Ursprünglich sollte die grüne Bundesdelegiertenkonferenz (BDK), die am Wochenende in Oldenburg stattfindet, mögliche Koalitionsverhandlungen debattieren. Daraus wurde nichts, die Luft ist raus, die Konferenz wurde von zwei Tagen auf weniger als einen eingedampft.
Die Grünen nutzten nach der Bundestagswahl zwar die Gelegenheit eines Sondierungsgespräches mit der CDU/CSU, um eine Zusammenarbeit mit diesem politischen Spektrum zu enttabuisieren. Es war aber offensichtlich, dass Merkel und Stoiber diesen Vorgang nur einsetzten, um für den zukünftigen Partner SPD den Preis zu erhöhen. Aus diesem Spiel stieg die Grünen-Führung folgerichtig unmittelbar nach dem ersten Gespräch aus. Eine Ampelkoalition hätten sie dagegen vergleichsweise bedenkenlos mitgemacht, doch weder SPD noch FDP waren ernsthaft interessiert an dieser Konstellation.
Nun werden die Grünen als kleinste Oppositionspartei agieren. Die wichtigsten Personalentscheidungen bestätigen alte Kräfteverhältnisse. In nachbereitenden Pressestatements wurde der innergrüne Wahlvorgang, der das bewährte Team Kuhn/Künast an die Fraktionsspitze brachte, zu einem Generationenkonflikt umgedeutet. In Wahrheit waren es pure politische Entscheidungen. Kuhn und Künast wird es am ehesten zugetraut, den Mainstream von Partei und Fraktion zu vertreten. Die unterlegenen "jungen" Göring-Eckardt und Berninger markieren eher den rechten Rand, der für die alte rot-grüne Politik steht, die bei der Bundestagswahl abgewählt wurde. Vor allem von Kuhn, dem Wirtschaftspolitiker und Steuermann des Wahlprogramms und Wahlkampfes, wird erwartet, dass er eine "sanfte" Korrektur des "Hartz IV"-Unterstützungskurses der grünen Parteimehrheit vornimmt, wie es in den Wahlkampfreden von Joschka Fischer schon zu hören war: Angleichung der ALG-Sätze im Osten an die Westhöhe, bessere Zuverdienstmöglichkeiten, Schutz des Altersvorsorgevermögens. Im Leitantrag des Bundesvorstandes zur BDK ist zusammenfassend von "Gerechtigkeitslücken" die Rede. Wie diese in Zukunft programmatisch gefüllt werden sollen, wird nicht beantwortet, stattdessen eine halbe Textseite mit Fragen gefüllt, die im Sommer 2006 von einem "Zukunftskongress" beantwortet werden sollen.
Ansonsten glauben die Grünen, ihre Politik nicht dementieren zu müssen. Sie sehen sich in Ökologiefragen weiter an der Spitze der Parteien. In Bürgerrechtsfragen erwarten sie einen Wettbewerb mit der FDP, den sie glauben sicher bestehen zu können. Schily wird man jetzt öffentlicher kritisieren als zu Koalitionszeiten. In der Frauenpolitik erhoffen sie sich nach dem Rückzug von Fischer wieder mehr Glaubwürdigkeit und Wettbewerbsvorteile gegenüber der Linkspartei.
Gespannt sein muss man auf die außenpolitischen Positionierungen, die im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt haben. Auf Regierungsebene wird viel Kontinuität gepflegt werden müssen. Aber schon die Positionierung zu den EU-Verhandlungen mit der Türkei dürfte brisant werden. Wie werden sich die Beziehungen zu den USA weiterentwickeln? Welchen Part wird Deutschland in der EU spielen? Wieder den des neoliberalen Rädelsführers, wie zu Zeiten Kohls und Waigels? Wird den Grünen in diesen Debatten ihr Menschenrechtskompass ausreichen? Ohne Fischer werden sie wieder mehr diskutieren müssen und weniger regiert werden. Während die Grünen in der Europapolitik immer klar positioniert waren, haben sie den Anschluss an die globalisierungskritische Bewegung etwas verloren, aber sie ist noch nicht außer Sichtweite. Mehrere grüne Kreisverbände sind Attac-Mitglieder. Vielleicht gewinnen sie jetzt Rückenwind.
Ein breiter Konsens der Grünen besteht darin, in Zukunft bündnispolitische Sackgassen weiträumig zu umgehen. Der Leitantrag des Bundesvorstandes positioniert sich rhetorisch noch stark gegen schwarz-grüne Optionen: "In allen diesen Bereichen (genannt werden unter anderem Energie-, Verbraucher-, Bildungs-, Kinder- und Bürgerrechtspolitik) haben wir mit der SPD zusammen mehr erreicht, als mit der Union auch nur diskutierbar wäre." Es gebe daher "keine Äquidistanz" zu den anderen Parteien. Dennoch wird festgestellt, dass "die Chancen für Zweier-Konstellationen", also vor allem Rot-Grün, "geringer werden" und die Kombinationen Rot-Grün-Gelb, Schwarz-Gelb-Grün oder Rot-Rot-Grün ausdrücklich erwogen werden mit der Begründung: "Wenn wir Grüne im Bund mittelfristig nicht nur auf die Karte Rot-Grün oder auf die Rolle der Opposition beschränkt werden wollen, müssen wir auch daran arbeiten, neue Bündnisse parlamentarisch möglich zu machen. Das gilt ebenso für die Länderebene. Immer gehen Inhalte vor Macht."
In diesen Formulierungen drückt sich eine mögliche Neugruppierung der Kräfteverhältnisse innerhalb der Grünen aus, wie sie bei den Fraktionsvorstandswahlen schon zum Ausdruck kam. Die Vertreter einer rein machtopportunistischen Schwarz-Grün-Option sollen an den rechten Rand der Partei gedrängt werden. Ihnen hält man die Unvereinbarkeit der Inhalte entgegen. Die Mehrheit der dominant rot-grün orientierten bisherigen "Realos" verbindet sich taktisch mit einem Großteil der Parteilinken zu einer pragmatischen Zusammenarbeit für die Oppositionsphase der Partei. In welche Richtung "Öffnungen" gehen werden, wird Gegenstand zukünftiger Richtungskämpfe sein. Das innergrüne Machtgefüge ist in Bewegung geraten, wie die Parteienlandschaft insgesamt. Entscheidend ist, ob es gelingen wird, gesellschaftliche Auseinandersetzungen so zu führen, dass sie die Parteien in eine fortschrittliche Richtung tanzen lassen. Die Voraussetzungen sind günstig. Es gibt jetzt einen linken Wettbewerb, der hoffentlich das politische Geschäft belebt.
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