort bekämpft man im Namen der »Zivilisation« stellvertretend die eigenen Übel - selbst noch die historischen: In Belgrad kulminieren ja angeblich nationale Aggression, Gaskammer und »Feindbild Islam«.Den eigenen Rassismus nach außen kehren Tatsächlich jedoch verlief die Entwicklung in Serbien - strukturell gesehen - kaum anders als im Westen. Als 1981 die Albaner im Kosovo revoltierten, war dies in erster Linie der Markstein für das endgültige Aus der innerjugoslawischen Vorstellung von »Entwicklung«. Der Versuch einer nachholenden Modernisierung der wirtschaftlich rückständigsten Region war offenkundig gescheitert. Während ganz Jugoslawien unter einer immensen Krise litt, herrschten im Kosovo »Dritt-Welt«-Zustände. Gerade mal 10 Prozent der Bevölkerung standen in einem »normalen« Arbeitsverhältnis (zum Vergleich: in Slowenien 45 Prozent), der Rest lebte von landwirtschaftlicher Subsistenzproduktion. Aufgrund der Landflucht zeigte sich zudem das katastrophale Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit erstmals ganz deutlich. Und eine Entspannung der Situation schien nicht in Sicht: Die Geburtenrate der albanischen Bevölkerung war die höchste in ganz Europa.Aber nur zu Beginn der albanischen Proteste standen noch die sozialen Probleme auf der Agenda - im Laufe der Auseinandersetzungen wurde der Ton immer nationalistischer. Gerade diese Stoßrichtung bot den Serben die Möglichkeit, das eigene Projekt zunehmend ethnisch aufzuladen. Zunächst ließ sich mit Hilfe von Ethnizität die gescheiterte »Entwicklung« des Kosovo erklären und legitimieren. Man suchte die Verantwortung für die dortigen Lebensumstände nun nicht länger in den ökonomischen Rahmenbedingungen, sondern verortete sie vielmehr in bestimmten »Eigenschaften« der Albaner selbst. So entstand ein neuer, statischer Diskurs, der die »Rückständigkeit« auf kulturelle Andersheit zurückführte. Die Albaner erschienen nun einfach als »unzivilisiert«. Im Laufe der achtziger Jahren verfestigte sich eine wohlbekannte Palette von Zuschreibungen: Sie sind kriminell, sie unterdrücken ihre Frauen, sie sind fanatisch religiös, sie riechen schlecht und zudem vergewaltigen sie auch noch unsere Frauen.Aber darüber hinaus eröffneten diese neuen kulturalistischen Grenzziehungen der serbischen Führung die Möglichkeit, das eigene Volk in den Zeiten der Krise und des Zerfalls einzuhegen und zusammenzuschweißen. Dabei artikulierte sich der serbische Rassismus als eine Art Defensiv-Variante: Aufgrund der zweifelsohne heiklen Situation der Serben im Kosovo begann man, die Albaner als völkermörderische Bedrohung zu halluzinieren - so galt etwa die hohe Geburtenrate als demographisches Kampfinstrument. Zudem beschwor man jene historisch im Balkan-Nationalismus verankerten Ängste vor einer erneuten muslimischen Invasion; im Hintergrund schien bereits eine aggressive Türkei zu lauern. Die sinnliche Inszenierung des serbischen Identitätsprojektes begann spätestens 1987, als MilosÂevic´ sich in Kosovo Polje, einem mehrheitlich von Serben bewohnten Vorort von Pristina, zum Schutzpatron seiner Landsleute erhob. Schließlich fand zwischen Juli 1988 und März 1989 im Kosovo das buchstäbliche »Sich-Ereignen-des-Volkes« statt - bei jenen berüchtigten »Meetings der Wahrheit« auf dem Amselfeld. MilosÂevic´ beschwor die Einheit der Serben, doch was sich auf dem historischen Schlachtfeld tatsächlich »ereignete« war eine absolute Leere: Die Anwesenden in ihrer unendlichen Verschiedenheit spürten sich als Serben ausschließlich aufgrund der Behauptung, nicht wie die Albaner zu sein - bzw. nicht so wie ihre eigene Phantsmagorie von den Albanern.Ironischerweise hielten sich die versammelten Serben damals auf dem Amselfeld für die historisch legitimierte Speerspitze Europas gegen die islamische Gefahr. Damit befanden sie sich zu dieser Zeit durchaus im Einklang mit der langsam sich gen Zweiter Golfkrieg aufheizenden Stimmung im Westen. Hier stabilisierte sich während der achtziger Jahre zwischen Überschwemmungsphantasien, Kopftuchauseinandersetzungen und der ständigen Furcht vor der Kriminalität junger »Ausländer« ein ähnlich neorassistischer Kulturdiskurs wie in Serbien. Zweifelsohne im großen und ganzen »zivilisierter« - schließlich hatte man im Westen bereits gelernt, die diskreditierten Brachialrassismen vergangener Tage zu vermeiden. Und zudem blieb die vorgebliche Bedrohung für die allermeisten ja auch eher abstrakt. Nichtsdestotrotz schwadronierten »Experten« wie Peter Scholl-Latour zu Beginn der Neunziger im Fernsehen vom »Schwert des Islam« und warnten ein Massenpublikum vor den Expansionsabsichten des imaginären Gesamtmoslems. Und 1993 erklärte Samuel P. Huntington den »Kampf der Kulturen« zum unausweichlichen Panorama der Zukunft.Auch im Westen wurde mit solchem Kulturalismus das Ende des Fortschritts begründet. Denn schließlich konnte die wirtschaftliche »Integration« der Einwanderer ebenso als gescheitert gelten wie die Aufholjagd der »Dritten Welt«. Aber bekanntlich