Die Nachtseite der Macht

Medientagebuch Bei den prominenten Parlamentsjunkies: Eine ARD-Dokumentation über die süße Droge Politik

Lampenfieber. Irgendwas ist mit dem Magen. Vielleicht auch ein leichtes Schwindelgefühl? Lieber noch mal zur Toilette. Noch ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht. Haare und Krawatte richten. Dann hinaus auf die Bühne. Höchste Konzentration. Vertraute oder vertrauenerweckende Gesichter suchen. Aha, es wird gelächelt, zustimmend genickt, ich bin gut. Ein Scherz, befreiendes Gelächter, jetzt fühle ich mich zuhause. Die Schlüsselbotschaften, die Schlusspointe, herzlicher Beifall. Die Endorphine tanzen Ringelreihen. Geil! - So ungefähr verläuft der Rausch bei Menschen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend mit Bühnenauftritten zu bestreiten versuchen. Und genau so verläuft er bei PolitkerInnen. Diesem Phänomen widmete sich Mittwochnacht die ARD-Dokumentation Im Rausch der Macht - die süße Droge Politik von Ferdos Forudastan, Käthe Jowanowitsch und Stephanie Rapp.

Drogen gehören zu unserer Kultur. In Maßen genossen müssen sie nicht schädlich sein, ihr Genuss kann das Leben bereichern. Bei einer Minderheit versagen jedoch die kulturellen Instrumente zum bewussten Drogengenuss. Die Droge nimmt einen breiteren Raum im Denken und Handeln ein. Familienangehörige und Freundeskreis werden immer mehr vernachlässigt. Intelligentere Abhängigkeitstypen bemerken, in was sie hineinschlittern. Sie wollen sich beweisen, dass es bei ihnen noch nicht so weit ist. Sie setzen die Droge testweise ab, ein paar Tage oder ein paar Wochen, um danach um so unbedenklicher weitermachen zu können. Auf Nachfragen wird versichert: "Ich könnte jederzeit aufhören, wenn ich wollte". Zu dieser Gruppe Süchtiger gehören unsere PolitikInnen.

Zehn von ihnen wurden befragt von den Filmautorinnen, die angenehmerweise auf eigene Kommentare verzichtet haben. Bilder sagen mehr als Worte. Helmut Kohl und Joschka Fischer gelingt es am besten, das routinierte Programm durchzuziehen - darin beweist sich das wahre Alphatier. "Letztendlich ist es die Frage des Beitrags zu einer bestimmten historischen Epoche für unser Land", sagt Fischer. Geht es nicht eine Nummer kleiner? "Alles was im privaten Leben richtig ist, ist in der Politik richtig, und alles was im privaten Leben nichts taugt, taugt auch in der Politik nicht", sagt Kohl. Und ganz Ostdeutschland ist eine blühende Landschaft, möchte man ergänzen. Bei Kohl und Fischer sitzt die Maske. Zweifel oder Nachdenklichkeit haben die Autorinnen dahinter nicht freilegen können.

Anders bei Klaus Kinkel, dem ehemaligen Außenminister, der deutlich sichtbar vor der Kamera transpiriert und zugibt, wie er im Mainzer Hauptbahnhof mal daran gescheitert ist, die Tür eines Intercity-Zuges zu öffnen. Der Mann war jahrelang Chef deutscher Geheimdienste. Und selbst ein harter Charakter wie Bundeswirtschaftsminister Clement zeigt - bei ihm besonders ungewöhnlich - öffentlich nachdenkliche Momente, wenn er beklagt, dass ihm die Zeit, die er für die Politik aufwendet, für die Kinder fehlt. So weich daher stammelnd erleben ihn seine Partei- und Koalitionsgenossen nie. Und so prophetisch wohl auch nicht: "Vielleicht kommt irgendwann ein Absturz in den Ruhestand, den ich mir noch gar nicht vorstellen kann."

Die klarste und ehrlichste Analyse liefert der CSU-Politiker Horst Seehofer. Anfang 2002 war er an einer Herzmuskelentzündung lebensgefährlich erkrankt. In solchen Situationen denkt jeder Mensch grundsätzlich über sein Leben nach. Daraus entwickelte sich vermutlich die Renitenz, mit der Seehofer seit einiger Zeit innerhalb der Union in die sozialpolitischen Debatten geht. Bei seinen Berufsgenossen im Bundestag erzeugt das verständnisloses Kopfschütteln. In der Bevölkerung dagegen ist er, das sagen zumindest die Demoskopen, Joschka Fischer als populärstem Politiker dicht auf den Fersen. Vor der Kamera erklärt der CSU-Mann: "Ich finde, das Schlimmste ist, dass Sie ihren privaten Lebenskreis zerstören, dass Sie, weil Sie der Droge immer wieder erliegen, die Familie im engeren Sinne zerstören. ... Ich bin süchtig, politiksüchtig. Ich spüre so etwas wie Entzugserscheinungen, wenn ich zu lange mit meinem Beruf nichts zu tun habe. ... Sie werden empfänglich für Kumpanei, für Filz ... dass Sie Lobbyisten ... hörig werden." So spricht der ehemalige Bundesgesundheitsminister.

Der Titel Im Rausch der Macht strickt mit an der Legende, in unserem Land sei die Macht ausschließlich bei demokratisch gewählten Politikern angesiedelt. Das ist der einzige Vorwurf, den man diesem kleinen Lehrstück machen kann. Der ARD muss man darüber hinaus ankreiden, die Dokumentation kurz vor Mitternacht in ihrem Programm versenkt zu haben. Der richtige Sendeplatz wäre sonntags nach dem Tatort gewesen; wenn das Publikum gewöhnlich Politiker dort erwartet, wo die Droge Macht am verführerischsten lockt: im Scheinwerferlicht von Sabine Christiansen.

Im Rausch der Macht - die süße Droge Politik wird auf Phönix am 3. März um 20.15 Uhr und am 4. März um 14 Uhr wiederholt.


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