Die Epifanio de los Santos Avenue will und will sich nicht füllen. Es sei denn mit Manilas täglichem Verkehrsalbtraum. Überlandlastwagen keuchen die berühmte Ringstraße entlang, die Metro Manila, diesen Moloch von 17 Städten in der Treibhausschwüle des Südchinesischen Meers, im Würgegriff hält. Auch die rundum mit Metall und frommen Sprüchen beschlagenen Jeepneys sind unterwegs, jene Kleinbusse, die aussehen wie fahrende Bar-Tresen und in denen das niedere Volk zu reisen hat. Nur ihre Funktion als Aufmarschgebiet für Präsidentenstürmer will die Epifanio de los Santos Avenue - die EDSA, wie sie abgekürzt heißt - nicht recht erfüllen. Gerade einmal 5.000 kommen, nachdem eine Mehrheit im Repräsentantenhaus den Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen Gloria Macapagal Arroyo, die Staatspräsidentin, versenkt hat. Die EDSA lässt an bessere Zeiten denken.
Zynismus ist der beste Freund
"EDSA 1" war das Codewort für den Sturz der Marcos-Diktatur 1986, als fast drei Millionen Filipinos auf der Avenue ausharrten und das Militär zum Rückzug zwangen. "EDSA 2" war der wohl inszenierte Protest, der den Ex-Filmstar und Präsidenten Joseph "Erap" Estrada Anfang 2001 aus dem Amt warf. "EDSA 3" soll nun das Schicksal seiner durch Affären diskreditierten Nachfolgerin Arroyo besiegeln. Allein, es fehlt an Protest.
Auch vor dem Parlament in Quezon City kann die Opposition nicht viel mehr als 20.000 Arroyo-Gegner und ein paar bezahlte Randalierer aufbieten, die sich von den Polizisten die Nase blutig schlagen lassen und dramatische Bilder für die Nachrichtensendungen liefern sollen. Drinnen, im Plenum, wehren sich einen ganzen Tag und eine ganze Nacht ein paar Dutzend Abgeordnete gegen den parlamentarischen Abschluss einer mehr als drei Monate schwelenden Staatskrise. Nur 51 von 236 Abgeordneten stimmen schließlich dafür, den Antrag auf Amtsenthebung an den Senat zu überweisen. 50 Millionen Pesos - umgerechnet 700.000 Euro - soll der Präsidentenpalast Abgeordneten gezahlt haben, damit sie ihre Unterschrift unter dem Impeachment-Antrag zurückziehen, behaupten die Medien. Um die Krise zu lösen, werde man nun nicht länger den gesetzlichen, sondern einen "politischen Weg" suchen, hat Francis Escudero, der junge Oppositionsführer, Spross einer konservativen Politikerdynastie, schon vor der finalen Parlamentsdebatte angekündigt. "People power ist legal", sagt Escudero und lacht - "vorausgesetzt, sie hat am Ende Erfolg". Zynismus ist der beste Freund der Politiker auf dem Archipel.
Doch die Filipinos haben mehrheitlich keine Lust, für ein Machtkomplott, das in Golfklubs entworfen wird, erneut Statisten auf der EDSA zu sein und einen Staatschef ins Amt zu hieven, der so gut und so schlecht ist wie seine Vorgänger. Noch jede Präsidentenwahl seit dem Sturz von Ferdinand Marcos brachte paradoxerweise eine weitere Konsolidierung der landbesitzenden Oligarchie.
20 Jahre Demokratie auf den Philippinen haben die Rohrpost wieder frei geräumt. Papa, Mama, der Schwiegersohn werden nach dem Rotationsprinzip einmal Bürgermeister, Abgeordneter, Gouverneur oder Senator - eine Errungenschaft der neuen Verfassung, die Amtszeiten im Abgeordnetenhaus auf drei Mandate zu drei Jahren beschränkt. So ist das auch in der Familie von Francis Escudero aus der Provinz Sorsogon am südlichen Ende von Luzon, einer der Hauptinseln des Archipels. Salvador Escudero III, einst Agrarminister unter Marcos, saß seine Zeit im Repräsentantenhaus ab. 1998 folgte sein Sohn Francis "Chiz" Escudero, der vor einem Jahr zum "Minderheitsführer" im Repräsentantenhaus avancierte und seither einem Wahlverein von Arroyo-Gegnern vorsteht, der Rechtsliberale, Sozialisten und Kommunisten vereint.
