Über Bonn geistern viele Klischees durch Berlin und den unwesentlichen Rest der Welt. Ein ausgestorbenes Dorf soll es schon als Bundeshauptstadt gewesen sein. Und umgekehrt proportional mit Subventionen vollgestopft, so dass die wenigen Rest-Bonner vor Geld und Faulheit kaum laufen können.
Richtig daran ist, dass der Regierungsumzug der Stadt gut getan hat. Sie verlor ein paar tausend langweilige Beamte, Lobbyisten und Journalisten an Berlin. Dafür gewann sie ein paar tausend hochqualifizierte und familiengründungsfreudige Beschäftigte bei den großen Staatskonzernen Deutsche Telekom, Deutsche Post und Postbank. Mehr als andere Subventionen haben diese Betriebsansiedlungen den Entwicklungsschub gebracht, weil sich um sie herum ein florierendes mittelständisches Dienstleistungsgewerbe angesiedelt hat, das zudem von der regionalen Ausstrahlung der westdeutschen Medienhauptstadt Köln profitiert. Bonn schrumpft nicht wie der Osten oder das Ruhrgebiet, Bonn wächst. Bonn verfügt noch immer über eine national wie kulturell heterogene Bevölkerung und profitiert darüber hinaus von einer großen Universität, die ein junges, gebildetes und mobiles Publikum anzieht. Das leider auf eine extrem provinzielle Politikerkaste trifft.
Autonome Kommunalpolitik ist ihr heute eigentlich kaum mehr möglich. Eine Steuerreform riss ein 300 Millionen Euro großes Loch in den Bonner Kommunalhaushalt. Ein gutes Jahr des Telekom-Konzerns füllte es wieder. Eine intelligente Verrechnung zwischen verschiedenen Telekom-Töchtern sorgte nun wiederum für ein neues 300-Millionen-Gewerbesteuer-Loch. Und der Kämmerer der Stadt behauptet, das habe man alles nicht voraussehen können, weil die Unternehmen ihm ihre Geheimnisse nicht verraten würden.
Als wäre das nicht bizarr genug, unterwirft sich die Kommunalpolitik den Staatskonzernen nun in einem Maße als versuchte sie, unter Türritzen hindurchzukriechen. Während bei den städtischen Kultureinrichtungen soeben drei Millionen Euro gekürzt wurden, was den Wegfall der Tanzsparte des Theaters bedeutete, wollen die Staatskonzerne, als hantierten sie mit privatem Geld, der Stadt ein spendables Geschenk machen: ein "Festspielhaus".
Bonn ist spät dran. In Köln, Düsseldorf, Essen und Dortmund stehen solche Häuser bereits. In Duisburg, Bochum, Münster und sogar in Coesfeld werden welche gebaut. Wer soll nur die Musik täglich hören und bezahlen, um allein die Betriebskosten von über 10.000 Publikumsplätzen in Nordrhein-Westfalen an 365 Tagen im Jahr wieder einzuspielen? Nur Essen schreibt durch kluge Programmpolitik eine "schwarze Null". Dort hat man nicht neu gebaut, weil ein Bürgerbegehren dagegen erfolgreich war, sondern den heruntergekommenen "Saalbau" chic renoviert; viel Geld kam von der Krupp-Stiftung. In Dortmund, das zuerst fertig war, ist man schon glücklich, wenn der Zuschussbedarf von sechs auf fünf Millionen Euro im Jahr sinkt. Alle Häuser müssen mit ihrem Programm der Klassik - in Bonn: Beethoven - sehr weite Grenzen stecken, um existieren zu können. Die Kölner Philharmonie lässt sich den Saal von regionaler Folklore füllen: Black Föss, Wolfgang Niedecken oder Lit.Cologne.
