Angela Merkel ist auf den Titelblättern der Financial Times. Auf der deutschen Ausgabe eine ungeschminkte Frau. Blond. Freundlich lächelnd. Nach links jemandem zugewendet. Auf dem englischen Titelblatt eine dunkle Person. Brünette Haare und Brauen. Wimperntusche. Dunkler Lippenstift. Krähenfüße und die großporige Haut um Mund und Nase. Sie schaut nach rechts. Skeptisch. Amüsiert ist sie, nicht einverstanden mit dem, was ihr eben gesagt wurde. Das Bild der blonden, jüngeren, freundlicheren Angela Merkel findet sich dann auch im englischen Blatt. Über einem Interview. "If I do nothing, current developments will lead Germany into a spiral decline - wenn ich nichts tue, gleitet Deutschland in die Abwärtsspirale", sagt sie.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie Angela Merkel plötzlich auftauchte. 1990. Und wie sie zu Kohl hinauflächelte. Eine Familienministerin ohne Familie. Eine Ossi in der Wessi-Regierung. Und Kohl lächelte aufmunternd zu ihr hinunter. Und sie hat seine Erwartungen erfüllt. Angela Merkel ist so weit im Selbstbild der christlichen Parteien Westdeutschlands aufgegangen, dass in den Neuen Bundesländern gefordert wird, die Kanzlerkandidatin soll wieder mehr ihr Ossi-Tum gegen die Linksparteien da ins Spiel bringen. Aber. In der Assimilationsleistung Angela Merkels wird die Möglichkeit einer solchen Assimilation symbolisiert. Angela Merkel verkörpert so die alte Konstruktion von dem "einen Deutschland". In ihrer Person schildert sich das Aufgehen in der Leitkultur als müheloser Vorgang. Als verlustloser Vorgang. Da kann frau nicht einfach wieder zurück und eine Ossi oder Ossa herausholen.
"Man muss nur einmal wollen", sagen einem die immer grinsenden Republikaner. "Seien Sie nicht so empfindlich, dann geht es schon" ist die wienerische Version, wie die uns allen abverlangte tägliche Anpassung an wieder neue und wieder gröbere und wieder ungenauere und lautere Lebensbedingungen zu bewältigen sei. An Angela Merkel lässt sich nachweisen, dass die bedingungslose Annahme der Leitkultur auch herzlich belohnt wird. Der Groschenroman vom geschickten Mädchen, das so ist, wie man es von ihm erwartet, der führt dann am Ende auch ganz wirklich ins Abendkleid nach Bayreuth.
Und in dieser Belohnungslogik ist es ganz richtig, dass die Assimilationsleistung Angela Merkels ihr politisches Programm geworden ist. Ein Programm ist das, das nur nach vorne blickt. Unbewahrerisch so. Das bewahrt vor Verlusten, wenn es nichts zu verlieren gibt, weil nichts in Erinnerung ist. Geschichtslosigkeit wird so gemacht. Assimilation bedeutet ja immer eine spezifische Geschichtslosigkeit herzustellen. Dem Verlust durch Verlust der Verluste zu entgehen.
Bei Angela Merkel klingt das so: "East Germans have embraced change in a way that had never been seen in Germany, and at times with genuine enthusiasm. In the west, too, people have shown adaptibility and readiness to learn. Change has become a reality. The questions are: does politics provide the right framework to make change possible, and do we change fast enough? That is where we need to be more persuasive." (Die Ostdeutschen haben den Wechsel angenommen in einer Art und Weise, wie man es bislang noch nicht in Deutschland erlebt hat, zeitweise sogar mit echtem Enthusiasmus. Auch im Westen haben die Menschen Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft zu lernen gezeigt. Der Wechsel ist Realität geworden. Die Fragen, die sich stellen, sind: Gewährt die Politik die richtigen Rahmenbedingungen, um den Wechsel möglich zu machen und ändern wir uns schnell genug? An diesem Punkt müssen wir überzeugender werden.)
Change: Änderung. Veränderung. Wechsel. Umschwung. Abänderung. Abweichung. Wandel. Tausch. Austausch. Ablösung. Kleingeld. Wechselgeld.
"Change has become a reality." Und die Frage, um die sich das gesamte Konzept Angela Merkels für Deutschland dreht: "Does politics provide the right framework to make change possible, and do we move fast enough?"
Zuerst wird "change" zur Realität erklärt. Der Ausgangspunkt der politischen Entscheidungen ist dieser Satz. "Change has become a reality." Mit dieser Gewissheit als Grundlage wird nur noch das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Wandels erörtert. Es geht nur um das Management der Umstrukturierung. Gesellschaftskonzepte kommen da nicht mehr vor. Es geht um eine Politik der Rahmenbedingungen der Verwirtschaftlichung. Wie weit. Wie schnell. M. Thatcher hat das in England schon in den achtziger Jahren erledigt. Auch sie ein Aufsteiger in weiblicher Gestalt. Aber die Aussagen sind ähnlich genug. So benützt Angela Merkel die Nichtrepräsentanz der Arbeitslosen als Argument, den Gewerkschaften die Berechtigung abzusprechen. In der Financial Times wird sie dafür "a Macchiavellian prince" genannt.