fühlt man sich im Westen nicht wohl mit dem eigenen Rassismus - und sei er noch so angenehm verpackt. Rassismus ist und bleibt illegitim und kaum werden rassistische Artikulationen irgendwo spürbar, so geraten sie gleich unter Beschuß. Der Golfkrieg hatte den angeblichen »Kampf der Kulturen« zwar sinnlich nachgewiesen, aber auch allzu deutlich entschieden, und so konnten in der folgenden Ruheperiode jene zu Wort kommen, die den Dialog zwischen den Kulturen forderten (über deren Existenz und Prägekraft freilich längst kein Zweifel mehr bestand). Aber selbstverständlich war es noch besser, die neue Zuneigung auch symbolisch auszuagieren. Und dazu bot sich kein besseres Objekt an als die albanische Minderheit im Kosovo und kein besseres Medium als der Krieg.Überall in Europa stehen die albanischen Emigranten - ganz der wirtschaftlichen Lage ihres Auswanderungslandes entsprechend - auf der untersten Stufe der rassistischen »Fremden«-Hierarchie. Vor der NATO-Intervention hatten die deutschen Medien den Kosovo-Albaner immer wieder als halbzivilisierten und ultrabrutalen Südländer hingestellt. »Albaner« war in der Bevölkerung gleichbedeutend mit organisierter Kriminalität: Banden, Zuhälterei, Schutzgeld. Doch zu Beginn des Krieges wurden die Kosovo-Albaner förmlich wiedergeboren. Auf dem Balkan entdeckte man nun eine unterdrückte »islamische Minderheit«, bedroht von staatlicher Verfolgung (ganz im Sinne des eng gefaßten deutschen Asylrechts), von Vertreibung (ganz im Sinne der eigenen deutschen Geschichte) und von Identitätsverlust. Und zu allem Überfluß ging die Bedrohung auch noch von dubiosen »National-Sozialisten« aus.»Deshalb findet gegenwärtig im Kosovo«, so konnte Außenminister Fischer jubilierend festhalten, »die Absage an Huntingtons These vom clash of civilizations statt. Das sogenannte christliche Abendland kämpft dort für die Menschenrechte eines muslimischen Volkes.« Und selbstverständlich auch für eine multikulturelle Gesellschaft. Gleichzeitig findet man in der »Festung Europa« endlich mal wieder einen Anlaß, die eigene Generosität zu zelebrieren: Während es auf die Rassisten »da draußen« Bomben hagelt, feiern Politik und Presse vielleicht zum ersten Mal seit Mitte der achtziger Jahre wieder gerührt die Tatsache, daß Deutschland eine handverlesene Anzahl »Vertriebene« aufgenommen hat.Krieg für ein antirassistisches Selbstbild Aber der Westen bombt in Rest-Jugoslawien nicht nur für ein antirassistisches und multikulturelles Selbstbild, sondern auch für die eigene Einheit. Denn tatsächlich tun sich nicht nur in den Bevölkerungen der einzelnen Nationen immer tiefere Klüfte auf, sondern es rumort auch gewaltig zwischen den Staaten der NATO - dem »magnetischen Pol« (Javier Solana) der ganzen Welt. Seit geraumer Zeit befinden sich Europa und die USA in einem heftigen Wirtschaftskonflikt. Und auch politisch schwelen eine ganze Reihe von Auseinandersetzungen. Die herrschenden Eliten der USA behandeln Europa mehr und mehr als eine Art lästiges Protektorat. So schrieb der einflußreiche Balkan-»Experte« Robert Kaplan kürzlich unverhohlen in der New York Times: »Nur westlicher Imperialismus - auch wenn viele es nicht so nennen möchten - könnte den europäischen Kontinent einigen und den Balkan vor den Chaos retten.« Gleichzeitig frönen bedeutende Teile der europäischen Eliten angesichts solcher Arroganz einem kulturell verbrämten anti-amerikanischen Ressentiment. Und derweil träumt der deutsche Außenminister offen von einem »Sich-Ereignen-Europas«. Kürzlich betonte er, »daß dieser Konflikt klarmacht, was Europa wirklich bedeutet« und billigte dem Krieg eine Beschleunigungswirkung auf die Verwandlung des Kontinents in ein politisch handlungsfähiges Subjekt zu.So scheint es schließlich, als würde der Krieg zwar erfolgreich das westliche Selbstbild vom Schatten des Rassismus befreien, während das Problem der inneren Einheit weiter ungelöst bleibt. Doch könnte die Geschichte Jugoslawiens für den Westen ein Menetekel werden. In Belgrad finden sich dieser Tage Graffiti mit dem Slogan: »Slobo Klintone« (Slobo, du Clinton!) In dieser Gleichsetzung erkennt der kroatische Kulturkritiker Boris Buden einen historischen Sinn. Denn als MilosÂevic´ 1987 in den Kosovo reiste, versprach er, die Menschenrechte der serbischen Minderheit dort zu beschützen. Dadurch fühlte er sich später ausreichend legitimiert, in einer »anti-unbürokratischen Revolution« die Verfassung des »Völkerbundes« Jugoslawien außer Kraft zu setzen. Heute schließlich ist es Clinton, der um der Menschenrechte einer Minderheit willen, die »Verfassung« der Vereinten Nationen ganz »unbürokratisch« übergeht. Und so kann man wohl nur noch hoffen, daß »Jugoslawien« sich nicht auf Weltebene wiederholt.Schließlich verwiesen die Graffiti noch auf eine weitere Gefahr: auf die absolute Sackgasse der Demokratie. Tatsächlich gibt es nichts mehr zu wählen. Im Angebot ist keine Politik mehr, nur noch Identität.
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