Gloria Arroyo muss abtreten, heißt deren Devise. Weil sich die Präsidentin im Vorjahr umsichtig einen einflusslosen Stellvertreter als Vizepräsidenten zugelegt hat - den allseits als inkompetent geltenden früheren Talkmaster Noli de Castro - folgen ihre Widersacher einem bizarren Kalkül: Franklin Drilon, der Senatspräsident und Chef der oppositionellen Liberalen Partei, bietet Noli de Castro ein Tauschgeschäft an. Der sollte mit Hilfe der Opposition Arroyos Nachfolge antreten, wie es die Verfassung vorsieht, und im Gegenzug Drilon als neuen Vizepräsident mit "Exekutivrechten" ausstatten, die ihn zum eigentlichen Staatschef machen.
Auch Arroyos Gefolgschaft ist nicht untätig: José de Venecia, der Parlamentspräsident, arbeitet auf seine Berufung in das neu zu schaffende Amt eines Premierministers hin. Diese Idee stammt wiederum vom früheren General und Präsidenten Fidel Ramos, der Arroyo in den vergangenen Wochen - auf den ersten Blick ganz uneigennützig - beigesprungen ist. All diese Vorgänge bezeugen eine seit Juni andauernde Blockade zwischen Präsidentin und Opposition und haben ein Machtvakuum entstehen lassen, so dass die Vermutung nicht unbegründet erscheint, das Militär werde eingreifen.
Die Fallhöhe muss stimmen
Während die Opposition nach der Niederlage im Repräsentantenhaus keine legale Handhabe mehr gegen Arroyo hat und den Widerstand auf der Straße entfachen will, stehen die Vorwürfe gegen die Präsidentin weiter im Raum. Wenigstens zwei Mitschnitte von Telefonaten - Lieferant dürfte der militärische Geheimdienst sein - sind aufgetaucht, bei denen Arroyo möglicherweise Einfluss auf die Auszählung der Stimmen beim Präsidentenvotum im Mai 2004 nehmen wollte. "Hallo Garci", antwortet in einem Fall ein Mann, bei dem es sich um Landeswahlleiter Virgilio Garilliano gehandelt haben könnte, der inzwischen im Ausland Zuflucht suchte und für Nachfragen nicht zu Verfügung steht. Eine weitere Affäre betrifft Arroyos Ehemann Mike und Sohn "Mikey", einen Parlamentsabgeordneten. Die Arroyo-Männer sollen bis über beide Ohren in Beteiligungen am illegalen Glücksspiel "jueteng" stecken. Gloria schickte sie im Juli vorsorglich ins amerikanische "Exil". Die Herren Arroyo nahmen allerdings einige Millionen Dollar Klimpergeld mit - zehn Minister traten daraufhin zurück. "Na und?" - sagen die Büroangestellten am Mittagstisch in Manilas Finanzdistrikt Makati und stochern im Salatteller. "Sie hat den Wahlleiter angerufen, das tun doch alle Kandidaten." Manilas Mittelklasse, die im Januar 2001 per SMS einen Straßenprotest organisierte, um den unfähigen Präsidenten Estrada aus dem Amt zu jagen und dessen damalige Vizepräsidentin Arroyo aufsteigen zu lassen, hat kein Interesse an einer neuen "People power"-Nummer. Die Wirtschaft wächst - unerwartete 4,8 Prozent im zweiten Quartal -, eine Mehrwertsteuererhöhung ist vom Obersten Gericht gerade genehmigt worden und gilt zumindest bei Börsen-Analysten in Makati als Instrument einer überfälligen Haushaltssanierung. Der Ausbau der Gas- und Ölförderung in den eigenen Hoheitsgewässern soll wenigstens einen Teil der Belastungen durch den steigenden Ölpreis mindern.
Gloria hat sich entschuldigt und ein paar Tränen zerdrückt. "Tut mir leid" - hat sie im Fernsehen gesagt - "sorry ho". Das muss sein, sonst stimmt die dramatische Fallhöhe nicht. Die Staatschefin, die gern über ihr Sexleben plaudert und stramm salutiert, wenn ihre Soldaten vorbei paradieren, steht mitten in einem Machtkampf, der sich als große nationale "soap opera" verkleidet und höchst illustre Witwen alarmiert: Imelda Marcos, die Frau des Diktators, Corazon Aquino, die Frau des ermordeten Dissidenten und Präsidentin des demokratischen Wechsels, Susan Roces, die Frau des verstorbenen Filmschauspielers und Präsidentschaftskandidaten von 2004, Fernando Poe.
Eine "Wahrheitskommission" jenseits von Parlament und Oberstem Gericht soll die Telefon-Affäre nun irgendwie klären, und eine Debatte über Verfassungsänderungen unter dem eingängigen Titel "Cha-cha" (von "charter change") den Arroyo-Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen. Dezentralisierung, mehr Macht für die Provinzen, lautet eines der Leitmotive. Etwas Kontraproduktiveres für die philippinische Demokratie lässt sich kaum ersinnen: Denn in den Provinzen sitzen die 30 Familien, die das Land steuern.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.