Niemand käme auf die Idee, Angela Merkel eine "princess" zu nennen. Und trotzdem ist ihr Frau-Sein eine notwendige Grundlage ihres Erfolgs. Ihr Frau-Sein muss die Assimilationsbrüche maskieren. Eine solche Assimilationskosmetik lässt sich auf mehreren Ebenen des Frau-Seins bewerkstelligen.
Da ist die formbare Tochter, aus der der politische Ziehvater seine weibliche Version entwirft. Entwerfen möchte. Das Formen muss verändern. Niemand wundert sich über Wandlungen.
Da ist die gesellschaftliche Position Frau, von der in alten und neueren Traditionen eine hohe Anpassung an außen hergestellte Umstände erwartet wird. Geliebte. Ehefrau. Mutter. Mitarbeiterin. Immer wird selbstverständlich Beweglichkeit und Änderbarkeit mitgedacht. Die Außenansicht einer sich immer ändernden Frau ist die gesellschaftliche Norm. Das findet in der Mode Ausdruck. Und es wird deutlich selbstverständlicher gesehen, dass eine Frau dem Mann in eine andere Stadt nachzieht, als der Mann der Frau. Da fällt es dann nicht weiter auf, wenn eine Frau sich der Leitkultur in die Arme wirft. Das ist ohnehin selbstverständlich. Und Frauenbiographien werden gar nicht ernst genug besehen, dass eine Entwicklung überhaupt wahrgenommen werden kann.
Und. Da ist die Komplizin. Sie arbeitet für die Männer Sie erledigt ihren Teil. Aber. Wenn Not am Mann ist, dann übernimmt sie. Das Mann-Mädchen. Die Vater-Tochter. Sie ist schon das Ideal der Nazi-Frauenkonstruktion. In den Romanen der Nazizeit sind es nicht die blonden Greterln, die idealisiert worden wären. Kühle, dem Vater nacheifernde, der Scholle verpflichtete tüchtige und sehr unabhängige Frauen waren das. Die übernahmen vom Vater und übergaben an die Söhne. Das Frau-Sein als notwendiges biologisches Zwischenglied.
Und. Die Ratlosigkeit in Deutschland ist gerade groß genug. Und wenn Ratlosigkeit genügend eindringlich zur Krise geredet worden ist, dann könnte der Zeitpunkt herbeigeredet worden sein, an dem die alten Strukturen als dem "change" hinderlich, abgeräumt werden müssen. Das ist eine Tätigkeit für Trümmerfrauen. Den Wiederaufbau machen dann wieder die Männer.
In der Politik werden dann halt nicht Grundstücke vom Bombenschutt befreit. In der Politik werden die Rahmenbedingungen aufgelöst. Die bekannten Umstände. Zuerst einmal. In Österreich kennen wir das seit der Rechts-rechts-Regierung 2000. Hier wurden Institutionen und Konventionen aufgelöst. Bis dieser unendliche Fluss von Widrigkeiten und Zerstörung Alltag geworden ist.
In Deutschland. Deutschland hat ja alles erreicht. Wohlstand. Sicherheit. Und die Selbstverschmelzung in das eine Deutschland. Mit dem "change" sollte sich das Erreichte verflüssigen, um dann in ein Neues geformt werden zu können. Die Bürger und Bürgerinnen sollen sich einmal kurz an diese Verflüssigung, an dieses Fließen aufgeben. Bevor das Ziel einer Neuorientierung bekannt ist, sollen sie in der Auflösung heimisch werden. Bevor Deutschland sich eine neue Aufgabe in der Welt gesucht hat. Gegeben hat.
Die Aufgaben, die da herumschwirren. Die reichen von "Wir machen die Moslems nieder." Zu: "Wir entwickeln den Osten." Bis: "Wir wehren uns gegen die gelbe Gefahr." Angela Merkel sagt nichts dergleichen. Sie überträgt Kulturverlust auf die ganze Gesellschaft. Alle sollen in das Fließen des Aufgeben-Müssens geraten. In die Widersprüche von Selbstbild und Fremdbild. Die Verkündigungen neuer Verfestigungen der Identität im Finden dieser neuen Aufgabe. Das werden dann andere tun. Wenn die Gesellschaft sich in die Wirtschaft vergessen haben wird.
Marlene Streeruwitz, geboren 1950 in Baden, lebt als Schriftstellerin in Wien. Zuletzt erschienen von ihr die Novelle Morire in levitate und der Roman Jessica, 30.
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