Nun ist nichts gegen angemessene Behausungen für klassische Musik zu sagen. Auch ist die Subventionierung dieses Kulturerbes notwendig, wenngleich sie längst nicht mehr unumstritten ist. Darum geht es bei dieser Konzerthausepidemie jedoch überhaupt nicht. Sondern um die recht platte Ausprägung kommunaler Kirchturmpolitik. Die Perlenkette der Festspielhäuser im vom Strukturwandel gebeutelten Ruhrgebiet ist so widersinnig wie die im Rheinland. Die Häuser wurden und werden gebaut. Konzepte für Kunst und Programm gingen dem nicht voraus, sondern ergeben sich, so denken Kommunalpolitiker und Sponsoren, bei Fertigstellung schon von alleine. Sie sind auch nicht so wichtig, weil der Imagetransfer für Stadtobere und Kapitalgeber mit dem Bau-Denkmal ihrer Großspurigkeit ja bereits vollzogen ist. Nach derselben Logik würde eine unterklassige Fußballmannschaft in der Champions League spielen, wenn man ihr nur ein tolles Stadion hinstellte. Dass das nicht funktioniert, weiß in Köln (2. Liga) und erst recht in Düsseldorf (3. Liga) jedes Kind, offensichtlich aber nicht die Kommunalpolitik.
Dass die Festspielhaus-Geldgeber in Bonn mehrheitlich Unternehmen im öffentlichen Besitz sind, deren politischer Chef Bundesfinanzminister Steinbrück in der Stadt seit den siebziger Jahren seine private Heimat gefunden hat, stört dort niemanden (außer den kommunal oppositionellen Grünen). Dass die 20 Minuten entfernt liegende Kölner Philharmonie nervös wird und sich über künstlerische Koordination freuen würde, dass der Theaterintendant nach einer nachhaltigen Förderung bestehender kultureller Infrastrukturen fragt, sind fast schon die kritischsten Töne. Den Bau wollen sich die drei - wie man in Bonn gerne formuliert - "Dax-notierten Unternehmen" 60 bis 80 Millionen Euro kosten lassen. Die erstklassige Sanierung der bestehenden, denkmalgeschützten Beethovenhalle und der ebenfalls sanierungsbedürftigen Oper würde etwas mehr als die Hälfte kosten. Dafür hat die Stadt derzeit leider kein Geld, weil sie der Telekom gerade 300 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückerstatten muss.
Das Traurigste an diesem Lehrstück ist der kulturpolitische Blindflug. Es sind nicht die Stadtgesellschaft und ihre politische Vertretung, die initiiert und Geld bei den Unternehmen sammelt. Es läuft genau andersrum. Um die Politiker zu begeistern, genügte die Formel, was Wagner für Bayreuth und Mozart für Salzburg sei, das müsse Beethoven für Bonn werden. Das bedeutet nicht Liebe zur Musik, sondern Stadtmarketing und zwar sehr holzschnittartig gedacht. Das Bild, das den Damen und Herren dabei vorschwebt, ist der rote Teppich, auf dem die angeblichen Stars dieser Welt ihre Abendroben spazieren tragen. Die Musik ist dafür der willkommene Anlass. Ein schöner Nebeneffekt: Das gemeine Volk muss mangels Interesse - nach herrschender Sicht mit mangelnder Bildung gleichzusetzen - und mangels Geldes draußen bleiben. Dieselben Akteure, die daraus ihre Distinktion beziehen, finden gleichzeitig nichts dabei, das am zentralen Markt liegende "Metropol"-Kino mit dem neben der Essener "Lichtburg" schönsten Lichtspielsaal des Landes von renditegierigen Immobilienbesitzern zerstören zu lassen - zugunsten von Herrenoberbekleidung, einer Buchhandelskette, Drogerie oder was auch immer. Hauptsache: Mietoptimierung. 40.000 Protestunterschriften wurden ignoriert.
Wenn aber ortsansässige Vorstandsvorsitzende sich ein (Bau-)Denkmal setzen wollen, dann tanzt die Mehrheit des gewählten Stadtparlaments nach deren Pfeife. So sehen die wahren Parallelgesellschaften aus.
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